Takt und Betonung

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Kaiari
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Ich kann meiner Klavierlehrerin im Moment leider nicht fragen, daher hoffe ich das ihr mir etwas weiterhelfen könnt :).

Bei einem 3/4 Takt soll man ja immer den ersten Schlag betonen. Ist das immer so?
Ich übe nämlich gerade ein Lied aus einem Übungsheft und da ist auch eine CD mit bei. Da hört sich das beim abspielen des Liedes nämlich nicht so an. Da wird manch mal der Erste Schlag betont gespielt und manch mal nicht.
 
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Hallo und willkommen im Musiker-Board! :)

Ich übe nämlich gerade ein Lied aus einem Übungsheft und da ist auch eine CD mit bei.
Bitte nenne uns doch Titel und Autor des Hefts und den des Stücks, um das es dir geht. Gegebenenfalls bräuchten wir auch die Nummern der Takte, bei denen Du unsicher bist.

So können wir dir konkreter antworten und weiterhelfen.

Gruß Claus
 
Ich bin noch Anfänger, daher nicht lachen.
Es ist das Spielbuch Band 3 Klavierschule von Hal Leonard und das Lied Wiegenlied. Ich hoffe das ist ok, ich habe mal was abfotografiert und eingekreist. Rot wird betont (hört sich jedenfalls so an, liegt aber vielleicht auch daran das es 2 Töne sind) und blau nicht. Liegt das vielleicht am Bindebogen?

Noten1.jpg
 
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Ich würde vermuten, dass das H auf der 1 des zweiten Taktes in der rechten Hand in der Aufnahme auch etwas betont gespielt wird. Diese Betonung liegt aber im Diskant, eine Betonung im Bass, hier also in der rechten Hand die eingekreisten Töne, fällt akustisch meistens mehr auf, da wir beim Hören dem Bass mehr Gewicht geben. Da dessen C aber in den zweiten Takt übergebunden ist, gibt es keinen angeschlagenen Ton im zweiten Takt im Bass. Das könnte schon dazu führen, dass sich diese 1 insgesamt nicht wirklich betont anhört.
Spielt auf der CD ein echter Musiker oder ist das eine Sample-Wiedergabe z.B. aus dem Notenprogramm heraus (was recht oft gemacht wird)?
Bei diesen "automatischen" Wiedergaben fehlen solche musikalischen Details wie Betonungen oft bzw. sind sehr schematisch und undeutlich. Da könnte es also wirklich so sein, dass es auf der CD dort keine Betonungen gibt.

Beim Nachspielen würde ich auf dem H in der rechten Hand auf jeden Fall eine leichte Betonungen machen. Das macht auch die große Septime C-H plastischer und für den Zuhörer nachvollziehbarer.
 
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Liegt das vielleicht am Bindebogen?
Ein schönes Beispiel für "Interpretationsspielraum". :)
Wenn Du Lust dazu hast kannst Du den Melodiebogen singen, bei Bedarf an Unterstützung zunächst zusammen mit der Vorspiel-CD.
Dann auch unbegleitet oder - falls dir das leicht fällt - singen und klavierspielen zusammen.

So kannst Du leicht ausprobieren, wie dir eine Fassung mit gegnüber einer ohne Betonung des h auf der 1 von Takt 2 gefällt.
Die Stelle funktioniert m.E. in beiden Fällen, mit Betonung "jeder 1" kommt es mir mehr wie ein munterer Tanz hervor.
Ohne Betonung des h auf der 1 passt für mich gut zum melodischen Fluss eines sanften Wiegenlieds.

Ich finde es toll, dass Du dir von Anfang an musikalische Gedanken machst, denn das macht Spielen nach Noten interessant und motiviert. :great:

Gruß Claus
 
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Liegt das vielleicht am Bindebogen?
Ich vermute: Ja.

