Hallo Leute,
nach längerem Mitlesen und Basteln am 11R wollte ich doch auch mal meinen Senf beisteuern und ein kleines Review loswerden:
Ich habe das Ding vor einigen Wochen bekommen, konnte aber bis letzte Woche nur flüchtig damit herumspielen. Der erste Eindruck war: scheint recht viele Möglichkeiten zu haben, die Presets sind ausgesprochen schlecht, weil wie so oft effektüberladen und spacig (die Ersteller solcher Presets scheinen alle von Jean-Michel Jarre zu träumen...), die Bedienung mit dem Editor im ProTools einfach, ohne etwas kryptisch. Das Noisegate nervt.
Zweiter Eindruck nach einem Tag intensiven Schraubens: Bedienung ist am 11R ebenso einfach und eingängig, mittlerweile finde ich mich da sogar schneller zurecht als mit dem Editor am Rechner. Den nutze ich eigentlich nur zum Übertragen von Sounds.
Dritter Eindruck nach ca. 3-4 Tagen intensiven Erarbeitens der von mir benötigten Sounds: geil. Sehr große klangliche Vielfalt, sehr starke Ampsimulationen, insbesondere der Plexi ist klasse, aber auch die Fender-Amps und der Soldano Lead-Kanal beeindrucken mich. Mit den Heavy-Sounds à la Rectifier habe ich es nicht so, aber aus meiner Laien-Sicht würde ich die auch als klasse bezeichnen.
Das 11R (jetzt hätte ich fast geschrieben "Der Amp...") fühlt sich gut an beim Spielen, die Dynamik, die röhrenartige Kompression, der Anschlag-"Knack" sind ziemlich authentisch wie bei guten Amps. Abgehört habe ich das 11R übrigens mit einer db Basic 100 Aktivbox. Klein, leicht (9kg) und für kleine und mittlere Gigs allemal laut und druckvoll genug.
Und billig...ich hab meine für 140 € geschossen!
Ich habe jetzt mal so ca. 30 Presets für den üblichen Top-40-Kram erstellt und bin beim Basteln einige Male zufällig über Sounds gestolpert bei denen ich dachte: "Dat kenn ich doch.." Beispiel: da steppe ich mit einem Marshall-Rhythmus-Sound vom JCM 800 durch die Mic-Simulationen und bei einer bemerke ich plötzlich einen satten Bass-Schub, den die anderen nicht hatten. Ich jodele darauf kurz rum und denke: Hey, so klingt's ja bei "I was made for lovin you"...also schnell mal weitergeschraubt, nochmal das Original angehört und schwupp, fünf Minuten später ein entsprechendes Preset abgespeichert. Und erfreulicherweise stellt sich auch beim erneuten Durchhören der Presets ein, zwei, drei Tage später noch das Gefühl ein: Ja, das ist schon authentisch. Coole Sache.
Anschließend gings ans Vorbereiten des ersten Live-Gigs. Dazu habe ich die Sounds so gut es ging pegelmäßig abgestimmt (was mit dem 11R sehr gut geht, weil es klangneutrale "Mastervolumes" gibt und die auch sehr schnell erreichbar sind, über die "Rig Balance" in den Optionen). Toll ist auch, daß man pro Preset entscheiden kann, was man im Play-Modus (also im nicht-edit-Modus) auf dem Display sehen will: die Ampregler? Die Volumenregler der verschiedenen Ausgänge? Effektparamenter? You name it...Das hilft, live mal schnell was kritisches zu korrigieren. Ich hab mir in der Regel die Amp-Regler auf das Display gelegt, um so schnell Verzerrung, Klangregelung oder Mastervolume beeinflussen zu können.
Apropos Ausgänge: daß man beim einzigen separaten Drehregler (Volume) entscheiden kann, ob er alle Ausgänge beeinflussen soll, oder nur den "to Amp"-Ausgang (den man üblicherweise für selbstgemachtes Monitoring verwendet) ist eines der vielen kleinen Beispiele für die praxisgerechte Konzeption des Geräts. Toll!
Weiter im Text: zum Live-Einsatz gehört die Umschaltung. Ich besitze zwei Midi-Leisten, einen Midi-Buddy (das sind die winzigen, die ins Rack reinpassen - sehr praktisch, aber nur Program Change, keine Controller-Funktionen) und eine Behringer FCB (hier im Forum gekauft - danke an Steffi . Die ist mit zwei Pedalen und der UNO-Firmware natürlich ne Waffe. Sie zu programmieren hat etwas länger gedauert, aber mit einer Mischung aus Editor-Bearbeitung und manueller Programmierung am FCB hat's geklappt.
