Vielleicht hilft es uns weiter, wenn wir die größten GAS-Generatoren erkennen können. Dann sind wir vorgewarnt.
Ein paar Kandidaten:
Kompakt-VAs. Der Suchtfaktor 37tastiger Modeling-Synths dürfte wohl unumstritten, weil schon lange belegt, sein. Nicht nur viele Soundtüftler wissen es, sondern vor allem wissen es die Hersteller.
Den Grundstein legte Korg 2002. Der MS2000B ist nun wirklich kein großer Synthesizer. Ein bißchen sehr tief vielleicht und größer als ein Virus Indigo, aber nicht groß. Aus ihm wiederum erschafft Korg den ersten Kompakt-VA: den MicroKorg. Spielzeugmäßige Monoblock-Tastatur, dieselbe rotzige Klangerzeugung wie beim MS2K, die nur vier Stimmen hat, etwas eingeschränkt ist und sich nicht in Zurückhaltung üben kann, und zum Schrauben muß man sich einer Matrix bedienen. Aber er sieht gut aus mit seinem 70er-80er-Stilmix, er läuft mit Batterien, vor allem aber ist er klein und kostet wenig. Er ist nicht nur der erste VA, der unter 1000 rutscht, er ist nach ein paar Monaten schon der erste, der unter 400 rutscht. Konsequenz: Das Ding verkauft sich seit 2002 wie geschnitten Brot.
Der MicroKorg war noch ein Versuchsballon. Die ersten, die das GAS-Potential von Kompakt-VAs erkannten, waren Alesis. Die haben die featuremäßig fast schon überbordende achtstimmige Klangerzeugung des Ion genommen und in ein 37-Tasten-Gehäuse gepreßt, das zu drei Vierteln aus besagten 37 Tasten besteht. Der so entstandene Micron hat zwar eine Fullsize-Tastatur, aber kaum Platz für Regler. Ohne Tastatur-Shortcuts wäre er praktisch unschraubbar, so ist er nur annähernd unschraubbar. Von den Möglichkeiten her steckt er derweil den MicroKorg mit Leichtigkeit in die Tasche, auch weil der nur einen Arpeggiator hat und layer-duotimbral ist, während Alesis dem Micron theoretisch 26 Multimode-Parts mit jeweils einem eigenen Patternsequencer mitgegeben hat. Was folgt, ist ein Hickhack zwischen Synth-Leuten, welcher besser ist. Der Micron ist mächtiger, aber noch unbedienbarer, während der MicroKorg sympathischer ist und mehr Charakter und ein Batteriefach hat.
Etwas später schickt sich Korg an, den MicroKorg zu beerben, ihm einen Nachfolger hinzustellen, der eher dem Micron Paroli bieten kann. Sie gießen einen kaum veränderten Radias in ein schwarzes Kompaktgehäuse mit fünf Displays und nennen das Ergebnis R3. Weil der MicroKorg sich aber immer noch verkauft wie blöd, kann Korg ihn nicht ruhigen Gewissens einstellen. Jetzt sind drei Kompaktsynths mit drei Engines auf dem Markt, und die Argumente, keinen zu kaufen, schrumpfen weiter.
Dann kommt der MicroKorg XL. Wieder mit einem Radias drin, dieses Mal aber wieder mit Minitasten, die wiederum besser ausfallen als beim Ur-MicroKorg. Dazu ein Gehäuse wie von einem E-Piano. Soundmäßig gibt's ein paar Vintage-Samples als Goodies dazu. Auch er kann den Ur-MicroKorg nicht ersetzen und den etwas darüber positionierten, doch noch besser schraubbaren R3 auch nicht. Wo Korg nun drei Kompaktsynths im Sortiment hat und Alesis auch noch einen, fangen die Musiker an, sich zu fragen, warum man nur einen Kompaktsynth haben sollte.
Korgs Antwort sind der MicroKorg BK zum 5. Jubiläum mit Poly-800-mäßiger Negativtastatur um MicroKorgs an Leute verkaufen zu können, die schon einen haben und der MicroKorg XL in zwei limitierten Farben um auch davon mehr unters Volk zu bringen, vielleicht gar an Schon-XL-Besitzer. Alesis derweil baut einen limitierten Micron, der da, wo der normale rot ist, blau ist. Und als wenn das noch nicht reichen würde, reichen sie die exakt selbe Soundengine an Akai weiter, die sie in eine modifizierte Version ihrer berühmten Plastikpanzer-Masterkeyboard-Gehäuse reinhängen und Miniak draufschreiben. Der ist zwar nicht unbedingt besser zu schrauben als der Micron, bedient sich genauso, ist aber robuster und hat endlich wieder Modwheels, zielt also auf bisherige Micron-Verschmäher ab.
Wo wir schon mal in Japan sind: Bei Roland ist endlich der Groschen am Fallschirm vom Himmel gefallen. Ihr nächster VA, der GAIA SH-01, hat auch nur noch 37 Tasten, gemahnt an Legenden wie den SH-101 und klingt endlich wieder besser als der SH-201. Struktur und Bedienung sind komisch, aber so ganz erfolglos bleibt er nicht, zumal er natürlich zu dem Zeitpunkt Rolands kostengünstigster Synth ist.