Jedenfalls könnte das zu einem Wiegenlied passen: Man möchte ja das mühsam schläfrig gemachte Kind nicht wieder aufputschen :D

Womit wir beim Thema "musikdienliches Spielen" wären. Wäre dieses Lied im 3/4 Takt ein Walzer, dann bräuchte ich unbedingt die betonte "1" ... sonst kriegt erst die Tanzpartnerin auf die Füße und man selbst später um die Ohren :rolleyes:

Wäre es Blues oder Jazz, dann würde man Swing-Achtel einfügen (Herzschlag oder Humpeln). Da ergeben sich insbesondere für die Rhythmusgruppe (Begleitung, Schlagzeug, Bass, Klavier usw.) viele Möglichkeiten, betonte Akzente zu setzen ... wie es zur Musik passt.

Grüße + viel Erfolg :great:
 
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Danke für die ganzen tollen Antworten :). Das hat mir schon sehr geholfen, ich dachte das ist so eine Regel bei den Takten, das da immer auf bestimmte Schläge betont werden muss. Aber das macht schon Sinn je nachdem was das für ein/e Lied/Richtung das ist.
Ob das auf der CD von einem richtigen Musiker gespielt weis ich leider nicht. Da steht auch nichts.
Ich habe das auch ausprobiert mit Betonung und ohne. Ich finde ohne hört sich das auch etwas besser an, für ein Wiegenlied. Mit Betonung ist es nicht so ruhig zum einschlafen :D.
 
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ich dachte das ist so eine Regel, dass da immer auf bestimmte Schläge betont werden muss.
Ich habe das auch ausprobiert mit Betonung und ohne. Ich finde, ohne hört sich das auch etwas besser an
erste Regel der Musiktheorie: "If it sounds good, it is good." - Duke Ellington
 
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Duke Ellington war musikalisch zweifellos hochbegabt, wurde sehr jung erfolgreicher Berufsmusiker und traf geradezu schicksalhaft in Billy Strayhorn ein muskalisches Alter Ego.
In Zusammenarbeit mit ihm und weiteren ganz außergewöhnlichen Musikern fanden so auch ziemlich komplexe Klänge ihren Weg in - für sogenannte U-Musik jener Zeit - kühne Kompositionen und Arrangements.

Kurz gesagt, Duke Ellington hatte zu dem, was "gut klingt" sehr präzise Vorstellungen und hat die auch durchgesetzt - wie vermutlich alle Leiter berühmter Big Bands und Orchester.
Seinen lockeren Spruch würde ich daher auf dem Hintergrund von Ellingtons musikalischer Autorität und der mitgedachten Voraussetzung eines soliden musikalischen Fundaments auffassen.

Eine wohlgenutzte Freiheit der Interpretation setzt m.E. zunächst die verständige Beschäftigung mit der musikalischen Tradition und ebensolches Üben voraus. :)
Man kann daher in vielen Biografien nachlesen, wie berühmt gewordene Musiker ihre Lehrjahre verbrachten und wem sie dabei mit welchen Einflüssen auf das eigene Schaffen begegnet sind.

Gruß Claus
 
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Die Klavierlehrerin nimmt da keine bestimmten Übungsbücher, sie nimmt immer verschiedene. Die Bände davor hatte ich auch nicht, ich hatte noch ein anderes Übungsheft davor. Sie meinte das ich mit Band 3 Des Übungsheftes eben Fingerübungen ganz gut machen kann und das Spielbuch kann ich mir holen damit man auch ein paar Lieder spielen kann. Dazu nehmen wir auch noch immer mal was aus der Russischen Klavierschule oder sie gibt mir Hefte mit. Wie gesagt hält sie sich da jetzt an kein bestimmtes Übungsheft.
Ich bin auch Erwachsen, nicht das man denkt ich bin noch ein Kind. Warum sie jetzt ein Übungsheft für Kinder rausgesucht hat weis ich nicht, vielleicht bin ich zu schlecht :rolleyes:. Ich weis ja nicht was man da sonst so an Heften nutzt. Ich habe wie gesagt auch gerade erst angefangen bzw. bin wirklich absoluter Anfänger (habe auch noch nie ein Instrument gespielt oder kenne mich auch nicht mit Noten/Theorie aus). Sie hat aber mal gesagt das ich mich erst mal darauf konzentrieren soll sauber zu spielen/ die Hände Finger locker zu bekommen, die Noten gut ablesen zu können und mich nicht auf zu viele verschiedene Sachen konzentrieren soll ( also zu viele Symbole auf dem Notenblatt).
 
