Wenn du einfach nur einen Amp da stehen hast und dann versuchst ihn möglichst nach einem Song klingen zu bringen, lernst du deinen Amp und Gitarre kennen. Mit einem echten Amp wächst du irgendwie zusammen, der ist wie ein weiteres Instrument. Das heist manchmal auch mit Unzulänglichkeiten klar zu kommen und gerade die machen den Charakter von etwas genauso aus. Bei einem Modeller tendierst du da nicht rumzuprobieren, sondern wählst dann gleich einen anderen Amp ... wie willst du 100 Verstärker kennenlernen und dann noch 500 Pedale, die du auch noch Kombinieren kannst. Modeller sind unpersönlich, haben keine Identität. Selbst der Ausdruck Werkzeug ist schon zu viel für einen Modeller, weil auch die meisten Werkzeuge haben einen eigenen Charakter, Vorteile, Nachteile, verhalten sich anders ...
Das ist auch der Grund, weshalb ich nach knapp 2 Jahren reinem modelling mir wieder einen Röhrenamp geholt habe. Irgendwie bekomme ich durch den Röhrenamp das Gefühl, einen besseren Sound erreichen zu können, was vermutlich mehr Einbildung als Realität ist. Aber wie du bereits gesagt hast, ein Modeller liefert ein Überangebot und man wechselt tendenziell eher die Hauptkomponenten durch, als sich tatsächlich mit den einzelnen Bestandteilen näher zu befassen. Für meinen High Gain Sound wechselte meine Ampwahl meist zwischen Recto, 6505, Revv oder orange. Die signalchain war sonst unverändert. Mal gefiel mir die eine Kombi besser, mal die andere. Wenn man dann noch mit IRs anfängt, ergeben sich ähnliche Probleme. Jetzt wo ich wieder einen echten Röhrenamp besitze, gibt es halt nur noch „diesen“ Sound (klar IRs spielen da immer noch eine Rolle). Aber ich bin nun irgendwie glücklicher, auf diesen einen (Grund-)Sound festgelegt zu sein (Gemäß dem Motto „Weniger ist mehr“). Zudem hört es sich irgendwie etwas organischer an, als das Pendant auf dem Helix. Nicht dass das Helix schlecht ist, aber rein vom Feeling her bilde ich mir einen Unterschied ein.
Und ich könnte mir vorstellen, dass dieses Überangebot an Möglichkeiten, die ein Modeller liefert, irgendwie die größte Schwäche als auch Stärke zu gleich ist. Um Bezug auf die Ausgangsfrage zu nehmen, ich glaube schon dass es grundsätzlich sinnvoll ist, Grundkenntnisse über die originalen Amps zu haben. Für mich begründet sich das in dem Überangebot an Möglichkeiten die ein Modeller/Profiler bietet, denn ohne Kenntnisse über die Originale mache ich mir persönlich gar nicht die Mühe herauszufinden, wozu der Amp alles in der Lage wäre. Ein amp wird dann eher zu einem Wegwerfprodukt und am Ende bin ich dann immer noch nicht ganz zufrieden mit dem Ergebnis. Bei einem echten amp werde ich auf wenige Möglichkeiten beschränkt und muss damit quasi lernen umzugehen um das Beste herauszuholen. Gefällt mir ein Profil/Modelamp nicht so gut, probiere ich erstmal andere aus, anstatt mich an dem gegenwärtigen Profil/Modelamp zu versuchen. Aber meines Erachtens kann ein Modeller/Profiler erst dann seine Stärken komplett zur Geltung bringen, wenn man solche Kenntnisse hat und sich quasi aus jedem Profil/Modelamp einen für sich passenden Sound basteln kann. Ich dachte auch eine Zeit lang, dass ein Modeller für Einsteiger die beste Wahl wäre, damit diese ihren eigenen Sound finden können. Aber als, sagen wir mal Fortgeschrittener, tue ich mich ja selbst schwer damit. Deswegen glaube ich auch, dass eher unerfahrenere Gitarristen mit einem Modeller überfordert sind und die Simplizität eines normalen Amps brauchen (Ob Röhre oder nicht). Damit würde ich auch die Relevanz und Kontinuität von „echten“ Amps begründen. Das soll nicht heißen dass jeder dann zwangsläufig mit fortschreitendem Spielen zu einer digitalen Lösung wechselt, sondern eher dass jeder in seiner Karriere irgendwann an den Punkt kommt, einen konventionellen amp zu besitzen. Ob und wie lange das einem dann gefällt ist subjektiv, aber ich kann mir schwer vorstellen, dass in Zukunft ein signifikanter Anteil an Gitarristen niemals eine „echten“ Amp besessen haben wird.
Sind natürlich alles verallgemeinerte Aussagen und kann im Einzelfall davon abweichen