Nun habe ich auf den Schaltern 1-4 die vier Presets, die beim 11R jeweils in einer Bank liegen. Mit up und down wechsele ich die Bänke. Und auf den Schaltern 6-10 habe ich diverse Funktionen, für alle Presets gleich: 6 schaltet den Tuner an. Dabei habe ich zufällig bemerkt (steht nirgendwo...auch nicht im DUC-Userforum) daß, wenn man im Tuner-Modus am Gerät das kleine Knöpfchen "mute" drückt, nicht nur das Gitarrensignal stumm geschaltet wird, sondern das 11R sich das auch merkt - und zwar auch nach dem Ausschalten. Das habe ich genutzt und habe so eine Verbindung von Tuner mit Stummschaltung. Lautloses Stimmen, lautloser Instrumentenwechsel, Stummschaltung in Pausen usw.
Schalter 7 schaltet bei mir immer den Overdrive an/aus, Schalter 8 die Modulationseffekte, 9 das Delay und 10 ist als Tap-Funktion programmiert. Die Effekt-An-Schaltung funktioniert natürlich nur sofort, wenn der Effekt beim entsprechenden Sound nicht schon an ist. Ist er an, passiert nüscht, aber beim erneuten Treten geht er aus. D.h. das FCB muß sich da immer erst dem 11R anpassen. Kein Problem und immer noch logisch nachvollziehbar.
Auf Pedal 2 habe ich Volume, auf Pedal 1 Wah, was ich aber bislang nicht nutze. Kommt noch.
Ich kann also allein schon durch Gitarren-Volumeregler (Gain verringern), Schalter 6 (Gain resp. Verzerrung erhöhen) und Pedal (Mastervolume hoch oder runter regeln) den Sound in die wichtigsten Richtungen verbiegen, wenn er nicht passt.
So, und gestern dann die große Live-Premiere. Spannung...wie wird's laufen? Die Gelegenheit war günstig, wir spielten im Vorprogramm (und Nachprogramm) der Spider Murphy Gang und schneller Abbau nach dem ersten Set war Pflicht. Dafür ist das 11R natürlich prädestiniert: 11R hinstellen, Netzkabel, Midikabel, Gitarrenkabel, 2x XLR-out, fertig. Und hinterher genauso rückwärts. Ging super.
Der Monitorsound war erstmal eher mittel, als ich den Monitormischer zu mir auf die Bühne bat um ihn den Sound hören zu lassen, meinte er gleich: "Ah, okay, Moment", rannte an seinen EQ und schon wurde es besser. Dann störte mich aber doch noch so das topfig-dosige, beengte beim "Sweet-Home-Alabama"-Sound...kurz grübeln...soll ich?...ja, ich soll: "Ähm, sag mal, Herr Tonmann, kann es sein daß Du auf dem Gitarrenmonitor nen Compressor drauf hast? - "Äh moment...äh ja!" - "Ok, mach den bitte aus!" Und schon ging die Sonne auf...
Die Pegelsprünge, die ich für die Solo-Sounds einprogrammiert hatte, waren durchweg zu heftig, hier musste ich das Vol-Pedal immer etwas zurücknehmen. Und bei zwei Rocksounds klang die Les Paul dünner als ich vermutet hatte, hier ist also nochmal Nacharbeit am EQ angesagt. Aber ansonsten hat's wunderbar gepasst, der Sound war fett, präsent, drückend, gut kontrollierbar, die Zerrgrade und -charakteristika so wie gewünscht, ich habe die Sounds "wiedererkannt". Ich habe mich sehr inspiriert gefühlt beim Spielen und bin mit dem Monitor hervorragend klar gekommen.
Gleichzeitig ist mir deutlich geworden, daß die allerletzten Feinheiten und Details vieler Sounds live im Bandkontext untergehen, auch wenn ich sie bei mir zuhause höre. Deswegen scheint mir das Axe-FX mit seinen endlos viel größeren Parameter-Möglichkeiten auch overkill zu sein. Abgesehen davon daß ich so ein Gerät vermutlich lange nicht so schnell durchschauen würde wie das 11R (bei dem ich auch noch nicht immer zielgerichtet arbeiten kann, insbes. was die Speaker- und Mikro-Simulationen angeht, da hilft nur ausprobieren), wird man die Feinheiten wie "SAG-Faktor bei der Endstufe" oder ähnliche Scherze live eh nicht hören.