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Danke.
Bei so umfassender Auswahl weiß die Klavierlehrerin natürlich am besten, wie sie dir mit welchen Übungen und Stücken auf die Sprünge helfen kann. :)

Gruß Claus
 
Der Titel und die Notation mit Bindebogen verraten bereits, warum die "Eins" im 2. Takt nur schwach betont ist: Das Stück ist zwar im 3/4 notiert, aber eigentlich als 6/8 gedacht (mit bpm=ca. 48 für die punktierte Viertel).
Manche Autoren von Anfängerlehrwerken sind offenbar immer noch der der Meinung, dass Anfänger mit Achtelnoten überfordert sind, deswegen werden bisweilen Stücke gegen den musikalischen Sinn in größeren Notenwerten notiert.

wiegenlied-1.gif
Wiegenlieder verlangen nach einem "wiegenden Rhythmus" - bei 3/4 und bpm=140 kriegt das Kind ja ein Schütteltrauma.

NB: Das berühmte Wiegenlied von Brahms Op. 49/4 ist zwar auch im 3/4 notiert, aber annährend nur halb so schnell und zudem rhythmisch auch ganz anders strukturiert.
 
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Duke Ellington hatte zu dem, was "gut klingt" sehr präzise Vorstellungen ...
Seinen lockeren Spruch würde ich daher auf dem Hintergrund von Ellingtons musikalischer Autorität und der mitgedachten Voraussetzung eines soliden musikalischen Fundaments auffassen.
Eine wohlgenutzte Freiheit der Interpretation setzt m.E. zunächst die verständige Beschäftigung mit der musikalischen Tradition und ebensolches Üben voraus.
Für den praktischen user und Nicht-Wissenschaftler sehe ich das anders:

Die Musiktheorie beschreibt Regeln und Zusammenhänge, und als Anfänger wird es wahrscheinlich ein bisschen einfacher sein, diese Regeln zu befolgen, damit nicht alles schräg und holprig klingt
Es gibt einige Regeln, auf die sich Musiker / Musikwissenschaftler geeinigt haben, um die Kommunikation zu erleichtern, aber was das Musikmachen an sich angeht, lautet die einzige Regel: Wenn es gut klingt, ist es gut.
Das meine ich wirklich so. :)
Das Gute an der Musiktheorie ist, dass man etwas, das gut klingt, so beschreiben und verstehen kann, sprich: man weiss, warum es gut klingt.

Musiktheorie sagt dir aber nicht, was du tun sollst, sondern wir benutzen sie als Sprache, um einfacher zu kommunizieren, zu erklären und zu verstehen.

Anders ausgedrückt: Theorie ist nicht immer das notwenige Fundament. Ich kann auch Sachen finden, die gut klingen, ohne zu wissen warum, rein durch Erfahrung, Ausprobieren etc.
Nur dumm, wenn ich nicht drüber reden kann, weil mir die Begrifflichkeit fehlen.
Da hilft die Musikteorie, auch wenn ich mich nicht für die Theorie an sich interessiere, was imho auch völlig legitim ist.
 
Musiktheorie sagt dir aber nicht, was du tun sollst, sondern wir benutzen sie als Sprache, um einfacher zu kommunizieren, zu erklären und zu verstehen.

