Takt und Betonung

Hallo Jürgen,

deine Version als 3/4-tel-Takt hat aber mit der ursprünglichen Version nichts zu tun.

Stimmt, hat sie nicht.
Die 6/8-Version von @OckhamsRazor ist viel näher am "Original".
Ich hatte sie nur als weitere Interpretation der Melodie (unabhängig vom Notenbild) vorgeschlagen, weil sie mir musikalisch naheliegend erschien und weil ich zeigen wollte, wie sehr die Taktnotation die Ausführung beeinflusst.


Ich hatte die ursprüngliche Frage
Bei einem 3/4 Takt soll man ja immer den ersten Schlag betonen. Ist das immer so?
und die "extremste" bzw. minimalistischste Antwort
im Sinn.

Du hast recht, man muss der Autorin unterstellen, dass sie weiß, was sie tut, aber so sicher und eindeutig ist ihre Notation im 3/4-Takt mit Viertel-Melodie ja nicht, sonst wäre die Verunsicherung ob der von den Noten so deutlich (betonungsmäßig) abweichenden CD-Aufnahme ja überhaupt nicht aufgekommen:

Ich übe nämlich gerade ein Lied aus einem Übungsheft und da ist auch eine CD mit bei. Da hört sich das beim abspielen des Liedes nämlich nicht so an. Da wird manch mal der Erste Schlag betont gespielt und manch mal nicht.


Und wenn der erste Schlag manchmal nicht betont wird, dann spricht dann fange ich langsam an, mich für diese ominöse Aufnahme zu interessieren.
Was wird da genau stärker, weniger stark und überhaupt nicht betont?
Allein das enthüllt ja die musikalische Absicht: wie klingt das vorgegebnene Muster-Beispiel?

Rein formal sind von "meiner" 3/4-Version zur Original-3/4 Version weniger Änderungen nötig (nur die Achtelnoten durch Viertel ersetzen), während bei der 6/8-Version zusätzlich noch die Taktart in 3/4 geändert werden muss.
Rhythmisch ist die 6/8-Version freilich viel näher am Original, "bei mir" verschieben sich die Betonungen ja völlig.

Viele Grüße
Torsten

PS: Ein Lied ("Wiegenlied") ist ja definitionsgemäß mit Gesang verbunden, vor allem, weil es ja gewöhnlich von Mama oder Papa leise gesungen (und nicht auf der Trompete vorgespielt) wird. Da läge ein Text nahe - und spätestens dieser Text würde eine solche Diskussion ohnehin überflüssig machen und ich wäre ggf. nie im Traum darauf gekommen, die Betonungen anders zu setzen.
 
Rhythmisch ist die 6/8-Version freilich viel näher am Original, "bei mir" verschieben sich die Betonungen ja völlig.
Und weil dem so ist, überschreitet deine 3-/4-tel-Fassung für mich die Grenze von Interpretationsspielräumen. Es ist tatsächlich eine neue, andere Fassung.

So richtig "lustig" wird es, einem Schüler den Unterschied zwischen einem 3/4-tel- und einem 3/8-tel-Takt zu erklären. Wenn man für die Viertel des 3/4-tel- und für die Achtel des 3/8-tel-Taktes dasselbe Tempo wählt, wird der Hörer erst mal keinen Unterschied hören.
Und doch wählt ein Komponist bewusst den einen oder den anderen Takt aus (meistens jedenfalls), da daraus auf eine sehr subtile Weise für die Interpretation feine Unterschiede resultieren. Optisch wirkt der 3/8-tel-Takt mit seinen kleineren Noten-Grundwerten einfach anders als der 3/4-tel-Takt und suggeriert sozusagen eine Kleinräumigkeit, die den Ausdruck schon merklich in eine andere Richtung lenken kann.
Spontan käme man wohl eher nicht auf die Idee, ein in einem 3/8-tel-Takt notiertes Stück als Walzer zu interpretieren, auch wenn das Grundtempo gleich dem eines Walzers sein sollte. Für mich sperrt sich der 3/8-tel-Takt dem Walzer, ich kenne auch nur Walzer, die im 3/4-tel-Takt notiert sind.
 
So richtig "lustig" wird es, einem Schüler den Unterschied zwischen einem 3/4-tel- und einem 3/8-tel-Takt zu erklären.

Schönes Beispiel!
Das vor allem zeigt: Ein guter Lehrer aus Fleisch und Blut ist jedem Video-Tutorial oder Do-It-Yourself-Buch überlegen. :great:
Gerade bei zwangsläufig aufkommenden Fragen ist der Dialog durch nichts zu ersetzen. Abgesehen von der Binsenweisheit, dass ein Lehrer gezielt spieltechnische Fehler (nicht nur richtige/falsche Töne wie eine App) erkennen und ihnen entgegenwirken kann.

Das ist heute aber leider nur schwer zu vermitteln. :(
Manchmal (gerade bei beruflich und privat eingespannten Erwachsenen) ist "echter" Unterricht zwar schwer zu organisieren, aber man sollte sich immer bewusst sein, dass er mit Abstand die beste Methode ist, ein Instrument zu erlernen.

Viele Grüße
Torsten


PS: Was würde wohl passieren, wenn eine unabhängige Person, die das Wiegenlied nicht kennt, eine für Wiegenlieder typische Spieldosen-Fassung hören würde - naturgemäß ohne jegliche Betonung.
Wie würde diese Person wohl die Melodie wahrnehmen?
Vielleicht wie in einem Vexierbild mal so, mal so... :gruebel:
 
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Das vor allem zeigt: Ein guter Lehrer aus Fleisch und Blut ist jedem Video-Tutorial oder Do-It-Yourself-Buch überlegen.
:great::great::great:

Die Erfahrung, dass "Live"-Unterricht besser ist, habe ich auch in diesem Jahr beim online-Unterrichten gemacht. Obwohl ich und der Schüler dabei auch quasi "live", aber eben auf Distanz (und mit Latenz) zusammen waren. Online ist in einigen Hinsichten halt limitiert (Klangqualität, aber vor allem kaum möglich, zusammen zu spielen).

Zum 6/8-tel-Takt noch eine Bemerkung: Du glaubst gar nicht, wie oft ich schon mit Unverständnis von vielen Schülern angeschaut wurde, die mir völlig überzeugt vorrechneten, dass der 6/8-tel-Takt doch genau dasselbe sei wie der 3/4-tel-Takt. Dass z.B. die Balkensetzung eine ganz andere war, war ihnen nicht ansatzweise aufgefallen.
 

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