So langsam merke ich aber, dass ich mit einem Plektrum nicht wirklich zurechtkomme. Es fühlt sich total unnatürlich an, ich treffe ständig die falschen Saiten und brauche wirklich lange, um mit Plektrum etwas halbwegs flüssig und im richtigen Tempo zu spielen.
Dann lass es! Ich rate Dir dazu, beim Fingerpicking zu bleiben. Hier mal meine persönlichen Ansichten:
1. Neben Vibrato und Bending ist der Anschlag die Technik, die von den meisten Gitarristen vernachlässigt wird. Dabei brauchst du jahrelange Übung, wenn Du eine ordentliche Technik der Schlaghand aufbauen willst. Ich rede hier von einem soliden, gleichzeitig dynamischen und lockeren Anschlag - eine Monster-Schlaghand wie Malmsteen oder DiMeola sie haben, ist für die meisten Leute schlicht unerreichbar. Das Problem ist, dass Du eine "schwere Hand" nicht kompensieren kannst, mit so einer Technik wird sich in Deiner Hand jede Gitarre beschissen anhören. Ob Du jetzt noch diese Monster-Arbeit bewältigen willst, musst Du selbst entscheiden.
Schau Dir mal diesen Typen hier an, dann verstehst Du, was ich mit schwerer Hand meine:
Er metzelt den Song nieder, im wahrsten Sinne des Wortes. Er spielt vielleicht die richtigen Noten, aber er spielt sie nicht richtig und raubt damit dem Song seine Seele.
2. Das richtige Picking mit den Fingern ist ebenfalls schwierig (ich kann es nicht gut). Aber Du hast auf jeden Fall durch Deinen klassischen Unterricht eine solide Grundlage, die Du nur ausbauen musst. Also ist hier Verhältnis Aufwand/Resultat garantiert viel besser!
3. Dass die Fingerpicker die Minderheit sind, muss nicht bedeuten, dass es schlecht ist, ohne Plektrum zu spielen. Neben dem (wirklich atemberaubenden) Richie Kotzen fallen mir aus Anhieb jede Menge Gitarristen ein. Insbesondere ältere Blueser spielten ganz ohne Plektrum. Hör Dir Mal das Album Born Under a Bad Sign von Albert King und das "Schaukelstuhl-Album" von Howlin' Wolf mit Hubert Sumlin an. Das ist alles ohne Plek gespielt. Eine moderne Interpretation dieser Schule liefert Robert Cray.
4. Im Country sind eher die Flatpicker wie Brad Paisley in der Minderheit, dort ist Fingerstyle herrschend, meistens mit Daumenpick. Der sehr von Country-Gitarristen beeinflusste Knopfler wurde ja schon diskutiert. Hör Dir auch mal James Burtons spiel auf den frühen Alben von Emmylou Harris an. Der benutzt auch nur ein Daumenpick. Emmy scheint beide Gitarristen gerne an ihrer Seite zu haben, und für die schöne Emmy tut man doch alles! ;-)
5. Eigentlich kannst Du fast alles ohne Pick spielen. Ich bin da kein Experte, aber ich glaube, dass vielleicht super-schnelle Malmsteen/Petrucci-Sachen nicht gehen, und auch bei extremem Metal mit High Gain könnte es mit den Fingern schwierig werden.
6. Zum Schluss: Duane Allman war ein Plektrum-Spieler, hat aber Slide immer mit den Fingern gespielt. Er meinte mal, dass Plektrum und Slide zusammen nicht geht, da Du so den Kontakt zwischen Körper/Finger und Instrument vollständig löst und so die Gitarre nicht mehr wirklich spürst. Also: beim Spiel mit den Fingern ist die Beziehung zu Deinem Instrument deutlich intimer und persönlicher. Wohl deswegen ist Fingerstyle bei sehr feeling-betonten Stilen wie Country und Blues verbreitet.