Was verstehst du unter „frei arbeiten können“, was man angeblich als sozialversicherungspflichtig angestellter Lehrer an einer Musikschule nicht kann?
Sich die Arbeitszeiten und ggf. den Ort, aber auch die Arbeitsmittel und die Inhalte aussuchen oder Schüler ablehnen zu können, nicht verpflichtet sein abseits des Unterrichts Zusatzveranstaltungen organisieren, durchführen oder an solchen teilnehmen zu müssen.
Da gibts einiges, das sich unterscheiden kann.
Ich habe nicht das Gefühl, dass ich irgendwie unfrei arbeiten würde und kenne auch keine Kollegen die irgendwie in ihrer Freiheit beschnitten würden bezüglich ihrer Tätigkeit als sozialversicherungspflicht Angestellte.
Ja wie gesagt, das ist doch super wenn das für euch so funktioniert! Sei euch von Herzen gegönnt.
Gerne nochmal: Das gesellschaftliche Leben geht auch über den eigenen Bekanntenkreis hinaus und deine subjektive Wahrnehmung kann sich durchaus von der Lebensrealität anderer Menschen unterscheiden.
Es gibt ja auch Musikschulen mit gemischt sozialversicherungspflichtig Angestellten und Honorarkräften (meist ehemalige Städtische, die nun Vereinsschulen sind und noch alte Angestelltenverträge haben neben neuen Honorarverträgen).
Bald nicht mehr, gemischte Arbeitsverhältnisse für die selbe Tätigkeit sind nicht erlaubt und werden nun auch strenger kontrolliert. Hast du eine festangestellte Lehrkraft, musst du alle anderen gleichermaßen anstellen.
Glaubst du die Honorarkräfte nehmen alle nicht an Konferenzen und gemeinsamen Veranstaltungen teil?
Können sie doch, solange die Teilnahme freiwillig ist und vergütet wird? Wenn ich freiberuflich arbeite steht es mir ja frei, an einer Konferenz teilzunehmen oder fernzubleiben.
Glaubst du die Angestellten kriegen eine Abmahnung wenn sie nicht zur Konferenz kommen weil sich die mit einem Gig überschneidet?
Nein, aber es kann mitunter weitaus komplizierter sein, sich z.b. mal ein paar Wochen freizuschaufeln wenn man kurzfristig eine Tour spielen soll. Wieso sprichst du denn direkt in solchen Extremen?
Natürlich gehe ich nicht davon aus, dass man direkt ne Abmahnung bekommt, aber nichtsdestotrotz bist du erstmal von einer Schulleitung abhängig die ggf. Urlaub bewilligen muss. Für Leute die nicht viel giggen ist das egal, für Leute die viel giggen und nur Teilzeit unterrichten, kann das problematisch werden.
Glaubst du die Honorarkräfte gestalten den Unterricht „frei“ und die angestellten kriegen Weisungen welches Material sie benutzen, ob sie Solmisation mit einbeziehen sollen, oder Rhythmussprache nach Gordon oder Kodaly? Französischer oder deutscher Bogengriff am Kontrabass etc. pp.? So läuft das doch überhaupt nicht!
Es wäre schön, wenn du nicht ständig Erfahrungen aus deinem eigenen Umfeld als allgemeingültig darstellst. Denn das kann durchaus so laufen. Als Freiberufler kann mir niemand vorschreiben was, wann, wen und wie ich zu unterrichten habe.
Macht das doch jemand (und es ist ja nicht von der Hand zu weisen dass es Musikschulen gibt, die Honorarkräften Dinge auferlegen), kann ich mich ja dagegen wehren (und das dann logischerweise zurecht).
„Beides ermöglichen“ tut so als sei für‘s freiberufliche Unterrichten die Scheinselbständigkeit in Form von Honoraranstellungen unbedingt nötig. Was hindert diejenigen die freiberufliche Selbständigkeit möchten daran dies zu tun wenn das Honorarunwesen an Schulen beendet wird? Nichts!