Die Bedienung des 11R live ist über jeden Zweifel erhaben. Als der FOH-Mann beim Soundcheck sagte: "Deine Cleansounds kommen bei mir mit ca. 6db mehr Pegel an als Deine Zerrsounds", bin ich schnell in die Rig-Balance eingestiegen, hab bei den Cleansounds ein paar db abgesenkt, und fertig. Das wäre an einem "echten" Amp auch nicht sehr viel schneller erledigt gewesen.
Auch der Abbau und anschließende Wiederaufbau war sehr easy und ging flott. Das schöne dabei ist: es kann sich nix verstellen, man muß kein Mikro neu richten, keine Ampregler oder Pedalregler neu einstellen, nix. Einfach anschalten: klingt genau wie vorher.
Also, an der Länge meines Posts könnt ihr schon sehen: ich bin sehr begeistert. Das 11R ist eine für mich extrem gelungene Anschaffung. Ich habe noch nie so viele so authentische Sounds so unkompliziert verfügbar gehabt. Und mit dem Noisegate bin ich mittlerweile auch auf "Du". Gescheit eingestellt, erlaubt es mir z.B. bei Rocksongs nach Abdämpfen des Akkords die Hände von der Gitarre zu nehmen und das Publikum zum Mitklatschen zu animieren ohne daß das große Pfeifen oder Dröhnen losgeht. Sehr geil. Für ein Top40-Kommerzschwein wie mich (andere sagen "Gebrauchsmusiker nicht unwichtig.
Ich habe jetzt übrigens einen Framus Red Rogue-Combo, einen HK Tube Factor und einen Wampler Plexidrive zu verkaufen, außerdem einen Z-Cat-Booster und evtl. auch ein Nova Delay. Alles total geile Geräte - schlagt zu, Leute, der ganze Modellingscheiß taugt eh nix!
Ich werde mit großer Lust weiterschrauben und neue Presets kreieren. Ich glaube, in dem Ding steckt noch einiges an Soundentdeckungen für mich. Wünsche gibts natürlich auch schon. Der interne Compressor ist ein "vintage"-styliger, an MXR erinnernder. Da würde ich mir noch nen Studio-Compressor als Alternative wünschen, um etwa 80er-Funksounds produzieren zu können. Da die Mikrosimulationen alle sehr charakteristisch unterschiedlich sind, wäre auch ein nachgeschalteter EQ schön (wie man im Studio ja im Pult auch noch einen nach dem Mikro hat). Und wenn's beim Phaser nen Mix-Regler gäbe, würde mich das so glücklich machen. Ihr merkt schon: alles Kleinkram, der evtl. mit einem Update auch von Avid behoben wird.
Ich persönlich brauche nicht mehr Amp-Simulationen oder Effekte, aber das mag bei anderen anders aussehen.
Noch ein letzter Punkt, den mich erst das 11R gelehrt hat (peinlich, eigentlich). Was macht man normalerweise mit nem echten Amp? Man bastelt, um einen Sound zu reproduzieren den man auf irgendeinem Song von irgendeinem Gitarristen gehört hat. Also in der Regel von CD (resp. DVD, mp3 usw.). Aber was hören wir denn da? Wir hören nicht nur ein Individuum, eine Gitarre, eine Sorte Effekte, einen bestimmten Amp, einen bestimmten Speaker. Nein, wir hören auch ein Mikro, mit dem der Amp abgenommen wurde und eine bestimmte Nachbearbeitung im Studio. Und versuchen das ohne diese letzten beiden Stufen zu reproduzieren. Das ist schief. Insofern ist der Ansatz des 11R (und anderer Modeler mit integrierter Mikro-Simulation) deutlich konsequenter.
Meine Erfahrung auch mit guten Tonleuten ist sehr zweischneidig, was die Mikro-Abnahme meines Amps angeht. Ich habe leider schon zu oft erlebt, daß das gar nicht dem entsprach was ich mir vorstellte und mit dem Amp zu machen versuchte. Das passiert mit mit dem 11R nicht so leicht.