Musiker: Übermensch oder überflüssig

  • Ersteller David_MiS
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Dass die Experimente irgendwann ein Ende haben mussten war klar. Die letzten 50 Jahre hat man wirklich oft genug versucht die Musik neu zu erfinden. Teils krampfhaft, teils aus einer natürlichen Entwicklung heraus. Aber vielleicht ist es auch einfach problematisch, dass jeder Musiker neue Musik schreiben will und noch dazu die Bürde trägt eigenständig sein zu müssen. Das kann ja nur in die Hose gehen.

Dass das Jahrzehnt 2000 - 2010 keinen eigenen prägnanten Soundtrack hat, ist auch nicht weiter verwunderlich. Hätte es einen, dann wären es schrille Lieder mit maximal 59 Sekunden Spielzeit und individueller Visualisierung um dem Umstand, er durch exzessiver PC-Benutzung geprägten, sinkenden Aufmerksamkeitsspanne und dem Wunsch nach immer mehr Geschmacksverstärkern Rechnung zu tragen. Natürlich alles Lo-Fi um den Stolz des Hörers nicht zu kränken. Die Do-it-yourself Gesellschaft fühlt sich von Profis ja schliesslich zunehmend bedroht.
 
Die Do-it-yourself Gesellschaft fühlt sich von Profis ja schliesslich zunehmend bedroht.

Eigentlich ist es eher andersrum.
 
Eine Sache die ja immer wieder gern angesprochen wird, ist dass die Plattenfirmen heutzutage weniger Risikobereitschaft zeigen (was, um nochmal darauf zurückzukommen, wohl auch der Hauptgrund für die Ideenlosigkeit der größeren Radio- und Musiksender ist). Der Tonträgermarkt ist massiv eingebrochen und man hat zT die falschen Schlüsse daraus gezogen. Risikoprojekte werden abgestoßen, Durststrecken der Künstler nicht mehr geduldet und viele Acts nach der ersten Hypewelle fallen gelassen.

Was da im Endeffekt an der Chartspitze ist, ist denn auch meist sehr austauschbar. Schöne Stimme (wobei dank dem aktuellen Autotunewahn eigentlich nichtmal das) zu schönem Körper und dahinter ein kluger Produzent und ne fette Marketingmaschinerie. Da hab ich schon den Eindruck, dass der Künstler als soclher mit seiner individuellen Geschichte nicht mehr so wichtig ist. Ich mein natürlich sieht man immer noch mal Bands wie U2 mit ihren aktuellen Singles vorne mitmischen, aber wenn die heutzutage nochmal als No-Names anfangen müssten bin ich recht sicher, dass sie nicht ansatzweise auf den Ruhm kommen würden, den sie sich damals aufgebaut haben. Nur als Beispiel.

Und auch Tokio Hotel, das ist ist sowieso eins meiner Lieblingsthemen und passt hier ganz gut rein. Die halte ich eigentlich auch für musikalisch ziemlich austauschbar. Mir würden spontan 5 Lokalbands einfallen, die einen konzeptionell besseren Song zu bieten hätten als die Jungs damals mit ihrem "Durch den Monsun". Ohne das aufgeblähte Studiogewand ein ganz durchschnittlicher Jungbandsong imho, tut mir leid wenn ich da einem Fan auf den Schlips trete. Es geht hier nicht mehr so sehr um die Inhalte, sondenr darum, wie's verkauft wird. Bill polarisert halt mit seinem Äußeren und dürfte entscheidender zum Erfolg der Band beigetragen haben als die eigentliche Musik. Ich mein es gibt so viele grundsätzlich talentierte Musiker, dass es eben nur die Frage ist, wer sich am Besten in der Öffentlichkeit verkaufen kann und hängen bleibt.

Oder anderes Beispiel, Gossip, bei denen die Frontsängerin bewundert wird, weil sie trotz ihrer Körperfülle so erfolgreich Musik macht. Auch da denke ich, Beth Ditto ist nicht trotz, sondern gerade wegen ihrer Leibesfülle so erfolgreich. Manche fanden's abstoßend, manche ob des Tabubruchs vorbildlich, aber auf jeden Fall eben aufsehenerregend. Ist vielleicht naiv von mir zu glauben, dass das früher deutlich anders war, aber es hat sich sicherlich verschärft. Ich mein dass soll jetzt nicht heißen, nur weil eine Band nen intelligenten "Eyecatcher" hat, ist ihre Musik weniger gut. Aber das macht eben heute mehr denn je den Unterschied aus und ist meistens sogar wirklich wichtiger als das musikalische Können. Mit ein paar Profi-Studiotricks kriegt man ja auch aus der hinterletzten Band noch ein paar leichtverdauliche Songs gequetscht.
 