Ich halten den Vergleich von Musik und Sprache für überaus zutreffend.
Da man die Muttersprache von Anfang an durch Hören und Nachahmen erwirbt, entwickelt man automatisch das berühmte "Sprachgefühl", das im Grunde ohne Grammatik auskommt.
Die Grammatik ist vor allem sehr hilfreich, wenn man eine Sprache als Fremdsprache vermitteln muss und jahrelanges Hören und Nachahmen rund um die Uhr nicht möglich sind.

Auf jeden Fall gilt wohl: Zuerst kam die Sprache, dann wurde die Grammatik darübergestülpt, um Begrifflichkeiten zu haben und Regeln extrahieren zu können. Zwangsläufig gespickt mit Ausnahmen. Da die Ästhetik im Vordergrund steht und nicht ein Regelwerk, sind in allen Sprachen ausgerechnet die meistgenutzten Verben unregelmäßig.
In der Musik ist das zweifellos ähnlich. Da hat sich die Theorie ja auch immer dem herrschenden Zeitgeist angepasst, um jeweils ein geeignetes Werkzeug in der Hand zu haben.


Zur Betonung oder Nicht-Betonung

"Ganz früher" gab es ja weder Takte noch Taktstriche. Da richtete sich der rhythmische Fluss eher nach dem natürlichen Sprechrhythmus (das ist z. B. heute noch in den gregorianischen Chorälen zu erkennen, wie sie in modernisierter "Eierkohlennotation" in Gotteslob (oder ev. Gesangbüchern? kann ich jetzt nicht beschwören) zu finden sind.

Später hat sich immer mehr eine Metrik (wie bei Gedichten) herausgebildet, und bald darauf tauchten auch die ersten Taktstriche auf.

Was ich damit sagen will:
Wie bei einem klassischen Gedicht gibt es in der Musik ein Metrum, einen Grundpuls bzw. ein "Betonungsschema" wie es unsere Taktarten innehaben.
Und da wird grundsätzlich (es gibt immer Ausnahmen) die 1 betont.
Sonst bräuchte man das Konzept "Takt" nicht.

Und auch wie bei Gedichten gilt:
Wenn man sich überdeutlich und maschinenartig an die vorgegebenen Betonungsmuster hält, klingt das Gedicht unnatürlich und gefühl- und verständnislos "heruntergeleiert".
Dennoch hat der Rhythmus eine Bedeutung.

Das aus Uhreberrechtsgründen völlig unbekannte Wiegenlied als Eigenkomposition des Autors kenne ich nicht und es hat auch keinen Text, aber nehmen wir nur den Anfang von
Schla-fe, mein Prinz-chen, ...
Auch natürlich gesprochen, als normaler Satz, ganz ohne Musik, wird man die markierten Silben mehr oder weniger stärker betonen als den Rest, oder? Allerdings - genau wie im vorliegenden Fall, das "Prinz-" als Nebenbetonung, also deutlich weniger stark als das "Schla-".
Deshalb hat Mozart das Stück ja auch im 6/8-Takt geschrieben, siehe hierzu Oghams überaus zutreffende Anmerkung.

Falls man andere Stellen als den "Standard" betonen soll, wird das in der Regel im Notentext angezeigt.
Die per Bogen zusammengefassten Phrasen sind wie Sätze. Und innerhalb von Sätzen gibt es natürliche Betonungen, die in der Regel bei Gedichten und Liedern einem "Versfuß" folgen.
Wenn es keine rhythmische Regelmäßigkeit gäbe und damit einhergehende Betonungen, wäre das Konzept von Takten völlig sinnlos.



Ockham's Solution

Wiegenlieder verlangen nach einem "wiegenden Rhythmus" - bei 3/4 und bpm=140 kriegt das Kind ja ein Schütteltrauma.

