Gerade im sehr elektronisch geprägten Deutschland tendiere ich da auch zu einem "Ja".
"Elektronisch geprägt" ist eine Sache. Aber in Deutschland bedeutet elektronische Musik immer entweder Berliner Schule oder Dance Music oder komplett Experimentelles. All das wird überwiegend von Einzelkünstlern gemacht, die auch herzlich wenig selbst machen, weil beide Stilrichtungen praktisch komplett aus Sequencern kommen.
Kraftwerk hatten nie Nachahmer. Jedenfalls nicht hier, wo melodische elektronische Musik verpönt ist.
Hier in UK oder davor in USA sieht es aber ganz anders aus, da gehen die Rock-Wurzeln offenbar sehr viel tiefer... oder man ist einfach noch ein paar Jahre hinten dran, das kann auch sein.
Da ist auch die Bandbreite an Gitarrenmusik eine ganz andere, auch hat Gitarrenmusik einen anderen Stellenwert.
Hierzulande sind Livemusiker
- entweder Profis
- oder Amateure, dann aber im "Kinder sind aus dem Haus"-Alter, was meistens jenseits der 50 ist
- oder maximal Anfang 20 und immer noch hormonell so durch den Wind, daß sie unbedingt Metal spielen müssen. Warum Metal? Weil es möglichst laut, möglichst schnell, möglichst hart, möglichst brutal sein muß.
Deutschland hat auch einfach keine Rockmusik-Vergangenheit. Ende der 60er, Anfang der 70er gab's ein bißchen Krautrock. Aber schon Mitte der 70er wurde exportfähige deutsche Musik definiert als komplett oder überwiegend elektronisch und/oder experimentell.
Die Briten haben dagegen den Beat der 60er, die zeitgleiche Wiederbelebung und "Britifizierung" amerikanischer Bluesmusik und das daraus entstehende Aufkommen der frühen Rockmusik, dann den Prog Rock (und den Glam Rock, auf den man sich jenseits von Bolan & Bowie aber nur hinter vorgehaltener Hand beruft), dann den sehr politisch gefärbten Punk, außerdem Queen und einige kultige Metal-Dauerbrenner, die niemandem mehr irgendwas beweisen müssen. Selbst der Britpop glüht noch nach, auch wenn er im Zickenkrieg endete.
Die Amis haben den Rock & Roll der 50er, den aus Irland übernommenen Folk, die Singer-Songwriter-Sachen von Mitte der 60er, die britischen Einflüsse, all das kochte zusammen zum Hard Rock, der die 70er prägte, und dann den amerikanischen Punk Rock – und der war nicht politisch, sondern einfach Rock & Roll 2.0: schnörkelloser Vollgas-Bretter-Rock voll auf die 12, die Antithese zum Prog Rock. Nicht zuletzt waren es die Amis, die ab Ende der 80er Jahre die Rockmusik und den Metal vorm Synthesizer "retteten", und zwar gleich mehrfach – Thrash Metal, Alternative Rock, College Rock, Grunge und die Wiedergeburt des Punk, der in England ohne Maggie Thatcher als Feindbild keine Existenzberechtigung mehr hatte über eine reine Modeströmung hinaus und in Amiland wieder zu dem wurde, was er immer war.
Worauf können wir uns berufen? Kraftwerk sind elektronisch, Rammstein sind Kabarett, die Scorpions sind für viele eine Balladenband geworden, aber für niemanden ein Vorbild, und alles andere ist schon seit den 70ern weg vom Fenster oder wird mehr oder weniger als Schlager wahrgenommen.
Das sieht man dann auch daran, was so in den verbliebenen Liveclubs auftritt. Die meisten Bands sind doch Importe. Hier in Hamburg sieht man auch noch ein paar Namen aus der Hamburger Szene, aber das sind auch immer dieselben.
Martman