Für mich ist das ein Problem selber zu filtern. Das bedeutet nämlich das ich mir jede Menge Schrott anhören muss bevor ich mal eine Perle finde. Klar, früher sind mir einige Bands durch die Lappen gegangen weil die zufällig von den Medien und den Platttenfirmen links liegen gelassen wurden obwohl sie es drauf hatten. Die Wahrscheinlichkeit ist heute aber recht gering, das mir ausgerechnet diese Band irgendwie auffällt einfach weil sie in der Masse untergeht. Sich selbst den ganzen Kram zu filtern finde ich extrem zeitaufwändig und soviel Langeweile habe ich persönlich nicht.
Mich persönlich (als Mensch) stört es nicht, wenn ich mich durch 100 oder 200 Platten wühlen muss, bis ich mal eine finde, die mir zusagt. Ich habe da auch keine Langeweile bei, sondern sehe es als "Abenteuer" an, auf die Suche nach neuen Sounds zu gehen. Und ich habe dabei auch schon unendlich viele Musiker gefunden, die mir super gefallen, aber oftmals nie in irgendwelchen Charts waren und oft sogar gar keinen Plattenvertrag haben, z. B.
Coco & De Belles - "Ik Spring Op En Neer". Allerdings habe ich auch zunehmend das Problem, dass mir oft schlichtweg die Zeit fehlt, weil einfach das Angebot immer größer, die Ausbeute aber immer kleiner wird. Da wäre eine gewisse Art von Vorsortierung schon von Vorteil, wie du ja schon geschrieben hast:
Ich fand es besser, als die Musikindustrie und die Medien ein wenig vorsortiert haben, auch wenn dieses System fraglos Mängel hatte.
Hmm... ich muss auch sagen, dass die Musikindustrie da heutzutage ein Problem hat - und zwar weil im Laufe der Jahre und Jahrzehnte immer mehr unterschiedliche Musikrichtungen entstanden sind, und der Markt sich dadurch immer mehr aufgesplittet hat. Schauen wir doch mal in die 50er/60er zurück, da waren auf dem Unterhaltungsmusik-Markt praktisch nur zwei Musikrichtungen wirklich relevant: Pop/Rock mit seinen Variationen (Rock'n'Roll, Beat...) auf der einen Seite, und Schlager auf der anderen. Diese Musikrichtungen waren musikalisch meist recht einfach strukturiert, hatten eingängige Melodien und sprachen so eine breite Masse an Leute an. Man hörte sich die Schallplatten an, aber die Lieder waren auch so aufgebaut, dass man sie relativ leicht nachsing- und -spielbar waren. So entstand übrigens auch der Begriff "Schlager", ein Song, der bei einer breiten Bevölkerungsschicht regelrecht "einschlägt" und akzeptiert wird. Lediglich Jazz und Klassik waren damals schon "Nischen-Genres", die von den Mainstream-Medien weitgehend abgeschottet existierten. Ansonsten wurden Pop/Rock und Schlager von der Mehrheit der Bevölkerung gehört und konnten so problemlos im Radio und Fernsehen laufen. Im Grunde brauchte man auch nur zwei Sender: Der eine sendete dann Pop/Rock (Elvis, Beatles, Rolling Stones usw.), der andere Schlager (Freddy Quinn, Peter Alexander usw.).
Im Laufe der Zeit kamen jedoch immer mehr Musikrichtungen hinzu, die vor allem härter und unmelodischer wurden (Punk, Metal, Gothic, Hip-Hop, Techno, Gabber usw.), aber alle jeweils ihre Fangemeinde fanden. Was allerdings offensichtlich nicht mehr funktionierte, war der Versuch, diese ganzen Musikrichtungen gemeinsam in ein und dasselbe Radio- und Fernsehprogramm zu packen. Es bildeten sich unterschiedliche Jugend-Subkulturen ("Szenen") heraus, die sich durch ihre Musik abzugrenzen versuchten, und mit den jeweils anderen Musikrichtungen nichts zu tun haben wollen. Das geht sogar so weit, dass selbst artverwandte Musikrichtungen gegenseitig runtergemacht werden, siehe z. B. die Diskussionen zum Thema Trance vs. Hands Up, oder Techno vs. Hip Hop. Im Gegenzug verliert der klassische Mainstream-Pop und Schlager an Marktwert. Jemand wie Unheilig oder Helene Fischer finden sicherlich den ein oder anderen Hörer in ihrer Zielgruppe, aber es kommen eben nicht mehr solche einfachen, aber trotzdem guten Melodien dabei raus, wie es bei alten Songs wie etwa "The House Of The Rising Sun" oder
"Ein bisschen Goethe, ein bisschen Bonaparte" der Fall war.
