OK, aber @musicalfever4 schrieb, dass es viele Musiklehrer gibt.
Ich glaube, dass das ein Einzelfall ist.
Natürlich gibt es Schulen, die mit Musiklehrern gesegnet sind, aber zumindest in NRW herrscht absoluter Mangel an Musiklehrern (ebenso Kunst und MINT).
Ich habe während meines Studiums schon Angebote bekommen an Schulen zu unterrichten und als ich mit meinem Referendariat fertig war und einen Job gesucht habe, habe ich (wie auch viele andere) teilweise absurde Sachen erlebt.
Mal als lustige Geschichten: Ich hab meine Bewerbung an einer Schule im Sekretariat abgegeben (ja, man kann die per Post schicken, aber so kann man sich mal einen Eindruck von der Schule machen) und die Sekretärin hat, nachdem sie erfahren hat, dass ich mich auf die Musikstelle bewerbe, ohne Witz die Schulleiterin aus einer Konferenz rausgeholt (!), die mir dann mit allen Mitteln versuchte die Stelle schmackhaft zu machen, mit so Worten wie "Sie können hier alles machen was sie wollen, ich rechne AGs auf ihre normalen Stunden an, wenn sie irgendwas an Ausstattung brauchen, kaufen wir das sofort"... etc..
Auf die Stelle, die ich haben wollte, war ich der einzige Bewerber (mitten im Ruhrgebiet). (Mal so im Vergleich, auf interessante Stellen mit Deutsch/Geschichte gibt es problemlos mehrere hundert Bewerber, aber das sind eine Handvoll allerwelts-Fachkombinationen, bei denen das so ist. Und selbst die würden quasi allesamt eine Stelle an einer Gesamtschule bekommen. Will halt keiner.)
Eine Musik-Referendarin, die nach mir ihr Ref absolviert hat, hat sich ins Listenverfahren eingetragen und wurde dann von einem halben Dutzend Schulleiter angerufen, dass sie sich doch bitte an deren Schule bewerben soll.
JEDER der hier in NRW sein Ref in Musik absolviert bekommt sofort eine Stelle. Man kann sich aussuchen, wo man hin möchte. Grund- und Gesamtschulen sowieso und bei vielen Gymnasien auch.
Viele Schulen schreiben die Musikstellen schon gar nicht mehr aus, weil sich niemand bewirbt.
Ich bin aktuell an einem Gymnasium angestellt, aber zur Hälfte an eine Gesamtschule in der Nähe abgeordnet. Dort gab es gar keine Musiklehrkraft. Die schreiben seit über 5 Jahren Musik als Stelle aus und hatten noch nie eine Bewerbung. (liegt nicht zwangsläufig an der Schule, das ist nichtmal ein Brennpunkt)
Die Zahlen an Leuten, die ihr Referendariat in Musik zur Zeit in NRW absolvieren sind minimal: Kleve, aktuell 6 Leute, Oberhausen, aktuell 3, Essen auch nur ne Handvoll (gut, da will auch keiner hin, aus Gründen ;-) ..), Aachen ebenso.
Und das sind die Leute, die in den nächsten 1,5 Jahren fertig werden. Ich wäre erstaunt, wenn das über 100 sind. In ganz NRW.
Studienanfänger gibt es auch nur wenige: Die Volkwang in Essen, eine der größten Musikuniversitäten im Ruhrgebiet hat letztes Jahr quasi alle Bewerber für Musik Lehramt aufgenommen, weil es so wenige waren. Die haben nur die totalen Nulpen aussortiert, Plätze waren genug.
Ein Grund dafür, dass es relativ viele Leute gibt, die im Quereinstieg rüberkommen, ist, dass überhaupt erst einmal die Möglichkeit geschaffen wurde, wegen dem Lehrermangel.
Gäbe es genügend vollausgebildete Musiklehrkräfte, die Studium und Ref durchlaufen haben, bräuchte man keine Quereinsteiger. Das ist ja der normale Weg. Aber da gibt es eben nicht genügend Lehrkräfte, also woher nehmen?
Nun wird teilweise aktiv versucht Lehrer zu finden, die wenigstens eine minimale Qualifikation in Form von Instrumentalspiel haben und die irgendwie nachzuqualifizieren, was die pädagogische Seite angeht.
Was hier im Thema teilweise schon mitschwang: Die Realität kann von Schule zu Schule komplett anders aussehen.
Die Dame im Video hat da in ihrer kleinen zweizügigen Schule auf dem Lande eine eher behagliche Situation. Da kennt man dann schnell alle Schüler und auch fix deren Eltern, wenn es Probleme geben sollte, die Organisation ist klein und schnell. Das Kollegium hat vmtl 30-40 Leute, so dass man da auch schnell alle kennt, die Wege sind kurz etc.
Das sieht woanders anders aus: Meine Realität: ich bin an zwei Schulen mit insgesamt über 250 Kollegen, von denen ich vermutlich die Hälfte überhaupt nicht kenne, weil sie an anderen Standorten arbeiten.