Das ist ein interessanter Ansatz und er löst auch den (scheinbaren) Widerspruch, der @Kaiari verunsichert hat, auf. Es ist wohl tatsächlich leider so, dass in Anfängerliteratur oft Achtelnoten und alles, was "schneller" ist, von den Autoren gemieden wie der Teufel das Weihwasser meidet.
Bei vereinfachten Originalwerken ist das überdeutlich erkennbar, bei Eingeschnöpfungen des Autors, wie im vorliegenden Fall, ist die einfache Version ja bereits das Original.

@Kaiari
Wenn Du Dir in den Original-Noten einen typischen Hum-ta-ta-Walzerrhythmus eines imaginären Schlagzeugs vorstellst, wird klar, was @OckhamsRazor mit "Schütteltrauma" gemeint hat - da wird die fließende Melodielinie mit mit völlig unpassendem hektischen Geklapper unterlegt und genau in dem per 3/4-Takt notierten Grundpuls die Wiege im Vierteln hin- und her gerüttelt wird, wäre mit als Kind das Kotz... gekommen.

Ich nehme mal den Notentext wörtlich, betrachte, wie im 3/4-Takt üblich, eine Viertel als "Beat" bzw. Puls und bewege die imaginäre Kinderwiege wie abgebildet (ich habe eigens hierfür ein kleine Wiegensymbol gebastelt):

wiegenlied-1.png


Also bei jedem "Schlag" ist die Wiege jeweils wieder auf der anderen Seite. Das ist eindeutig viel zu hektisch und schnell.
Alternative wäre, immer nur "auf die 1" zu wiegen, so, wie man auf einen Karnevals-Walzer schunkelt. Das ist jetzt nicht als Witz gemeint, denn Schunkeln ist ja deutlich eine Anlehnung an das Schaukeln und Wiegen aus Kindertagen und passt wunderbar zur deutschen "Gemütlichkeit", weil es positive Gefühle auslöst (auch, wenn man das spießig finden kann).


Wenn man das alles aber musikalisch viel sinnvoller im fließenden, wiegenden 6/8-Takt sieht, wären die Achtel in Dreierguppen aufgeteilt (sieht man auch an den Balken) und man würde - wie üblich - die 1 betonen, aber als Puls in punktierten Vierteln (also jenen Dreiergruppen) zählen, so das das h' viel weniger als die 1 betont würde, aber dennoch ein bisschen mehr als die Achtel "dazwischen".
Um das effektive Spieltempo beizubehalten, habe ich die Tempoangabe auf punktierte Viertel umgerechnet (und auf eine übliche Metronomangabe gerundet):

wiegenlied-2.png


Und und schon sind die Wiegen-Bewegungen viel beruhigender (das entspricht eine Schaukelfrequenz von ca. 0,4 Hz)



Noch eine Alternative?

Allerdings gefällt mir das Zählen/Denken in punktierten Achteln und die hiermit einhergehende (leichte) Betonung des h' nicht ganz bzw. ich würde es intuitiv anders spielen, nämlich doch wieder im 3/4-Takt, aber mit der Melodie in Achteln. Die Schwerpunkte (Betonungen) habe ich in die Noten nicht extra eingezeichnet, aber sie sind an den Kinderwiegen gut zu erkennen:

wiegenlied-3.png


Die Hauptbetonung liegt wie üblich auf der 1, aber die beiden darauffolgenden Nebenbetonungen (im Gegensatz zum 6/8-Takt schlägt der Puls wieder in Vierteln).
@OckhamsRazor: Was meint der klassisch gebildete Fachmann dazu?
Freilich sind beide Interpretationen möglich und die Absicht der Komponistin bleibt (aufgrund der Über-Vereinfachung) im Dunkeln.


Ideale Einschlaf-Schaukelfrequenz?

