Hi,
hier gibts halt wirklich verschiedene Denkschulen, und das bestätigt sich im Thread mal wieder. Ja, mit einem ordentlichen Röhrenamp kommt man leichter in diese Sound-Bereiche, zur Not auch mit einer SG oder sogar einer Strat mit HB. Wenn man realistisch ist, klingt für den Laien eine E-Gitarre erstmal nach E-Gitarre und nicht nach Les Paul, Strat, ES oder Tele, und den Rest kriegt man wie gesagt an einem nicht gar zu einseitigen Amp gut hin. Soweit, so gut.
Ich habe für mich persönlich allerdings festgestellt, dass mich manche Sounds trotz maximal flexibler Verstärkung (Röhrenendstufe, diverse Röhrenpreamps, Boss GT-Pro, Axe-Fx II XL+...) eben doch nur mit einer bestimmten Gitarre voll überzeugen, und die muss dazu oft nicht mal über einen supertollen Amp laufen. Dazu gehören insbesondere diese "alten" Les Paul-Sounds, aber auch die spezielle Note einer Semi-Hollow oder der Klang einer Strat mit Vintage-Tremolo. In sofern gehöre ich eher zu den "Gitarren-Typen" als zu den "Amp-Typen" unter den GitarristInnen.
Tatsächlich differenziert das menschliche Ohr Klänge sehr stark nach ihrer Attack-Phase (lass sie zB bei einer Zerr-Gitarre weg, und schon klingts schwer nach Cello...), und die wird gegenüber der schlichten (und gut durch Amp und Effekte zu beeinflussenden) Frequenzverteilung eben sehr viel mehr von Konstruktion, Mensur und Hardware-Eigenschaften geprägt. Umso mehr, wenn man selbst spielt und die Reaktion auf Plektrum und Greifhand spürt.
Ich habe den Eindruck, dass es @Kaffetasse genau um diese letzten paar Prozent geht, die man mMn mit "Nachbessern" an Amp und Effekten einfach nicht erreichen kann. Das "sündige" halt, wie ers genannt hat. Und da kommt jetzt noch das ins Spiel, was so manchen die Suche nach "dem" Amp und "der" Gitarre gering schätzen lässt, nämlich die Spieltechnik.
Und da muss man sagen, dass es leider (oder zum Glück) schon stimmt, dass man nicht alles an so einem magischen Klang kaufen kann. Gerade die Sounds, die von wenig Verzerrung, sich ändernden Klangfarben und starker Dynamik leben, verlangen da auch nach viel Kontrolle des Spielers - sprich, sie sind auch schwerer zu spielen als ein HiGain-Sound. Kann man so einen erst mal grundsätzlich kontrollieren, ist seine Ausprägung tatsächlich primär vom Amp abhängig.
Alte Santana-Songs sind dagegen ein Paradebeispiel dafür, wie eine Gitarre verzerrter klingen kann, als sie es ist. Ich behaupte mal: Die wenigsten, die sie mit dem damaligen Equipment spielen müssten, würden dieses Sustain und den fetten Ton so einfach hinbekommen. Dazu muss die Kontrolle über den Anschlag und die Koordination von Greif- und Schlaghand absolut stimmen, und auch die Gitarre. Da hilft dann in der Tat eine Les Paul oder eine Yamaha SG - und die ist nun wirklich nicht vergleichbar mit der gleichnamigen Gibson. Wenn eine Solidbody noch mehr Fett im Basiston besitzt als eine Paula, dann diese alten Yamahas. Vorausgesetzt, 5 kg um den Hals machen einem nichts aus... Dennoch kann man auch hier den "sündigen" Ton nur herauslocken, wenn man sich darum bemüht.
Ich weiß, ich bin mal wieder der Langweiler im Board, wenn ich das sage, aber irgendwie haben halt alle ein bisschen recht, aber keiner alle und exklusiv:
- Der Amp macht den fetten Ton leichter, aber wenn man ihn "missbraucht", um ihn zu erzwingen, klingts doch wieder künstlich statt magisch.
- Die Gitarre sollte diesen fetten Ton auch in sich tragen, damit man ihn eben nicht erst mit dem Amp hinbiegen muss, und
- der/die SpielerIn muss einiges investieren, um herauszukriegen, wie man diesen Ton aus der Gitarre "auswringt".
Ich habe auch lange mit meinem Ton gehadert, weil ich auf einer vermeintlich fett klingenden Gitarre gefühlt wieder nur genauso wie immer geklungen habe. Mir hat dann schließlich die Vorstellung geholfen, dass jeder Finger wirklich sauber in Position sein muss, bevor das Plektrum auf die Saite trifft. Im buchstäblichen Sinn kann man das natürlich nicht umsetzen, weil es viel zu schnell und automatisiert gehen muss - aber das Konzept sollte man gerade für diese Vintage-Töne verinnerlichen. Also erst mal langsam und bewusst spielen, lieber mit dem Anschlag ein bisschen hinterher sein, aber spüren, wie der Ton dann sauber "aufgeht". Die Geschwindigkeit kommt dann irgendwann von alleine wieder dazu. Selbst dann, wenn man schon ziemlich präzise und schnell spielen kann (oder sogar gerade dann), hilft es für diese Classic Rock-Spielweise mMn sehr, sich erst mal ein bisschen zurückzubesinnen auf Tonbildung und -formung.
Ich finde, dass eine Gitarre dann auch umso mehr nach sich selbst klingt, wenn man sich auf ihre Eigenheiten einlässt und mit verschiedenen Ansätzen herauszufinden versucht, wie man den für sie typischen Ton aus ihr herauslockt.
Gruß, bagotrix