Grund hierfür ist meiner Meinung nach, dass die einzelnen Musikrichtungen nicht alle gleichberechtigt von den Medien berücksichtigt werden. Wenn der Jugendsender nur Alternative und Black spielt und Dance nicht, dann kann ich die Aufregung genauso verstehen, ebenso wenn die Stadt ein Sinfoniekonzert subventioniert und das Death-Metal-Event nicht.

Ich wünsche mir, dass Radio- und TV-Sender, Musikmagazine, Labels, Veranstalter, Internetportale usw. alle Musikrichtungen gleich behandeln, so dass die Konsumenten eben einen Überblick bekommen über das, was so in der Welt an Musik produziert wird.

Das ist Bevormundung. Wenn jemand nur Alternative und Black hören will, soll er das Recht haben, einen Radiosender zu hören, der genau das spielt und nichts anderes. Abgesehen davon sollen private Unternehmen das Recht haben, Produkte anzubieten, mit denen sie glauben, Geld verdienen zu können (innerhalb gewisser Grenzen natürlich). Es ist aber ganz sicher nicht Aufgabe der Privatwirtschaft, Horizonte zu erweitern.
 
Das ist Bevormundung. Wenn jemand nur Alternative und Black hören will, soll er das Recht haben, einen Radiosender zu hören, der genau das spielt und nichts anderes.

Früher gab es aber diese Schubladen-Aufteilung doch auch nicht. Noch zu Beginn der 90er, als die Techno-Welle aufkam, war der Sound der elektronischen Musik noch überhaupt nicht in unterschiedliche Stilrichtungen unterteilt. Da spielten die DJ's noch kreuz und quer durch die verschiedenen Facetten der elektronischen Musik. Und das Interessante war dabei, dass ständig neue Untergenres und Spielarten entstanden, die oftmals gar keine eigene Bezeichnung hatten. Einige Jahre später kam dann der Schubladen-Unsinn: Da wurde streng nach Hands Up, Deep House, Drum & Bass usw. aufgeteilt, und fortan war es nicht mehr möglich, eine Veranstaltung zu bringen, wo die gesamte Bandbreite der elektronischen Musik läuft. Der Überraschungseffekt, was wohl als nächstes laufen könnte, fehlt völlig, wenn man eine reine Acid-Veranstaltung besucht, bzw. eine derart thematisierte Radiosendung hört. Ich möchte mir nicht stundenlang denselben Sound anhören, das finde ich langweilig.

Obwohl es früher bei weitem noch nicht so viele Musikrichtungen gab wie heute, fand ich die Medienlandschaft abwechslungsreicher als heute, weil damals die Leute noch offen für Neues waren, und somit wirklich neue Stilrichtungen entstanden sind.

Ich habe ja auch nichts dagegen, wenn ein Privatsender, der zwingend Werbeumsätze braucht, so handelt wie aktuell, und sich extrem stark nach einer bestimmten Zielgruppe orientiert. Zumindest von den Öffentlich-Rechtlichen würde ich aber schon erwarten, dass sie ihrem zugedachten Kulturauftrag nachkommen und ein richig breitgefächertes Programm abliefern.

DJ Nameless
 
Wieso sollen private Medien keine Verantwortung tragen und nur der eigenen Gewinn-Maximierung dienen? Alle TV und Radiostationen sollten die Auflage bekommen in einem gewissen Umfang etwas für die Kultur zu tun, damit der Schaden, der durch Big Brother, Popstars, Viva, Werbung und co. verursacht wird, an anderer Stelle wenigstens teilweise wieder ausgeglichen werden kann.
 
Diesen "Schubladen-Unsinn" gäbe es nicht, wenn der genauso von den Leuten nachgefragt würde. Die Sender, sich geschickt spezialisiert haben, haben nun mal dem Gemischtwarensender den Rang abgelaufen.

Abgesehen davon haben wir doch eine Menge Vielfalt in der Medienlandschaft. Was ist so schlimm daran, wenn man für ein anderes Genre den Sender wechselt?

Man sollte den Hörer/Musikkonsumenten auch nicht unterschätzen, ich denke, die Entscheidung läuft bewusster als Ihr unterstellt.

Wenn ich ins Steakhouse gehe, möchte ich nun mal auch mein Stück Fleisch auf dem Teller haben und nicht gezwungen werden, als Vorspeise ein glibbriges Stück Tintenfisch zu essen, "weil ich ja sonst nicht mitbekommen würde, was für kulinarische Vielfalt es gibt".
 