Jetzt hat mich doch einmal interessiert, welche Wiegefrequenz ideal zum Einschlafen ist. Zumindest grob.
Bei [Ko et al. 2016]*) bin ich fündig geworde:
Die Messungen wurden zwar nicht mit einer klassischen Kinderwiege, sondern mit einer vertikal schwingenden, an Federn aufgehängten Hängematte ("baby hammock") durchgeführt, aber das wird schon hinkommen und unseren bescheidenen Ansprüchen genügen...
Dort wird eine optimale Einschlaf-Frequenz von 0,55 Hz genannt.
Wenn man das auf eine Metronom-Angabe umrechnet (immer pro Puls von Anschlag zu Anschlag, also zwei Pulse in einer Wiegeperiode), dann kommt man auf 66 BPM.
Das kommt ziemlich nah an meine "70 Viertelnoten pro Minute" heran und ich habe dem Kind gegenüber kein schlechtes Gewissen. :):whistle:



Fazit

Da hat die Autorin versucht, das Notenbild zu vereinfachen und hat dabei leider eine (berechtigte!) Verwirrung wegen der unpassenden bzw. stark übetriebenen Betonung jeweils der 1 provoziert.
Vielleicht (nein, ganz sicher!) wäre eine korrekte Notation, wie von @OckhamsRazor vorgeschlagen, da tatsächlich insgesamt einfacher verständlich (weil in sich geschlossen).
Achtelnoten kann man auch angemessen langsam spielen, dann sind sie auch anfängergeeignet.
Oder wenigstens hätte sie einen 6/4-Take wählen können, aber der wäre ja noch "exotischer" als ein 6/8. :)

Wie sagte Albert Einstein so passend: "Alles sollte so einfach wie möglich sein - aber nicht einfacher."

Viele Grüße
Torsten


*) Vibration Analysis of Electronic Baby Hammock, Ko et al., 2016
 
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Noch eine Alternative?
Allerdings gefällt mir das Zählen/Denken in punktierten Achteln und die hiermit einhergehende (leichte) Betonung des h' nicht ganz bzw. ich würde es intuitiv anders spielen, nämlich doch wieder im 3/4-Takt, aber mit der Melodie in Achteln.
Die Melodie im 3/4-tel-Takt zu notieren macht eine komplett andere Musik daraus. 3/4-tel-Takt und 6/8-tel-Takt sind musikalisch zwei ganz verschiedene Welten.
Im 3/4-tel-Takt gibt es drei Schläge mit der Schwerpunktverteilung "schwer-leicht-leicht" und im 6/8-tel Takt "schwer-leicht-leicht-etwaswenigerschwer-leicht leicht". Auf die Achtel bezogen wie folgt: 3/4 = 1 und 2 und 3 und / 6/8 = 1 2 3 4 5 6.
Da die 2-3 und 5-6 im 6/8-tel Takt den "und" im 3/4-tel-Takt im Prinzip entsprechen als gänzlich unbetonte Zwischenimpulse, haben in den 8-tel-Takten die Schlag-Pulse immer einen größeren Abstand: 1-2-3 gegenüber 1-4, respektive 1-4-7 im 9/8-tel-Takt usw.
Das gibt ihnen mehr Ruhe vom Gefühl her und es ist einfacher, den Eindruck des "Wiegens" mit Ihnen zu erzeugen.
Die Fassung im 6/8-tel Takt, die @OckhamsRazor vorschlägt ist deshalb auch für mich die überzeugendste.

Zwei prominente Beispiele von 8-tel-Takten - im langsamen Tempo - machen deren Prinzip des ruhigen Wiegens ganz deutlich:
Die "Barcarole" von Jaques Offenbach (6/8-tel-Takt):


Und der langsame Satz "Szene am Bach" aus der 6. Sinfonie von L. van Beethoven (hier zudem sehr langsam interpretiert):


Dieser Satz ist im 12/8-tel-Takt notiert: 1-2-3-4-5-6-7-8-9-10-11-12
Eine genial adäquate Umsetzung von Beethoven, um die Ruhe und Idylle dieser ländlichen Szenerie in Musik zu setzen. Es dauert gefühlt eine kleine Ewigkeit, bis die nächste "1", also der nächste tiefe Taktschwerpunkt kommt. Gedehnte Zeit!

