Ich fürchte, die Gründe beruhen überhaupt nicht auf bewussten Firmen-Strategien, sondern sind völlig trivial. In den größeren Firmen wurschteln im Lauf vieler Jahre gewachsene Unterabteilungen schockierend unkoordiniert nebeneinander her, und es gibt anscheinend weder die kompetente Führung noch den Willen noch den nötigen finanziellen Aufwand, die verschiedenen Produktlinien zu koordinieren und unter ein Dach zu bringen. Statt dessen wird in jedem Einzelbereich getrennt fleißig gespart und outgesourct - was die Qualität sicher nicht hebt.
Anders als bei der riesigen Autoindustrie, die nur in breit gefächerter, international organisierter Modulbauweise gewinnträchtig überleben kann, reden wir hier von einer kleineren Unterabteilung des Musikmarktes, mit beschränkten Gewinnmargen und zunehmender Bedrohung durch Software-Lösungen. Die sparen sich schlicht den Struktur-Aufwand, ihre Produktlinien unter ein gemeinsam durchorganisiertes Dach zu bringen, und jedes Projekt-Team wurschtelt fröhlich an der eigenen Produktlinie, mit eigenem Code, eigenem Design etc.
So entstehen dann nicht weiter unterstützte Einmal-Prdukte wie der Kingkorg, der null mit der Radias-Produktlinie und ihrem Knowhow verknüpft ist und daher in seinen Funktionen Fortschritt und Rückschritt gleichzeitig ist, oder der Jupiter-80, der mit seinem aberwitzigen Registrierungen-Layout ein totaler Alleingang ist und weder den Fantom G sinnvoll fortsetzt noch die Zugänglichkeit und Struktur des Jupiter 8 bietet. Oder Kronos-Updates können weder die Piano-Roll aus dem M3-Sequencer ohne Riesen-Aufwand übernehmen noch vom Knowhow der PA-Linie profitieren. Oder es wird ein Montage entwickelt, der weder die Workstation-Funktionalität sinnvoll in die nächste Generation bringt noch von den Tyros-Artikulationen profitiert, und für den - trotz mehrjähriger Entstehung - erst nachträglich ein Software-Übersetzer entwickelt werden muss, damit das weiterentwickelte FM-Modul fähig wird, Files der eigenen früheren Produktlinie einlesen zu können!
Das ist alles halb organisiertes Chaos und hat mehr Ähnlichkeit mit dem Bau des Blaumilchkanals als mit smarter Firmenstruktur und Produktorganisation. Kurzfristig scheint den Firmen dies Vorgehen wahrscheinlich preiswerter und bequemer zu sein, als die Entwicklung einer übergordneten Struktur. Langfristig ist es m.E. aber ungefähr so profitabel, wie sich täglich abwechselnd in beide Füße zu schießen.