Es ist verständlich, dass die großen Plattenfirmen diese enorme Bandbreite nicht vernünftig bieten können, weil sie selber nicht mehr wissen, was nun ankommt bei den Leuten und was nicht. Einen Titel wie "Nein Mann" von Laserkraft 3D hätte vor ein paar Jahrzehnten kein Label veröffentlicht. Heute landet sowas in den vorderen Chartregionen. Andersrum gibt es Songs, die unglaublich eingängige Melodien haben, von denen man eigentlich überzeugt ist, dass sie beim Publikum super ankommen müssten, aber Fehlanzeige:
"Flying The Flag" von Scooch etwa hatte eine Top-Promo (englischer ESC-Beitrag), trotzdem wollte die Platte dann fast keiner kaufen. Auch
diesem holländischen Song würde ich super Hitpotential zutrauen - aber der wurde bislang hier in Deutschland gar nicht erst veröffentlicht und ist bislang nur über Youtube & Co. erhältlich. Der Song
"Nemmt mich met" ist im Kölner Raum längst Kult - aber eben nur dort, weil der Song bislang nur in Kölner Mundart vorliegt. Die Platte ist bei EMI erschienen - die haben also die Rechte - aber nicht mal die scheinen ein Interesse daran zu haben, diesen Wahnsinns-Ohrwurm mal mit einem englischen etc. Text zu versehen und entsprechend zu promoten... Offenbar scheint man selbst mit derart eingängigen Melodien kein Geschäft mehr machen zu können - weil es "ja nicht cool" ist. Die Teenie-Szenen ziehen sich hingegen immer mehr Songs ohne großartige Melodien und damit ohne hohen Wiedererkennungsfaktor rein (z. B. Eminem). Diese Songs sind dann nicht mehr vernünftig nachsing- und -spielbar...mit ein Grund dafür, warum Hausmusik, Musizieren in der Freizeit etc. immer unbeliebter wird. Selbst in den 90ern sah das noch etwas besser aus... da gab es zwar auch schon oft Rap-Einlagen etc., aber Dance-Hits wie "Mr. Vain" oder "Generation Of Love" basierten immer noch auf einer gut gemachten, eingängigen Melodie. Aber scheinbar polarisieren solche Sachen immer mehr, und die Plattenfirmen wissen selber nicht mehr, was sie veröffentlichen sollen und was nicht.
Sicher gibt es noch den ein oder anderen Song, der musikalisch sehr anspruchsvoll ist, und trotzdem ein totaler Ohrwurm ist, z. B. "The Show Must Go On" von Queen, und so dann wirklich fast ausnahmslos jedem gefällt. Aber um einen solchen Song zu schreiben, muss man schon ein absolutes Ausnahmetalent sein; ein "Durchschnittskomponist" bzw. gar ein Amateur schafft so etwas eben nicht...
Das ist das gleiche wie die 500 Fernsehprogramme die man heute empfangen kann. Ist hier irgendwer der Meinung, die Qualität des Programms hätte sich durch die Masse verbessert?
Nee... aber auch hier ist das Problem, dass es im Laufe der Zeit immer mehr Themen gab, über die man berichten konnte, und sich dadurch der Publikumsgeschmack immer weiter ausdifferenziert hat, und keine Sendung mehr richtig hohe Einschaltquoten vorweisen kann. Ausnahmen dürften noch Events wie die Fußball-WM sein. Im Fernsehen kommt auch immer mehr zum Tragen (genau wie bei der Musik), dass die Sender versuchen, sich auf die schmale Gratwanderung zwischen Massen-Unterhaltung und etwas spezielleren Sachen zu bewegen. Doch letztlich scheiten sie damit alle, weil die Zuschauer längst ins Internet abgewandert sind und sich bei Youtube & Co. durchklicken. Nur entsteht da auch wieder genau das Problem wie bei der Musik auch: Man muss auch mal in 100 oder 200 Schrott-Videos klicken, um mal eins zu finden, was man brauchen kann. Und da fehlt einfach vielfach die Zeit für.
Das Problem lässt sich im Grunde nur durch eine Art "Regelung" lösen, wo irgend ein "Diktator" uns vorzuschreiben hat, was wir hören dürfen und was nicht. Die Frage ist, ob sich die Musikfans umorientieren würden, wenn es "ihre" Musikrichtung plötzlich nicht mehr geben würde, oder ob sie dann nicht einfach gar keine Musik mehr hören würden. Einmal angenommen, man würde die Death-Metal-Sparte "dicht machen". Würden die Death-Metal-Fans dann auf einmal anfangen, z. B. Pop zu hören? Würden die Trance-Fans anfangen, Schlager zu hören, wenn es Trance nicht mehr gäbe? Fakt ist jedenfalls, dass ein derart unübersichtliches Angebot an immer neuartigen Stilrichtungen (Thrash-Metal, Electro-Progressive-House, Merengue, Krautrock, Crunk, Jumpstyle, Latino-Electro, 2 Step...) in der Praxis einfach nicht finanzierbar ist, weil sich die Konzert- und Partygäste sowie CD/MP3-Käufer immer mehr verteilen, und fast keine Veröffentlichung mehr auf hohe Zahlen kommt.
Früher war das alles noch einfacher: Da konnte z. B. eine Amateur-Coverband einen (damaligen) Charthit wie "Rock Around The Clock" oder "Skinny Minny" vortragen, und alle anwesenden Leute kannten und mochten die Musik - wie man so schön sagt, "die Musik verbindet". Ich weiß noch, als ich Anfang der 90er in der Schule war, orientierte ich mich - und alle anderen Klassenkameraden auch - an den "normalen" Charts. Jeder, aber auch wirklich JEDER konnte was mit den Titeln anfangen, egal ob es jetzt Ace Of Base, Michael Jackson, Madonna, Pur, Bon Jovi, Snap oder Dr. Alban waren. Alles war bekanntes, massenkompatibles Material mit hohem Wiedererkennungswert. In den modernen Zeiten der immer weiter zersplitteten Musikszene gibt es dieses Zusammengehörigkeitsgefühl nicht mehr. Es kommt oft kein Gespräch zusammen, weil der eine von Songs schwärmt, die der andere nicht kennt, und umgekehrt. Früher war das noch anders, da wurde ein Song im Fernsehen gespielt, und am nächsten Tag hat sich die ganze Schule drüber unterhalten, weil fast alle dieselbe Sendung gesehen haben. Aber heute... schaut sich zwar jeder bei Youtube irgendwelche Videos an... aber jeder findet ganz andere... somit kennen nicht mehr alle Leute dieselben Tracks. Und da gebe ich meinen Vorschreibern schon Recht.
DJ Nameless