Zuletzt bearbeitet:
Mit deinem "Steakhaus" gebe ich dir irgendwo sogar recht.
Aaaaber, nicht zu vergessen: Der Mensch ist ein Gewohnheitstier.

Das heisst, irgendwann, hat man sich mal auf seinen Lieblingssender eingeschossen.
Und dann erwarte ich allerdings auch, das mir da genug Abwechslung geboten wird,
weil ich nämlich keine Lust habe, laufend den Sender zu wechseln, weil mir irgendwelche
Monotonie des Stiles wieder auf den Geist geht.

Ein Tolles Beispiel ist hier eine relativ neue Station bei uns, (ca 3 Jahre)
die zwar so grob, in etwa eine Richtung fährt , aber trotzdem stilistisch immer wieder eine
Überaschung parat hat. Von Ibiza-House über Funk, Reggae, Jazzy Techno, Folk, bis hin zu der Überraschung, das ich auf einmal dort Keith Jarrets Kölnkonzert höre.

Das ist zur Zeit übrigens der Radiosender hier auf der Insel mit der höchsten Einschaltquote.

Soviel dann zum Thema.....
Die Sender,die sich geschickt spezialisiert haben, haben nun mal dem Gemischtwarensender den Rang abgelaufen.
:gruebel: :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Hier treffen nun zwei gegensätzliche Meinungen aufeinander:

Wieso sollen private Medien keine Verantwortung tragen und nur der eigenen Gewinn-Maximierung dienen? Alle TV und Radiostationen sollten die Auflage bekommen in einem gewissen Umfang etwas für die Kultur zu tun, damit der Schaden, der durch Big Brother, Popstars, Viva, Werbung und co. verursacht wird, an anderer Stelle wenigstens teilweise wieder ausgeglichen werden kann.

Wenn ich ins Steakhouse gehe, möchte ich nun mal auch mein Stück Fleisch auf dem Teller haben und nicht gezwungen werden, als Vorspeise ein glibbriges Stück Tintenfisch zu essen, "weil ich ja sonst nicht mitbekommen würde, was für kulinarische Vielfalt es gibt".

Jetzt stellt sich die Frage, welche Argumentation die richtige ist. Beim Essen würde ich persönlich Beyme Recht geben, zumal ich auch ein saftiges Steak lieber mag als einen glibbrigen Tintenfisch - ich persönlich esse eben am liebsten rustikal (sowie viel italienische Küche). Was den Musik- und Medienbereich angeht, so stimme ich persönlich auch Davids Meinung überein, und zwar einfach deshalb, weil ich Musiker und DJ bin und persönlich eine möglichst große Musikvielfalt mag.

Hier eine für alle Seiten sinnvolle Lösung zu finden, sehe ich als ein sehr schwieriges Problem an. Würde man hergehen und den Sendern vorschreiben, dass sie einen Kultur- und Bildungsauftrag zu erfüllen haben, würde ein Großteil des Publikums ab- bzw. umschalten. Dank neuer Technologien wie die Stationstasten und Fernbedienung (in den 80ern musste man noch aufstehen und zum Fernseher laufen, um umzuschalten) reagieren die Leute viel schneller, wenn ihnen das Programm nicht sofort gefällt. Die Aufmerksamkeitsspanne sinkt: Hat z. B. ein Song ein längeres Intro, empfinden die Durchschnittshörer das schon nach wenigen Takten als "langweilig, passiert ja nix".

Eine Auflage für Kultur und Bildung für alle Radio- und TV-Sender sowie Presse hätte nur zur Folge, dass zu den Zeitpunkten, wo es anspruchsvoller wird, die Leute einfach reihenweise umschalten, zu einem Sender, der gerade was Primitives senden. Die meisten wollen einfach Big Brother, DSDS & Co. sehen, DJ Ötzi hören und die Bildzeitung lesen. Ich vermute langsam ernsthaft, dass eine Latin-Jazz-Combo keine nennenswerte zusätzliche Popularität und Plattenverkäufe bekommen würde, wenn sie plötzlich mal irgendwo im Radio oder Fernsehen laufen würde - einfach schlichtweg, weil der Mainstream-Hörer schlichtweg keinen Latin-Jazz hört. Der echte Fan einer solch speziellen Musikrichtung hingegen weiß, wo er suchen muss, um z. B. im Internet einen Webradio-Stream mit seinem persönlichen Geschmack zu finden.

