Die oper ist weiblich, nicht mehr ganz jung und spricht mit vorliebe italienisch. Das macht sie in jungen augen und ohren nicht besonders attraktiv, denn wie jede kunstgattung wendet sie sich an eine bestimmte gesellschaftsschicht. Heranwachsende haben erst seit jüngster zeit taschengeld, sind daher zielgruppe für ganze industrie-zweige. Ohne taschengeld oder elterliche aufwendungen gab es keine nennenswerte jugendkultur, außer etwa staatlich verordneter oder religiös/kirchlich praktizierter. Teenager waren ökonomisch uninteressant, wer hätte für sie irgendetwas produzieren sollen? Mit 14 kamen sie in eine lehre, wurden tüchtig ausgebeutet und herum-geschubst, die jungs gingen dann auf wanderschaft und ins erwerbsleben, die mädchen wurden "mannbar" (schönes wort, o sprache!) und verheiratet, jugendprobleme, jugendkultur? Unbekannt. Pubertät? Wen interessierte es, die probleme waren eher auf seiten der jugendlichen.
Die handvoll literaten und musiker, darunter Vincenzo Galilei, vater eines weit berühmteren sohnes, die um 1595 in Florenz zusammenkamen und sich "Camerata" nannten, wollten ihren kollegen von der bildenden zunft nicht nachstehen. Die reisten nämlich nach Rom, um antike architektur und skulptur aufzufinden, zu vermessen und die gewonnenen kenntnisse zu verarbeiten, und da lag die idee nicht fern, das antike drama wiederzubeleben. Man wusste aus den werken von Aischylos, Sophokles und Euripides, dass ein chor die stimme des volkes darstellte und sich auf einer "orchestra" genannten fläche bewegte, bei Plautus gibt es auch eingestreute "lieder", nur musik war nicht erhalten, man wusste zwar, dass etwa die homerischen epen von "rhapsoden" bruchstückweise vorgetragen wurden, selbst Kaiser Nero sang zur kithara, und man stellte sich eine art sprechgesang vor zu sparsamer akkordbegleitung. Die cameratisten experimentierten, und was dabei herauskam, nannten sie "opera", das zusammenwirken vieler künste: dichtung-musik-darstellung-tanz-bühnenbild-kostüm.
Die erste oper hieß "Dafne", die geschichte eines mädchens, das vom gott Apollo verfolgt, von anderen, gnädigen oder neidischen göttern, möglicherweise auch von ihrem vater, dem flussgott Penaios in einen lorbeerbaum verwandelt wurde.
Hätten die autoren ihr werk einer gruppe von teenagern vorstellen sollen? Nein, Giacomo Peri, der komponist, war kapellmeister am großherzoglichen hof, und da fand die erste opernaufführung in kleinem, privatem kreise statt.
Es war sicherlich ein schock für die verwöhnten ohren, man war an kunstvolle kirchenmusik, 5stimmig-polyphone madrigale, vieltönige instrumentalmusik bei den prächtigen maskenzügen und tänzen gewöhnt. Wir haben leider keine zeitgenössische kritik, und auch das werk ist nicht erhalten, aber der begriff "monodie" sagt uns, dass einstimmig, eher eintönig mehr rezitiert als gesungen wurde.
In Florenz wie anderen italienischen stadtstaaten hatte der geldadel (die erste bank war der Monte dei Paschi in Siena, ein "monte" war eine art leihhaus, wo man sich mit bargeld gegen pfand versorgen konnte, dazu kam das wechseln der buntscheckigen münzen: was dabei herauskommt, wissen wir) sich auch formal geadelt und die sprösslinge der kaufmanns- und bankiersfamilie Medici regierten als großherzöge und hielten hof. Baulust und repräsentation werden zum bedürfnis, um den herrschafts-anspruch nach außen hin zu dokumentieren, dem volk gelegentlich ein schauspiel zu bieten, die maskenzüge hatte ich erwähnt, nun bot sich eine neue gattung an, den mächtigen zu schmeicheln und sie zu überhöhen. Die oper wird zur erfolgreichsten gattung der nächsten jahrzehnte, wenn nicht jahrhunderte, wandelt sich mit der gesellschaft, und, da sie nicht gestorben ist, existiert sie noch heute. Ein andermal mehr davon.