Noch nicht einmal das Notenpapier ist linear: Zwischen e-f und h-c besitzt das Liniensystem zwei (unsichtbare) Sprungstellen, obwohl der Abstand zu den Nachbarlinien genauso ist, wie bei den restlichen Linien
Du wirfst unterschiedliche Funktionen der Notation durcheinander: Nicht das
Liniensystem besitzt "Sprungstellen", sondern unser
Tonsystem, das durch das Liniensystem räumlich dargestellt werden kann. Dem Liniensystem sind
e-f oder
h-c egal - und das ist auch gut so, und ganz im Sinne der Erfinder!
Das
Liniensystem dient zur visuell nachvollziehbaren Rasterung eines Tonraums und somit in seiner Grundfunktion allein zur
relativen Darstellung der Diastematik, d.h. der Veränderung von Tonpositionen im Sinne von
"F1 ist höher / tiefer / gleich F2".
Diese Neutralität der Linienanordnung gegenüber den unterschiedlichen Schrittweiten mancher Tonsysteme und ihren erst noch genauer zu definierenden konkreten Tonhöhen schafft erst die Voraussetzung, das Liniensystem vielfältig, d.h. für unterschiedliche Tonsysteme, unterschiedliche Stimmungssysteme und unterschiedliche Stimmumfänge bzw. unterschiedliche Instrumente nutzen zu können.
Da das Liniensystem gegenüber den Schrittweiten von Tonabständen neutral ist, bedarf es zu seiner konkreten Nutzung weiterer Prämissen, nämlich die Festlegung auf einen konkreten, meist pragmatisch im Sinne guter Lesbarkeit bestimmten
Tonbereich, und auf ein bestimmtes
Tonsystem:
1. Bezüglich guter Lesbarkeit gilt, dass die zentralen Töne einer Stimme / eines Instruments möglichst im Hauptsystem der Linien liegen, d.h. möglichst wenig Hilfslinien notwendig werden. Da Instrumente meist einen größeren Tonumfang nutzen können, kann das Hauptsystem bekanntlich mit Hilfslinien erweitert werden - aus Gründen der visuellen Kapazität sollten dies maximal fünf Hilfslinien oberhalb bzw. unterhalb sein, was einen Umfang von 31 unmittelbar darstellbaren Tonpositionen (4 Oktaven plus 1 Ton) ergibt.
2. Um über Tonhöhen kommunizieren zu können, verwenden wir - zumindest in unserem unmittelbaren Kulturbereich - sogenannte Tonbuchstaben, wobei wir aus historisch gewachsenen Gründen von einem
heptatonischen, d.h. einem siebenstufigen Tonsystem und den ersten sieben Buchstaben des lateinischen Alphabets ausgehen (A B C D E F G). Da unsere Tonbenennungen zudem vom Phänomen der Oktavidentität ausgehen, lassen sich die Tonbuchstaben auf unterschiedliche Oktavräume übertragen (A-a-a1, B-b-b1 usw.). Im Lauf technologischer Entwicklungen hat man dann den Tonbuchstaben zunächst relative Tonhöhenbereiche zugeordnet, später absolute Frequenzen, wie den Stimmton a1=440 Hz.
Aus diesen beiden Punkten ergibt sich ein grundsätzliches Problem: Um auch über die Tonpositionen im Liniensystem kommunizieren zu können, ist es natürlich sinnvoll, ein bereits etabliertes Kommunikationsmittel zu verwenden, nämlich die Tonbuchstaben. Da nun aber Tonbuchstaben auch mit bestimmten Frequenzbereichen assoziiert werden, wäre es nicht im Sinne der Notations-Erfinder, einfach eine der Notenlinien im Sinne eines genormten Stimmtons festzulegen (z.B. 1. Linie = a1), weil dabei bereits die mittleren Tonlagen eines Bassisten oder eines Flötisten überhaupt nicht mehr im 5-Linien-Bereich darstellbar wären - für das E der tiefsten Gitarrensaite würde man bei 1. Linie = a1 acht Hilfslinien nach unten benötigen, während das besser lesbare Hauptsystem kaum genutzt würde.
Die Lösung des Problems: Jedes Instrument / Stimmregister verwendet einen
eigenen Bezugston, um möglichst viele Töne seines Mittelbereichs im Hauptsystem darstellen zu können! Da dieser Bezugston zugleich der
Schlüssel zum Dekodieren einer notierten Tonfolge ist, wird er auch als solcher bezeichnet. Bei tiefen Registern (Bass, Linke Hand beim Klavier) ist dies in der Regel der Ton f (daher "F-Schlüssel") auf der 4. Notenlinie, bei höheren Registern hat sich der G-Schlüssel (umgangssprachlich auch "Violin-Schlüssel") auf der 2. Linie durchgesetzt, der das g1 markiert (bei der Gitarre das "g", weil diese "oktavierend" notiert wird).
3. Der letzte Punkt betrifft das jeweils notierte Tonsystem, was im Fall der "abendländischen Musik" nicht nur
heptatonisch, sondern auch
diatonisch ist. Dies bedeutet, dass die Tonschritte zwischen den sieben Tonstufen nicht durchgehend gleich groß sind, sondern dass sich an zwei Positionen kleinere Distanzen befinden, die sogenannten Halbtöne. Bezogen auf die Tonbuchstaben der sogenannten Stammtöne befinden sich die kleinen Schritte zwischen E-F und B-C (im deutschsprachigen Raum H-C) - das muss man beim Lesen bereits schon vorher
wissen, denn die Darstellung von Intervallgrößen ist im Liniensystem nicht vorgesehen, weil allein die Schlüsselung bestimmt, wo Tonpositionen als Halbtonschritte zu lesen sind.
So liegen beim G-Schlüssel die Halbtöne natürlich an einer anderen Linienposition, als im F-Schlüssel, womit also geklärt sein dürfte, warum sich dieser Unterschied der Tondistanzen nicht auch noch in unterschiedlichen Linienabständen niederschlagen muss - abgesehen davon, dass es Instrumente gibt, bei denen die Schlüsselung innerhalb eines Stücks mehrfach wechseln kann, was z.B. die Verwendung vorgedruckten Notenpapiers unmöglich machen würde!
NB: Ursprünglich wurden die Linien zur Markierung der HT-Positionen farblich gelb oder rot eingefärbt, wodurch sich ebenfalls unterschiedliche Linienabstände erübrigten.
Anders ausgedrückt: Wer den
Sinn eines Systems nicht zu erfassen vermag, sollte dies nicht voreilig auf angebliche Unzulänglichkeiten bei der
Darstellung eines Systems schieben.