Tatsächlich tun sich viele Anfänger mit dem Verständnis der 8-te-Takte oft anfänglich schwer. Genau das hätte aber auch ein Anlass sein können für die Autorin der Klavierschule, dieses Wiegenlied im 6/8-tel-Takt zu notieren. Um eben damit diesen Takt zu vermitteln.



Wie bei einem klassischen Gedicht gibt es in der Musik ein Metrum, einen Grundpuls bzw. ein "Betonungsschema" wie es unsere Taktarten innehaben.
Und da wird grundsätzlich (es gibt immer Ausnahmen) die 1 betont.
Sonst bräuchte man das Konzept "Takt" nicht.
Es ist sozusagen die Aufgabe des Taktstriches schlechthin, darauf hinzuweisen, dass jetzt die nächste "1", also der nächste Hauptschwerpunkt kommt.
Vom Prinzip des Taktes her ist die "1" per Definition immer der tiefste Hauptschwerpunkt, alle anderen Nebenschwerpunkte im Takt sind leichter.
Von diesem Grundprinzip des Taktes an sich muss man natürlich die konkret gespielte Musik unterscheiden. Auf der "1" kann selbstverständlich eine Pause stehen oder eine übergebundene Note, wodurch in der konkreten Musik die gespielte Betonung auf der "1" weg fällt. Der Hörer empfindet aber nach wie vor den Schwerpunkt im Gefühl. Das führt dann zu dem, was wir Synkope nennen - eine Verschiebung der Betonung auf einen Taktteil, der dem Schema (= Puls) nach eben nicht betont ist.

"Ganz früher" gab es ja weder Takte noch Taktstriche. Da richtete sich der rhythmische Fluss eher nach dem natürlichen Sprechrhythmus (das ist z. B. heute noch in den gregorianischen Chorälen zu erkennen, wie sie in modernisierter "Eierkohlennotation" in Gotteslob (oder ev. Gesangbüchern? kann ich jetzt nicht beschwören) zu finden sind.
In den Gesangsbüchern finden sich nur noch sehr wenige der ursprünglichen Gregorianischen Gesänge (z.B. das "Vater unser im Himmel" / "Pater noster"), aus der evangelischen Kirchenmusik Tradition heraus sind in den evangelischen Gesangbüchern nur noch ganz wenige Überbleibsel davon zu finden, in den katholischen Gesangbüchern sind mehr davon zu finden.
Notiert werden sie in den Gesangbüchern aber immer mit modernen Notenköpfen (ohne Hals) und ohne Taktstriche. Das Metrum richtet sich nach dem Sprachduktus.
Die "eckigen" Noten finden sich in der Sammlung "Graduale Romanum", in dem alle dem Kanon der katholischen Kirche entsprechenden Gregorianischen Gesänge nach dem Kirchenjahr geordnet gelistet sind.
 
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Die Melodie im 3/4-tel-Takt zu notieren macht eine komplett andere Musik daraus. 3/4-tel-Takt und 6/8-tel-Takt sind musikalisch zwei ganz verschiedene Welten.
Im 3/4-tel-Takt gibt es drei Schläge mit der Schwerpunktverteilung "schwer-leicht-leicht" und im 6/8-tel Takt "schwer-leicht-leicht-etwaswenigerschwer-leicht leicht".

