Naja, der von Dir gelobte AxeFx wird damit beworben, das seine Entwickler das spezifische Verhalten diverser Röhren-Typen "entschlüsselt" haben und 1:1 digital nachbilden können. Kann man alles auf deren Website nachlesen. Wie können die etwas kopieren, was es Deiner Meinung nach nicht gibt?
Ich habe nirgendwo behauptet, es gäbe kein spezifisches Verhalten technischer Bauteile. Und dieses Verhalten kann man inzwischen auch erschreckend gut nachbilden. Es gibt nur den einen "Röhrensound" nicht. Genau so wenig wie den "Marshall-Sound" oder den "Boogie-Sound".
Wer sich mal durch die diversen gleichen Modelle verschiedener, für (von wem eigentlich???) amtlich befundener Amps der 70er und 80er gespielt hat, weiß, dass z.B. der eine JCM 800 eine Macht sein kann und das baugliche Modell daneben ein lauer Furz, wenigstens sind die Amps aber oft schon recht unterschiedlich im Sound. Welcher repräsentiert denn nun den Marshall-Sound?
Dann wechselt man die Box. Und plötzlich geht die Sonne auf, oder unter. Man meint förmich einen anderen Amp vor sich zu haben. Anprache und Klangverhalten, Zerrstruktur und Dynamik ändern sich bei Boxenwechsel mitunter deutlich. Haben die Röhren jetzt irgendwie nix mit zu tun.
Ja und dann kommt der Rockabilly-Typ und der Heavy-Rectifier klingt schlagartig wie ein Deluxe Reverb... Ja, die Klangformung durch den Gitarristen sollte man auch nicht außer acht lassen!
Die Röhren (deren klangspezifische Eigenschaften mit der Beschaltung übrigens lustig beeinflussbar ist) sind hier auf jeden Fall
nicht die soundgebend Konstante.
Für mich jedenfalls ist unstrittig, dass -zig "Trademark"-Sounds diverser Röhrenverstärker eben nicht mit Transistorgeräten exakt abbildbar sind. Obwohl genau das seit Einführung von Transistoramps in den 70ern (genau wie bei den Modellen in den letzten 15 Jahren) das erklärte Ziel der Hersteller war.
Nun diesen "Trademark-Sound" streite ich ja (
edit: für das Bauteil Röhre) ab. Und darüber, wie exakt jetzt ein Sound dem anderen gleicht, kann man nicht wirklich streiten. Mir würde ja schon ein
guter Sound reichen.
Die Hersteller wollten jedoch lediglich eine günstige Einsteigerlösung und sich nicht mit gleich guten und gleich teuren Transistorverstärkern selber Konkurrenz machen. Da man Transistor-Amps deutlich günstiger bauen kann, war damit der Weg frei für die Erweiterung der Produktpalette nach unten.
edit: Im Übrigen arbeiten die Digital-Modeller-Hersteller daran, in ihrem jeweiligen Produkt eine Art "Trademark-Sound" für das nachzubildende Modell zu prägen. Denn die nehmen sich ja meist ein ihrer Meinung nach typisch und gut klingendes Exemplar als Grundlage für die Algorithmen. Was dabei als "typisch" rumkommt, ist wiederum aber eher Zufall und Geschmacksache der Entwickler.
Andererseits gibt es auch viele Transistor-Amps mit eigenständigen Sounds, die so wiederum kein Röhrenamp liefert: Der Cleansound des JC-120 bspw. oder auch der bei Jazzern sehr beliebte Polytune Mini Brute. Einige meiner Lieblings-Metal-Sounds stammen von Fransen: Pantera, Prong, White Zombie. Alles Sounds, die man so nicht mit einem Röhren-Amp 1:1 hinbekommt.
Du wirst es mir ggf. nicht glauben, aber ich habe schon einen sehr geilen Vollbratton aus einem (allerdings getunten) JC 60 gehört. Ich hielt das für unmöglich und fand den Sound einfach mega-geil. Warum sollte nicht auch Pantera über Röhrenamps so klingen, wie über die Heavy Transen?
Was man als "besser" oder "schlechter" empfindet, ist subjektiv. Aber das diese Amps nicht aufgrund der verwendeten Technologie anders klingen würden, ist doch offensichtlich falsch.
Nein. Offensichtlich ist, dass es uns allen nur seit 40 jahren eingeredet worden ist, es sei so. Und die wenigen Beweise, das es geht, haben sich kommerziell nicht durchgesetzt und sind deshalb einfach unbekannt.
Ich bin wiederum völlig bei Dir, dass die Haltung Quatsch ist, dass ein Röhren-Amp grundsätzlich überlegen und unabdingbar sei.
Das ist fein.
Genauso nervt mich allerdings der Missionarseifer vieler Leute, die mich von der "objektiven" Überlegenheit von AxeFx überzeugen wollen. Wie gesagt: Wenn man mal die Variabilität außen vor lässt (die ja unbestritten ist) und nur den Sound bewertet, dann kann man an der Stelle auch mal nüchtern feststellen: Ist ja tooootaaal crazy, dass man im Jahr 2014 (!) mit Digital-Technologie genau das hinbekommt, was mit primitiver Röhren-Technologie schon ab den 50er Jahren des vergangenen Jahrtausends möglich war. Flasht mich jetzt nicht so ...
Sowas nervt mich auch. Ich hoffe Du glaubst mir, dass ich bezüglich Equipment keinerlei Missionarseifer an der Tag lege.
Ich finde es toll, wenn jemand wie z.B. der Gitarrist von Alphaville einfach mit Gitarre und Pedalboard zum Gig kommt, sich da zwei gemietete Amps hinstellen lässt, die Klangregelung einstellt, in dem er ein Kabel in den Amp-Eingang steckt und den Daumen auf den Klinkensteckerkopf hält. Das entstehende Brumm-Geräusch nimmt er dazu als Tonreferenz. Dann Gitarre->Pedalboard ran und: Toller Sound.
Ich finde es überhaupt toll, wenn jemand einen guten, kultivierten Ton hat. Die Technik des Equipments spielt für mich dabei keine Rolle.
Im übrigen nervt Missionarseifer immer. Seien es Axe-Fx Fanboys oder Boutiqueamp-Jünger.
LG Jörg