DJ Nameless
 
Eine Auflage für Kultur und Bildung für alle Radio- und TV-Sender sowie Presse hätte nur zur Folge, dass zu den Zeitpunkten, wo es anspruchsvoller wird, die Leute einfach reihenweise umschalten, zu einem Sender, der gerade was Primitives senden. Die meisten wollen einfach Big Brother, DSDS & Co. sehen, DJ Ötzi hören und die Bildzeitung lesen. Ich vermute langsam ernsthaft, dass eine Latin-Jazz-Combo keine nennenswerte zusätzliche Popularität und Plattenverkäufe bekommen würde, wenn sie plötzlich mal irgendwo im Radio oder Fernsehen laufen würde - einfach schlichtweg, weil der Mainstream-Hörer schlichtweg keinen Latin-Jazz hört. Der echte Fan einer solch speziellen Musikrichtung hingegen weiß, wo er suchen muss, um z. B. im Internet einen Webradio-Stream mit seinem persönlichen Geschmack zu finden.

Das ist alles eine Sache der Gewoehnung imo.
 
Mir fällt gerade noch ein sachdienlicher Hinweis ein: Was hier auf den letzten Seiten "Profil" genannt wurde, nennt man Format bzw. Formatradio. Damit gibt's dann auch mehr Treffer bei Google, falls jemand tiefer in die Materie einsteigen will. ;-)
 
Beim Essen ist es doch auch keine Sache der Gewöhnung. Selbst wenn man mir jeden Tag Froschschenkel, Haifischflossen, Tintenfische oder Insekten zum Essen vorsetzen würde, würde mir das nicht schmecken. Ich würde weiterhin lieber Schnitzel, Würstchen, Spaghetti oder Pizza essen wollen, auch wenn ich das schon hunderte Male gegessen habe.

Und ich mache als DJ zunehmend die Erfahrung, dass es bei der Musik genau dasselbe ist. Der Durchschnittshörer hört vielleicht mal eine halbe Stunde am Tag Radio und kriegt so gar nicht mit, dass da alle vier Stunden dieselben Titel laufen. Auf ein Konzert geht der "Normalo" auch nur alle paar Monate mal, und da freut er sich, wenn er mal ein paar bekannte Stücke zum Mitsingen hat. Wir Musiker hier im Forum sind die Minderheit, die sich fast den ganzen Tag mit Musik auseinander setzen, quasi ständig Musik hören. Klar, dass uns das dann nervt, wenn im Radio oder in der Disco jeden Tag dieselben Titel laufen. Beim Essen gibt es auch die Minderheit an Gourmet-Essern, die scharf darauf sind, alle möglichen und unmöglichen Gerichte zu testen und kennenzulernen, und niemals auf die Idee kämen, eine Currywurst mit Pommes zu essen - es wäre ihm viel zu "primitiv". Der Durchschnitts-Esser (zu denen ich halt auch gehöre) hingegen stört sich nicht an einem derart "einfachen" Gericht nicht und isst es einfach, weil es ihm schmeckt. Und ihm schmeckt die Currywurst auch immer noch, obwohl er in seinem Leben schon hundert gegessen hat.

DJ Nameless
 
Der Durchschnittshörer hört vielleicht mal eine halbe Stunde am Tag Radio
und kriegt so gar nicht mit, dass da alle vier Stunden dieselben Titel laufen.
Das sehe ich etwas anders.
Man bedenke nur zum Beispiel das typische "Hausfrauen-Küchen-Radio",
oder das klassische "Baustellen-Radio", das den ganzen Tag vor sich hin dudelt.
Weitere Beispiele wären da z.B. die Berufskraftfahrer, etliche Werkstätten oder auch Büros,
Dauerbeschallung von Boutiquen, usw.....

Zugegeben, da hört man nur sekundär hin, und so fallen die besagten Wiederholungen
auch nicht bewusst auf, prägen sich aber unterbewusst ein.

Ich vermute langsam ernsthaft, dass eine Latin-Jazz-Combo
keine nennenswerte zusätzliche Popularität und Plattenverkäufe bekommen würde,
wenn sie plötzlich mal irgendwo im Radio oder Fernsehen laufen würde -
einfach schlichtweg, weil der Mainstream-Hörer schlichtweg keinen Latin-Jazz hört.

Das ist allerdings auch schon wieder regional sehr unterschiedlich.

Der populärste Musik-TV-Sender hier in Spanien heißt z.B. "40"
der zweit-populärste heißt "40 Latino".:gruebel:

Wobei in Kneipen sogar hauptsächtlich der "40 Latino" läuft.
(PS: In spanischen Kneipen ist IMMER der Fernseher an. Entweder Fußball oder Musik.)

Und nach paar weiteren anderen Musiksendern, kommt dann endlich auch mal MTV.

Also, wenn es innerhalb Europas schon solche Unterschiede gibt,
dann wird´s mit ´ner "Globalen Lösung" da wohl eher nichts. :nix:
 

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