Vielleicht liegt es aber auch daran, dass Kinder intuitiv über den Stimmklang auf die Emotionen des Gegenüber schließen und die klassisch ausgebildete Stimme zwar vielleich technisch gut dargebracht ist, aber diese perfektionierte Technik zu Lasten der Emotionalität geht.
Ohne zu wissen in welchem Genre du zuhause bist, aber das ist leider ein Vorurteil, dass Nichtklassiker scheinbar immer mal wieder gegenüber klassischen Sängern haben. Sicher gibt es in allen Stilen Sänger, die relativ emotionslos singen, aber erwünscht oder auch nur toleriert wird das nirgends, auch in der Klassik nicht!!
Aufgrund einer einheitlicheren Technik als in anderen Stilen, kann ich verstehen, dass für Nichtklassiker klassische Stimmen etwas genormter tönen, aber das transportieren von Emotionen ist bei uns genauso wichtig wie bei allen anderen Gesangsstilen! Gern ein paar Beispiele:
Oper: beim erarbeiten einer Rolle oder auch nur einer einzelnen Arie ist es meistens das erste was ein Sänger macht, sich mit der Figur (sehr) vertraut zu machen: was ist das für eine Person die ich da verkörpere, wie ist ihre Stellung, wie ihre emotionale Entwicklung und wie ihre Beziehung zu den anderen Figuren im Verlauf der Handlung. All dies muss man sich auch überlegen, wenn man nur eine einzelne Arie singt: es reicht nicht, einfach den Text dieser Arie emotional auszufüllen, ich muss auch wissen, was meine Figur zuvor erlebt hat und wie sie in die Emotion bei dieser Arie gelangt ist.
Auch für mich als Laie ist da eine gewisse Vorarbeit unerlässlich, auch wenn ich mich, schon aus zeitlichen Gründen, natürlich nie so intensiv mit der darzustellen Figur beschäftigen kann, wie das die Profis machen.
Schau dir auch mal ein paar Masterclasses an: wie intensiv hier z.T. an den Emotionen zu jeder Phrase, ja sogar zu jedem Ton gearbeitet wird!
Oratorium: hier gilt im Prinzip das gleiche wie für Oper. Ev. sind die Figuren hier zwar mal weniger "spektakulär" was das emotionale Ausfüllen etwas schwierige machen kann. Was hilft, ist eine grosse Religiosität, auch wenn man vielleicht gar nicht religiös ist, man muss dann halt so tun als ob, und wenn das nicht geht: Subtext!
Lied: hier fehlen die Krücken der physischen Handlung und der Kostüme, der Sänger ist sozusagen nackt, muss alles nur mit der Stimme machen: wenn Lied deshalb ohne Emotion gesungen wird, schläft auch der gewogenste Zuhörer spätestens nach einer Viertelstunde ein! Und: die Texte hier sind meist wunderschön, denn deine "Librettisten" heissen Goethe, Schiller, Heine, von Eichendorff und Co. Solche Texte einfach nur technisch nett runterzusingen: ein Sakrileg!
Persönlich erlebe ich es auch im GU: mindestens soviel Zeit wie für "reine" Technik wird für die Emotionen aufgewendet. Im Prinzip können diese zwei Dinge auch gar nicht von einander getrennt werden: eine wirklich empfundene Emotion hilft immer auch technisch!
O-Ton meiner GL: "Ich muss dich gar nicht hören, ich sehe es schon deinem Gesichtsausdruck an, dass du noch nicht empfindest, was im Text steht!" oder "Ja ganz nett, aber in der Figur bist du noch nicht wirklich, da gibt es noch viel Arbeit!" oder "Für jeden Takt den du ohne Emotion singst, landest du in der Hölle!
![BigGrin :D :D](/data/assets/smilies/biggrin.gif)
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Auch beim lernen eines neuen Stückes finde ich es wichtig, von Beginn an gleich mit echt empfundener Emotion zu singen. Lieber nur ein paar Takte aufs Mal lernen aber mit Emotion gesungen, als das ganze Stück nur technisch runter leiern! Und sogar bei den Übungen: mit einem unterlegten Subtext gelingen die technisch immer besser!
Wurde jetzt etwas lang und alles sehr OT, aber ist mir wichtig, mit solchen Vorurteilen ein bisschen aufzuräumen!
Und um doch noch einen kleinen Link zur Chorstimmbildung zu machen: alle diese Emotionen helfen auch zur Verbesserung des Chorklanges, auch wenn mit einer ganzen Gruppe von Sängern natürlich nicht gleich intensiv auf der emotionalen Schiene gearbeitet werden kann! Und es setzt einen Chorleiter u/o Chorstimmbildner voraus, der es versteht, gewisse Emotionen bei den Sängern so hervorzurufen, dass sie auch über die ganze Probe resp. die ganze Aufführung bestehen bleiben!