Doch: Es gibt genug Leute die entweder keine Skills oder keine Lust haben sich komplett selbst zu verwalten, rechtssichere Unterrichtsverträge auszuarbeiten, Schüler:innen zu aquirieren, Gehaltsabrechnungen auf dem Schirm zu haben, sich um Dinge wie Umsatzsteuerbefreiungen zu kümmern, überhaupt auch erst gar nicht die finanziellen Mittel haben eigene Räumlichkeiten anzumieten und auszustatten...such doch als Drummer mal einen passenden Raum im Rhein-Main-Gebiet, inklusive Sanitäranlagen, den du unter der Woche zum Unterrichten nutzen kannst und wo du laut sein darfst. Und dann hab mal das Kapital um den entsprechend auszustatten.
„Beides ermöglichen“, sprich die Honorarjobs nicht antasten übt nur Druck auf die Einkommen von Musiklehrern nach unten aus. Damit muss Schluss sein.
Wer redet denn von "nicht antasten"? Es ist doch klar, dass es transparente, aber eben auch realistisch umsetzbare Regelungen braucht die einerseits die Möglichkeit von freier Tätigkeit an Musikschulen erhalten, gleichzeit natürlich Missbrauch verhindern.
Genau das wird aktuell ja geprüft und von allen Seiten gefordert. Wenn hier etwas Druck ausübt dann ist das die Forderung, Honorarjobs an Musikschulen pauschal abzuschaffen. Denn das belastet am Ende Schulen wie Lehrkräfte auch, die gegen ihren Willen in ein abhängiges Beschäftigungsverhältnis gedrängt werden oder ihren Job verlieren, weil die Schule eben schließt.
Musikalische Bildung ist eine Aufgabe die sich nicht kapitalisieren lässt ohne dass den Preis irgendjemand zahlen muss in Form von schlechten prekären Bedingungen für Lehrer oder Ausschluss großer Teile der Bevölkerung von dieser. Deshalb sollte es staatliche Aufgabe sein, genauso wie allgemeinbildende Schulen.
Naja, irgendwo halt doch. Wenn der Staat den Bedarf nicht befriedigend deckt, müssen halt private Unternehmen aushelfen. Ist doch im Schulwesen nicht anders, da gibts doch auch Privatschulen und Unis.
Allein die Tatsache dass es etwa genauso viele private Musikschulen gibt wie öffentliche und dass selbst jetzt nach Herrenberg nicht ansatzweise die Gelder bereitstehen oder bereitgestellt werden können, die die Musikschulen bräuchten, belegt doch eigentlich nur, dass der Staat sich eben nicht ausreichend kümmert.
Natürlich sollte es staatliche Aufgabe sein eine gute außerschulische musikalische Breitenbildung zu gewährleisten, natürlich bräuchte es ein bundesweites Musikschulgesetz dass z.B. Kommunen ab Größe X zum Betrieb einer Musikschule verpflichtet und natürlich braucht es ein faires Finanzierungsmodell zwischen Bund, Kommune und Schülern, das auch absichert, dass qualifizierte Lehrkräfte dort nach TVÖD angestellt werden.
Aber das ist halt einfach gerade und vermutlich auch auf absehbare Zeit nicht die Realität.
In Berlin wird trotz drohender Musikschulschließungen (weil dort eben fast ausschließlich Honorarkräfte arbeiten) der Kulturetat für 2025 um 12% gekürzt, viele Kommunen planen aktuell die Ausgliederung der kommunalen Musikschule hin zur privaten Einrichtung, um eben Anstellungen nach TVÖD zu vermeiden.
In meinem persönlichen Umfeld haben viele schon ihre Jobs verloren weil Schulen vorsorglich geschlossen oder das Kollegium rausgeekelt haben. An jeder Ecke bekomme ich mit, dass kommunale Schulen umgewandelt werden sollen, dass Stellen abgebaut werden sollen.
Und die privaten, die oft keinen schlechteren Job machen und mitnichten aus rein kapitalistischen Gründen geführt werden (die großen Franchises jetzt mal außen vor, da darf gerne was passieren im Hinblick auf faire Löhne), würden ohne Subventionierung direkt zugrunde gehen.
Sicher gibts auch Lichtblicke und vereinzelt Kommunen, in denen es anders läuft - aber das wird vermutlich nicht die Regel sein und unterm Strich mittelfristig zur Folge haben, dass die Deutsche Musikschullandschaft stirbt.
Sorry, aber das kann einfach nicht Sinn und Zweck der Sache sein.