Glaubt jemand ernsthaft, selbst "richtige" Künstler unterhalten sich miteinander über ihre Gefühle - beim Malen, Dichten oder Improvisieren?
Ja, tun sie. Aber nicht verbal. Ihre Kunst ist der Kommunikationsweg und die gemeinsame Sprache. Deswegen ist es so wesentlich, sich - egal ob als Maler, Musiker oder was auch immer - ein gewisses Grundrepertoire zu schaffen, um die "Vokabeln" dieser Sprache zu beherrschen.
Ich finde die Diskussion dennoch etwas neben der Spur, weil der Anspruch, "Gefühle zu zeigen", indem man über einen Backing Track soliert, doch ziemlich hoch angesetzt ist. Erstmal muss man dafür ein Gefühl haben, das man ausdrücken möchte, dann muss man sich dessen irgendwie auch bewusst sein und dann braucht man auch noch die Fähigkeit, das irgendwie in die Gitarre und auf die Festplatte zu bringen. Und das auch noch vorm PC-Monitor. Och nee - da spiel ich dann lieber einfach, was mir einfällt und was grad aus den Fingern kommt.....
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Ich bekomme ein "gefühliges" Solo ganz passabel hin, wenn ich entsprechenden Aufwand betreibe. Das heisst: Die Aufnahme vorbereiten, mich warmspielen, Aufnahme-Loop starten und dann wird im Stehen gespielt und möglichst laut, weggedreht vom Bildschirm, mit einem Bild im Kopf oder einer Gesangsmelodie, auf die ich "antworte". Alles, was dazu dient, mich mental in das Stück "einrasten" zu lassen. Klappt manchmal, manchmal auch nicht. Ich denke nicht, daß jeder hier diesen Aufwand betreiben kann oder will und vor allem: damit ich während des Spiels bei MIR bin, benötige ich ein Mindestmass an Sicherheit auf meinem Instrument. Wer damit beschäftigt ist, den richtigen Ton zu suchen, weil er noch am Anfang steht und noch mit der handwerklichen Herausforderung seines Griffbretts kämpft, ist mit "Gefühl" einfach überfordert.
Das, was wir hier machen, ist ja auch kein Jam, weil eben der Aspekt der Kommunikation unter den Musikern, während des Musizieren, der das Jammen so ausserordentlich wertvoll macht, bei Backingtracks komplett wegfällt. Ich hatte zufällig diese Woche eine kleine Jamsession mit einem befreundeten Drummer und einem befreundeten Bassisten. Wir haben in dieser Formation noch nie gespielt und ein paar Stunden über Nummern improvisiert, die uns grade einfielen - die auch nicht jeder immer kannte. DAS macht mir Gefühle!
Das Besondere an solchen Jams ist ja, daß man eben nicht weiss, was im nächsten Takt passiert. Ob einer solieren möchte oder anfängt zu singen oder mal die Dynamik runterfährt oder den Groove ändert oder ein "trading fours" anbietet, entwickelt sich aus dem Moment und wird ein wortloser Dialog. In solche Live-Sessions kann man sein "feeling" austesten, vor allem seine Fähigkeit, seinen Mitmusikern zuzuhören und auf spontane Eingebungen und Richtungswechsel ebenso spontan zu reagieren. Auf einem Backingtrack, der immer die gleichen 12 Takte dudelt: eher nicht. Meinem Bassmann kann ich ein Lick oder einen Groove hinwerfen und mal schaun, was er daraus macht. Dem Backing Track: eher nicht.