Klingt zunächst einleuchtend, hat aber einen mathematischen Haken:
Musikalische Intervalle sind Indizes für Tonhöhenabstände und werden bekanntlich durch Ordinalzahlen bezeichnet.
Da es aber keine negativen Ordinalzahlen gibt und die Null als erste Ordinalzahl gilt, ist die erste mögliche Tonhöhendistanz zwischen zwei Tönen Null. Dieses "erstmögliche Intervall" wird bekanntlich als Prime bezeichnet.
Die Null ist weder negativ noch positiv, d.h. es gibt weder eine -0, noch eine +0 (außer bei Finanzministern).
Führe ich also Chromatisierungen auf die diatonischen Stammintervalle zurück, dann wäre zwar a-as auf a-a und somit auf eine Prime und die Tonhöhendifferenz Null zurückführbar, die Tiefalteration zum as ist aber nicht als "negative = verminderte Null" interpretierbar.
Alles nachvollziehbar, wenn, ja wenn es sich dabei wirklich um ein
mathematisches Problem handeln würde.
Nun sind die Ordinalzahlen im Zusammenhang mit den Intervallen meiner Kenntnis und Auffassung nach nicht mehr als
Namen für die Intervalle, also keine eigentlich mathematisch und zum Berechnen gedachten Platzhalter. Die Verwendung der lateinischen Zahlwörter sollte meiner Meinung nach nicht über diesen Sachverhalt täuschen. Die Intervall-Namen zählen die Intervalle ihrer Größe nach auf, mehr nicht.
Der Abstand der Prime ist gleich Null, hätte man sie mathematisch bezeichnen wollen, hätte man ihr sicher den Namen "Nulla" gegeben. Mit "Prime" ist aber einfach das
erste Intervall in der Reihenfolge der Intervalle gemeint.
Daher bleibe ich bei meiner Aussage, dass eine ´negative´ Richtungsbezeichnung wie "verminderte Prime" zulässig ist. Dass ich diese Bezeichnung konsistent und sinnvoll praktikabel finde (wo sie passt), habe ich ja schon mehrfach versucht zu begründen.
Zu den Zahl-Bezeichnungen noch ein Vergleich:
Früher hatten die Stufen in den Gymnasien ebenfalls aus dem Lateinischen entlehnte Zahl-Bezeichnungen. Als ich 1970 auf´s Gymnasium kam, war ich tatsächlich noch "Sextaner", da ich in die "Sexta" kam (heute die 5. Klasse). Und dann ging es nach Stufen aufsteigend, aber nach den Zahlwörtern absteigend weiter: Sexta, Quinta, Quarta, Untertertia, Obertertia, Untersekunda, Obersekunda, Unterprima und der Abiturjahrgang (13. Klasse) schließlich Oberprima. Mit den Suffixen "Unter-" und "Ober-" hatte man aber die reine Zahlwort-Folge verlassen, womit klar war, dass diese Bezeichnungen ebenfalls nicht mathematisch, sondern nur als Namen zu verstehen waren.
Rechnen ließ sich auch nicht damit. Wenn z.B. jemand in der "Tertia" sitzen blieb, dann kam er mitnichten wieder zurück in die "Sexta", wie es mathematisch nach der Berechnung 2x3=6 eigentlich hätte folgen müssen, sondern er blieb in der "Tertia" (Unter- oder Ober-, je nachdem)
.
Man könnte ja ein neues Benennungs-System für die Intervalle erfinden das dann ganz einheitlich und frei von Widersprüchen und Missverständnissen wäre. Aber so konservativ-beharrend wie ich die Musikwelt kenne (in diesem konkreten Zusammenhang wirke ich sicher selber sehr konservativ und beharrend
) gebe ich einem neuen System dafür keine Chance, sich durchzusetzen.
Ich fände das aber auch gar nicht sinnvoll. Die gängigen Bezeichnungen sind international bekannt, Missverständnisse meist nur harmlos und schnell geklärt.
Es hat eine ganz gute Konsistenz und geht gut mit dem abendländischen Tonsystem zusammen. Auch und nicht zuletzt die Tatsache, dass sie die Geschichte unseres Tonsystems bis zurück in die Antike abbilden, finde ich gut. Geschichtslosigkeit schätze ich gar nicht.