Und... erneut bin ich etwas spät dran mit meinem Senf, aber weil es so schön ist, gebe ich ihn dennoch mal dazu.
Wenn wir für die heutige Zeit "das Ende der
E-Gitarre" konstatieren, dann müssen wir in die Vergangenheit schauen und überprüfen, ob und was da denn anders war.
Fakt ist: Die (E-)Gitarre hat das gesamte Musik-Verständnis der Menschheit entscheidend und nachhaltig verändert. Sie war in den 1960er und 1970er Jahren DAS relevanteste Instrument überhaupt - die großen Entwicklungen der populären Musik gingen von ihr und auf ihr aus. Deshalb war damals als Musiker relevant, wer (E-)Gitarre spielte, er war ein "Held". Zudem ist die Gitarre ein Instrument, das zum einen portabel ist, zum anderen am Anfang leicht zu erlernen (jeder kann innerhalb eines Tages Powerchords lernen und am nächsten Tag in einer Band einsteigen). D.h. die Barriere, Musik zu machen, lag mit der Gitarre so niedrig wie niemals zuvor.
Was hat sich verändert? Drei Entwicklungen: in den 1970er und noch stärker den 1980er Jahren kamen
Synthesizer auf, mit denen man wie eine ganze Band klingen konnte, auch ohne ein ausgebildeter Pianist zu sein. Zudem trat Ende der 70er ein gewisser Sättigungseffekt bei den Hörgewohnheiten der Konsumenten ein. Wir haben also einen ersten Gegentrend zur Gitarre, bzw. zur bis zu diesem Zeitpunkt populären Gitarre, weshalb Gibson,
Fender und Gretsch auch (fast) zugrunde gingen in den frühen 1980er Jahren. Die Gitarre überlebte, weil sich Musikstile herausbildeten, die sie relevant hielten - (NWOBHM-/Thrash/Westcoast)Metal, aber auch sowas wie U2 oder The Cure modernisierten das, was auf der Gitarre stattfand. ABER: Bereits in den 1980er war die Gitarre nicht mehr DAS relevante Instrument in den Charts. Sie wanderte eigentlich in Richtung Nische. Auch wenn Grunge und Nu Metal in den 90ern da nochmal für Spikes in der Popularität sorgten, wurde die Gitarre nie mehr das relevante Instrument des absoluten Mainstreams.
Zweite Entwickung:
EDM, bzw. die Produktion von Musik völlig ohne Instrument - am Computer. Diese sich seit den 1990er Jahren entwickelnde Sache ist heute so omnipräsent, dass wirklich jeder Depp Musik produzieren kann, der halbswegs ein bisschen Musikverständnis hat. Auch eine größere finanzielle Investition ist nicht mehr nötig. Er braucht dazu nur ein Smartphone mit Garage Band drauf, das ist für mich der Gipfel der Entwicklung. Die musikalische Relevanz hat sich also auch seit dem Synthesizer weiterentwickelt zur, letztlich, Sample-Tätigkeit, die das Beherrschen von Instrumenten nicht mehr braucht. Die Anstrengung, ein Instrument zu erlernen, entfällt. Das passt auch wunderbar in die Mentalität unserer Zeit, in der jeder jetzt sofort unmittelbar ein Erfolgserlebnis haben will, und keiner mehr bereit ist, sich länger mit etwas - Lesen, Schreiben, Musikmachen, Musikhören! - zu beschäftigen. Die heute in der öffentlichen Aufmerksamkeit relevante Musik ist weitgehend ohne Instrumente produziert und kommt auch weitgehend ohne Gitarre aus. Auch weil es viel günstiger in der Produktion ist.
Dritte Entwicklung:
Online-Märkte wie ebay, Craigslist, jetzt auch Reverb. Noch in den 1990ern war es relativ schwierig, gebraucht an ein bestimmtes Instrument zu kommen. Man musste entweder die spärlichen Kleinanzeigen von Musikinstrumenten durchforsten, oder auf gut Glück in den lokalen Musikladen latschen und schauen, was dort eventuell verfügbar war. Die Folge: Bei einer Anschaffung dachte man zunächst immer an ein neues Instrument. Das befeuerte freilich die Industrie. ABER: Mit dem Aufkommen von ebay et. al. und der Etablierung von Versand als akzeptiertem Warentausch vervielfachte sich das Angebot an gebrauchten Instrumenten. D.h. wer heute eine bestimmte Gitarre sucht, hat gute Chancen, diese relativ schnell und ohne Anstrengung (sh. oben) gebraucht zu finden. Gleichzeitig wird überall kolportiert, dass gebrauchte Gitarren "besser" seien - teilweise auch berechtigt, denn Gitarren altern ja nicht negativ. Die Folge: Keiner "muss" mehr ein neues Instrument kaufen, sofern es sich nicht um eine Neuentwicklung handelt. Die allerdings wollen die traditionell konservativen Gitarristen nicht. Der Rückgang der Verkaufszahlen von Fender, Gibson etc. fällt zeitlich übrigens mit dem Aufkommen und Wachsen des online-Gebrauchtmarktes zusammen. Ein Schelm, wer da keinerlei Zusammenhang sieht.
Wir haben also schwindende Relevanz im Mainstream seit den 1980ern, Konkurrenz durch leichter am Computer gesampelte Musik, und zugleich ein endloses Anwachsen des Gebrauchtmarktes mit leichter Verfügbarkeit - dies alles trägt zu den aktuellen Problemen der Gitarrenindustrie bei.
Finde ich das schlecht? Nicht unbedingt, und zwar unter ökologischen Gesichtspunkten. Was immer noch an Millionen und Millionen von Billiggitarren jeden Tag vor allem in China produziert wird, ist ökologisch eine Katastrophe und muss eigentlich auch nicht sein. Deshalb finde ich eine generelle Konsolidierung und vielleicht Rückbesinnung auf Qualität statt Quantität ganz spannend. Im übrigen glaube ich nicht, dass die E-Gitarre ausstirbt. Und ich habe auch kein Problem damit, dass es sich um ein Nischeninstrument handelt. Nach wie vor gilt man als sexy, wenn man Gitarre spielt - auch in den Augen von Menschen, die sonst nur am Computer produziertes Zeug hören. Wo ist also das Problem?