Ich habe in diesem Halbjahr über 400 Schüler (es waren auch schonmal 480), deren Namen ich mir merken muss. Alles halbe Jahr werden 200 davon ausgetauscht und ich bekomme 200 neue.
Eine meiner Schulen bietet Musik im Abitur an, d.h. ich habe da meine festen Themen, die ich unterrichten muss und ich kann euch sagen, dass weder ich, noch die Kids es sonderlich spannend fanden sich mit mehreren Opern zum Thema Orpheus und Eurydike auf wissenschaftlichem Niveau auseinanderzusetzen. Zum Glück war das ein super Kurs, und alle haben mitgezogen, aber die Themenauswahl, die der Lehrplan vorgibt orientiert sich halt nicht an deinem Musikgeschmack oder am Musikgeschmack der Kinder.
Wenn man das halbwegs unterhaltsam gestalten will, steckt da eine Menge an Arbeit drin um so Themenblöcke wie "Kontrast und Entwicklung als Prinzip - Ein Medienprodukt über den ersten Satz einer Sinfonie der Wiener Klassik" oder "Auf der Suche nach neuen Ausdrucksmöglichkeiten - Musik und Malerei zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Wien" an die Schüler zu bringen, die (zum Teil) in ihrer Realität Deutschrap hören, alles mit Beleidigungen besonders cool finden und Musik ohne fetten Beat eigentlich sofort wegschalten wollen. Romantik ist auch ein großer Brenner. Also musikalisch ;-)
Natürlich kann ich es mir total einfach machen und irgendwelchen Kram aus irgendwelchen Büchern kopieren und schwupp hab ich in 10 Minuten meine Unterrichtsvorbereitung fertig, aber das ist irgendwie nicht mein Anspruch.
Die Realität sieht aber in vielen Fällen so aus. (weiß ich aus Praktika, meinem eigenen Ref, durch Kollegen, ehemalige Studienkollegen und lustige WhatsApp-Gruppen in denen Material getauscht wird, wo ich mich oftmals frage, ob die Leute kein eigenes Gehirn besitzen oder ob es wirklich so schwierig ist "Mozart Unterrichtsmaterial 5. Klasse" bei Google einzugeben und sich ein Dutzend der tausenden Arbeitsblätter rauszusuchen und daraus eine Reihe zu stricken.)
Weiter oben im Thema wurde die Angst vor problematischen Schülern angesprochen: Jep. Was machst du, wenn ein Schüler anfängt mitten im Unterricht vor der ganzen Klasse seine Arbeitsblätter zu zerreißen und aufzuessen. Konsequenzen.. natürlich.. aber nun ist der junge Mann nachgewiesen ein ESE-Schüler, also jemand, der eine emotional-soziale Störung hat und für den das völlig normal ist, sich gelegentlich seltsam zu verhalten. Der aber clever genug ist das auch zu wissen und das schamlos ausnutzt, weil man ja quasi keine Konsequenzen verhängen kann, denn dann hat man die Eltern vor der Tür, die sich dann beschweren, wieso das arme Kind, das ja eine nachgewiesene Störung hat so unfair behandelt wird.
Und bei über 400 Schülern hab ich nicht nur einen davon ;-)
Dazu kommen dann noch unzählige Konferenzen, Dienstbesprechungen, Elterngespräche, Emails, Feiern und und und.
Ich habe im Januar zusätzlich zu meiner regulären Unterrichtszeit (in NRW sind das 25,5h pro Woche) mehr als 30 Stunden in der Schule zugebracht für obengenannte Dinge. Diese Stunden tauchen nirgendwo auf und werden auch nicht bezahlt. Vorbereitungszeit hatte ich übrigens auch.
Das klingt jetzt vielleicht alles etwas negativ: Ist es aber nicht. Das ist die Realität (zumindest eine davon), die für viele Lehrer der Normalfall ist. Und als Musiklehrer hat man es da noch gut: Wenige Korrekturen (wenn überhaupt), die Schulleitung ist einem meist wohlgesonnen, weil man viel für die Außenwirkung der Schule tut, wenn man Konzerte, Musicals etc mit den Kids macht und wie im Video durchaus richtig erzählt: Viele Kids sind total dankbar, leben im Musikunterricht auf und man hat immer wieder Erlebnisse wo man sich wirklich freut, wenn man sieht, wie kreativ unsere Kids so sein können.
Aber Musik ist auch eines der - wenn nicht sogar DAS - vorbereitungsintensivste Fach. Der Lehrplan gibt nur eine grobe Orientierung vor, die Ausgestaltung ist eine ganz andere Geschichte. Wenn man da einen roten Faden durch die Unterrichtsreihe haben möchte (haben die meisten Lehrer nicht..), abwechslungsreich unterrichten möchte, was Methodik, Arbeitsform, Medieneinsatz etc angeht (machen die meisten Lehrer nicht..), dann hat man da sehr viel zu tun.