Genau deshalb hatte ich die 3/4-Version mit Achtelmelodie vorgeschlagen, weil ich mich mit der im 6/8-Takt völlig anderen Betonung nicht so recht anfreunden konnte.
Welche der beiden musikalischen Welten die Komponistin im Sinn hatte, bleibt leider im Dunkeln - dank der Über-Vereinfachung:
  1. Sie kann 6/8 (mit Achtelmelodie) gemeint haben, das aber aus "Vereinfachungsgründen" als 3/4 mit Vierteln geschrieben haben (6/4 wäre auch ungewöhnlich und daher vermeintlich für Anfänger ungeeignet).
  2. Sie kann 3/4 (mit Achtelmelodie) gemeint haben, dann aber aus "Vereinfachungsründen" lediglich die Melodie halb so schnell in Vierteln notiert haben.
Beide Male ein identisches Notationsergebnis, aber mit völlig unterschiedlichen rhythmischem Flüssen im Kopf. Aber leider eben nur im Kopf.

Edit:
Genau das hätte aber auch ein Anlass sein können für die Autorin der Klavierschule, dieses Wiegenlied im 6/8-tel-Takt zu notieren. Um eben damit diesen Takt zu vermitteln.

Aber genau das hat sie eben nicht getan!
Sie hat einen irreführenden 3/4-Takt notiert (mit Viertelmelodie).
Die Interpretation als "eigentlich gemeinten" 6/8-Takt stammt von @OckhamsRazor - während die Interpretation als vielleicht auch "eigentlich gemeinter" 3/4-Takt von mit stammte.
Auch Walzer könne wiegend sein (ich sage nur: "Wie-ge-schritt!" und Brahms' Wiegenlied (op. 49 no. 4) steht ja auch im 3/4-Takt. Die natürliche Betonung des Textes (mit Auftakt: Gu-ten | A-bend, gut | Nacht, mit | Ro-sen be- | dacht ... usw.) und die begleitende Bass-Stimme ist ja auch eindeutig im ternären (Dreier-)Rhythmus, da wäre meiner Ansicht nach 6/8 aus den von Dir genannten Gründen unangebracht.

Viele Grüße
Torsten
 
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Hallo Torsten,

deine Version als 3/4-tel-Takt hat aber mit der ursprünglichen Version nichts zu tun. In der ursprünglichen Fassung gibt es eine (leichte) Betonung des H auf der 1 im zweiten Takt. In der sinnvoller erscheinenden Fassung im 6/8-tel-Takt bleibt diese - leichte - Betonung erhalten (auf der 4), dabei insgesamt logischer und der Stimmung als Wiegenlied angemessener, da die 4 im 6/8-tel-Takt grundsätzlich schwächer betont ist als die 1.
In deiner 3/4-tel-Fassung ist diese Betonung gänzlich verschwunden, da er jetzt auf der Zählzeit 2-und gelandet ist, die absolut unbetont ist. Das ändert den Charakter der Melodie grundlegend, musikalisch eine "andere Welt" wie ich schrieb.

Ich möchte noch anmerken, dass die ursprüngliche Notation im 3/4-tel-Takt nicht grundsätzlich falsch ist, kann man so machen, der 6/8-tel-Takt erscheint mir aber auch besser geeignet für diese Melodie und den Wiegenlied-Charakter.
Dass die Autorin aber eine Fassung im Sinn hatte wie du sie vorschlägst, möchte ich ausschließen. Als Profi (der sie doch sein sollte?), sollten ihr die unterschiedlichen Betonungen und die sich daraus ergebenden unterschiedlichen musikalischen Charaktere eigentlich klar sein.
Wenn sie dann statt des 6/8-tel-Taktes den 3/4-tel-Takt wählt kann man zwar kritisieren, aber so nah, wie die Ursprungsfassung und die von @OckhamsRazor vorgeschlagene 6/8-tel-Fassung von den Betonungen her nebeneinander liegen, kann man das schon so machen.

Vielleicht - und wahrscheinlich - kommt der 6/8-tel-Takt in dem Lehrmaterial einfach später. Er kommt im Lehrmaterial für Kinder meistens relativ spät, wohl der Tatsache geschuldet, dass Kinder oft kognitiv ziemliche Mühe haben, diese Takte zu lesen.

Gruß,
Jürgen
 

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