Überall gibt es Noten im Halbtonabstand abwärts, die in der Notation auf der gleichen Notenlinie stehen.
Das liegt zunächst daran, dass wir ein ursprünglich nur für die
heptatonische Diatonik ausgelegtes Notations- und Tonbenennungssystem haben. Um ein System mit 12 HT-Tonschritten notationstechnisch bewältigen zu können, bedarf es zusätzlicher Konventionen, z.B. die grobe Faustregel, nach der abwärts- oder aufwärtsgeführte Chromatisierungen notationstechnisch unterschiedlich behandelt werden.
Bei einem c-Moll-Akkord würde die Notation c-
dis-g die Terzstruktur des Dreiklangs (c-es-g) nicht adäquat abbilden. Analog dazu wäre in einer melodisch fallenden Halbtonfolge z.B. von
a nach
g die Schreibweise
a-gis-
g "gegen die Bewegungsrichtung" notiert, würde diese also nicht adäquat abbilden. Daher wird der HT-Schritt zwischen a und g durch das Zeichen
b für Abwärtsalteration des a zum as dargestellt. Aber sowohl a-as, als auch as-g sind Halbtonschritte, also kleine Sekunden - niemand hört hier zunächst
a-as als "verminderte Prime", dann aber
as-g als "kleine Sekunde"!
Allerdings ist auch die #-Notation a-
gis-g-
fis-f nicht nur möglich, sondern sogar zwingend notwendig, z.B. innerhalb der Quintfallsequenz
a (B7)-
gis (E7)-
g (A7)-
fis (D7)-
f (G7) (usw.) als Teil eines halbtönig fallenden
Lamentobasses. Und wenn irgendein Schlaubär im entsprechenden Wikipedia-Artikel ernsthaft meint, es handele sich hier um "verminderte Primen", dann sollte er die im Artikel sogar explizit zitierte Quelle nicht ignorieren, in der der Urheber des Begriffes
passus durisculus (für Lamentobass) Christoph Bernhard (1628–1692) eindeutig von "
Semitonium minus" (kleiner, d.h. chromatischer Halbtonschritt) schreibt.
... sind eine stiltypische Intonationsvariante von Terz oder Quinte, die sich bei Instrumenten mit fixierten Tonhöhen nur als Cluster einigermaßen adäquat simulieren lassen - wie im berüchtigten Dur7/9#, der eigentlich ein Dur7/10b, also ein Akkord mit großer
und kleiner Terz ist, letztere oktaviert zur Dezime.
Man denke nur an das Problem mit dem Notennamen H.
Die unterschiedlichen Benennungskonventionen sind ärgerlich, aber auch in zunehmender Auflösung begriffen.Weitaus ärgerlicher finde ich, dass zum H immer noch abstruse (z.B. Haunschild Bd.1) oder nur halbrichtige (Wikipedia) Erklärungen kursieren.
Selbst wenn sich die Gegenargumente hier häufen, mag es für den stillen Mitleser interessant sein, dass ein (von mir aus 'kleiner') Teil der Musiker die Einführung des Begriffes 'verminderte Prime' für notwendig halten.
Was du ja auch in deinem Beitrag zum Wikipedia-Artikel "Prime" kundtust. Diesbezüglich mag dir folgen, wer will. Für mich bleiben c-cis und
a-as durch chromatische Aufwärts- bzw. Abwärtsaltersation erzeugte kleine Sekunden.