Letztes Jahr hab ich mit den Kids ein größeres Projekt gemacht und die Vorbereitung in der ich über Ideen nachgedacht habe, über Auswertung, über Vermeidung von Langeweile etc hat über drei Monate gedauert und insgesamt bestimmt 25-30 Stunden in Anspruch genommen. Sowas können die Kollegen in den Hauptfächern gar nicht leisten, weil die die Zeit in Korrekturen stecken müssen.
Es ist absolut nicht unüblich als Lehrer mehr als 50h in der Woche zu arbeiten, wenn man mal alles zusammenzählt, was man noch so nebenher tut. (und natürlich gibt es auch hier Ausnahmen)
Als ich in der Musikschule gearbeitet habe, war das deutlich entspannter. Unterrichtsvorbereitung war ein Klacks: Da sucht man mal ein neues Stück heraus oder Übungen, aber meist hat man die schnell irgendwo parat liegen, weil man sie immer wieder braucht und dann ist der Schüler für die nächsten 3-4 Wochen versorgt. Elterngespräche sind eigentlich immer angenehm (im schlimmsten Fall sowas wie "ihr Kind muss mehr Üben".. und die Organisation ist minimal bis nicht vorhanden. Vielleicht mal alle halbe Jahr ein Musikschulkonzert.
Schule ist deutlich (!) mehr Stress und es wird in Zukunft eher mehr werden, als weniger. Der Lehrermangel macht sich im Vergleich zu vor 5 Jahren schon deutlich mehr bemerkbar. Viele Kolleginnen und Kollegen sind häufiger krank, es muss mehr vertreten werden, teilweise muss fachfremd unterrichtet werden (die Schulleitungen sind angehalten die Stundentafel einzuhalten, wenn irgend möglich. Deswegen kann es z.B. sein, dass Kollegen die Musik und Bio haben nur noch in Bio eingesetzt sind, weil Musik durch Kunst ersetzt werden kann (künstlerische Fächer - Kombination), aber Bio eben nicht.) und viele Schulen arbeiten unterhalb ihrer normalen Kapazitätsgrenze.
An der Gesamtschule an der ich arbeite sind wir mit knapp über 80% besetzt. Sprich: Wenn alle Leute gesund und anwesend sind, findet 80% des regulären Unterrichts statt (ich glaube es gibt 5% Überbesetzung, also lass es 85% sein). Das bedeutet 15-20% des Unterrichts, der eigentlich stattfinden sollte ist gekürzt. Bei mir zum Beispiel Musik: Es gibt Musikunterricht nur jeweils ein Halbjahr in der 5. bis zur 7. Klasse. Danach nicht mehr. Ich bin der einzige ausgebildete Musiklehrer, abgesehen vom Schulleiter, der aber logischerweise nicht viel unterrichten kann. Er macht die 7er, ich mache einen Großteil der 5er und 6er, den Rest machen zwei Kolleginnen fachfremd. Der Rest des Musikunterrichts ist gekürzt.
Und wir wissen jetzt schon, dass es schlechter wird, denn wir wissen ja, wie viele Kinder in der Grundschule sind und wie viele Lehrer in Rente gehen und wie viele neu anfangen. Das ist ja kein Rätselraten, sondern die Zahlen sind ja da. Das Land NRW begegnet dem Ganzen jetzt so, dass Lehrer, die vorher nur in Teilzeit gearbeitet haben und dafür keinen triftigen Grund wie Kinder oder pflegedürftige Angehörige haben, dazu gezwungen werden in Vollzeit zu arbeiten. (Stress, Überarbeitung, ein Leben neben dem Job haben wollen oder einfach mal Work-Life-Balance etwas mehr Richtung Life verschieben und dafür auf Geld verzichten zählen nicht als Gründe (man könnte ja mal Burnout und Lehrer googlen..))
Und ja, ich schreibe hier wirklich "zwingen". Man muss einen Antrag stellen. Sämtliche Anträge auf bedingungslose Teilzeit wurden für das kommende Halbjahr abgelehnt. In ganz NRW. Als Beamter bist du verpflichtet Vollzeit zu arbeiten, auch wenn du aus persönlichen Gründen die letzten 30 Jahre nur Teilzeit gemacht hast. Pech halt. (man munkelt es gab vereinzelt erfolgreiche Klagen dagegen, ich kenne aber niemanden persönlich)
Kann sich jetzt jeder ausmalen, wie das die Attraktivität des Lehrberufs steigert.
Im Video wurde gesagt, dass man für das Musikerleben brennen muss und idealistisch sein muss um seinen Traum durchzuziehen und Musiker zu werden.
Ich glaube, dass das für Lehrer mindestens, wenn nicht sogar noch mehr gilt. Ich kenne niemanden, der Lehrer ist, weil das so ein entspannter, cooler Job ist, in dem man viel Wertschätzung erfährt, man sich irgendwie noch selbst verwirklichen kann und am Ende das Publikum klatscht.
Man muss für die Arbeit mit Kids brennen und für sein Fach und dann bereit sein viel dumme Organisation und Umstände in Kauf zu nehmen, die das System nach einem wirft.
Ich mach es trotzdem gerne ;-) (sehe mich aber auch selbst mehr als Lehrer, als als Musiker)