Anscheinend ist der Markt immer noch nicht abgegrast, denn Novations Rückkehr als Synthesizerhersteller erfolgt mit der 37tastigen Ultranova, die von sich verspricht, der Auftakt einer neuen Synthesizerfamilie zu sein, und die mal eben gegen R3, GAIA, Micron und Miniak positioniert wird, obwohl nur monotimbral. Ein Jahr später zielen sie na ja, nicht so sehr gegen den MicroKorg, aber auf dieselbe Zielgruppe, ob die schon ein Körgchen haben oder nicht, und zwar mit der Mininova. Gerissen, wie sie sind, bauen sie dem Kleinsynth nicht etwa 1:1 dieselbe Engine ein wie in die Ultranova, sondern sie verändern genug, um Mininovas an Ultranova-Eigner verkaufen zu können. Man könnte schon fast glauben, daß es Absicht ist, daß die einstigen Meister der multitimbralen VAs ihre neuen Kompakten nur monotimbral gemacht haben.
Und dann ist da wieder Korg, die den MicroKorg XL zum XL+ aufbohren, optisch ein bißchen verändern (mehr Schwarz) und dann auch noch den Ur-MicroKorg und den XL+ in jeweils zwei limitierten Sonderfarbenauflagen (schwarz, Große Koalition) auf den Markt bringen. Und es haben sicherlich ein paar angebissen, die zu Hause schon die anderen beiden Versionen des Urkörgchens haben.
Mit dem immer noch erhältlichen Miniak sind also inzwischen sieben Kompakt-VAs auf dem Markt, auf den mittlerweile sogar Echtanaloge wie Dave Smiths Mopho Keyboard oder vorher sein Mono Evolver Keyboard drängten. Ist ganz klar, daß das nur funktionieren kann, wenn es genügend Leute gibt, die nicht nur einen kaufen. Warum sollte man auch? Sie kosten wenig, man kriegt eine Menge Synth fürs Geld, sie sehen gut aus, sie nehmen wenig Platz weg und sind leicht transportabel. Irgendwo bringt man immer noch einen unter oder zwei.
Und genau daher kommt der Haben-wollen-Faktor: Der Anschaffungswiderstand, nicht nur der finanzielle, ist gering. Wenn ein neues VA-Dickschiff wie der Accelerator oder ein neuer Virus rauskommt, geht man in den Laden und testet das Ungetüm ehrfürchtig an, wie wenn man einen Bentley probefahren würde. Wenn ein neuer Klein-VA zum Klein-Preis rauskommt, geht man in den Laden und testet ihn darauf, ob man nicht gleich mit einem davon unterm Arm zur Kasse marschiert. Selbst der gute alte MicroKorg versprüht in seinem zwölften Jahr immer noch seinen Charme. Er sieht immer noch kultig aus, er ist immer noch kultig, und man ertappt sich bei der Frage, warum man immer noch keinen hat sofern man noch keinen hat.
Modularsynthesizer. Die Anfänge der Synths, wie wir sie kennen. Zuerst kamen die richtig modularen, also mit austauschbaren Modulen. Moog-Wände, ARP 2500, dergleichen. Die Module hatten eigene Namen und konnten sogar separat bestellt werden. Die Evolution verschmolz die Module zu Unipanels (Buchla) oder schrumpfte die Synths kompakt (EMS-Synthis, ARP 2600, Korg MS-20), ließ aber die Patchmöglichkeiten bestehen. Irgendwann waren Modulare out und Polysynths in, dann war Analog als Ganzes out und Digital war in.
Und dann kam Dieter Doepfer. In einer Zeit, wo die Synthesizer-Industrie fast nur an samplebasierten Presetschleudern interessiert war, hat er mal eben den analogen, spannungsgesteuerten Modularsynthesizer der ganz alten Schule neu erfunden. Richtig mit Einzelmodulen. Mit moderner Technik, aber vorverdrahtet war nur die Stromversorgung.
Im Gegensatz zu Bob Moog aber hat er seine Module um 40% niedriger gemacht. Das spart Geld, dann spart das Platz in der Höhe, und dann spart das wieder Geld, weil die Frames kleiner ausfallen können und nicht so große Gewichte tragen müssen.
Nun ist ein Modularsynth aus Einzelmodulen allerdings halb witzlos, wenn man ihn einmal kauft und ihn dann für immer so läßt. Wofür hat man denn Einzelmodule. Das, und irgendwann ist man der immer gleichen Verstöpselungen überdrüssig und will mal was Neues. Aber man hat ja einen Modularsynthesizer. Also trägt man das einen Absatz weiter oben gesparte Geld zu Doepfer und kauft sich da was Feines.
Solange man noch Blindpanels gegen Module tauscht, ist alles halb so wild. In dem Augenblick, wo der Frame vom Grundkit aber mit Modulen voll ist, wird die nächste Stufe gezündet: Noch ein Frame muß her. Damit das eine Weile vorhält, nehmen wir natürlich nicht eins mit nur einer Reihe. Schon haben die ein, zwei herrenlosen Module ein Zuhause.
Aber man hat ja jetzt "noch Platz im Frame". Das ist zum einen die Ermunterung, Module zu kaufen, weil man nicht Gefahr läuft, daß der Frame gleich wieder voll ist, und zum anderen ein Kaufargument, denn so'n halbleerer Frame sieht ja nicht aus, und mit Blindpanels will man ihn auch nicht ausfüllen, das sieht auch nicht aus. Ach ja, wenn der Frame dann doch mal voll ist, ist mitnichten Ende. Dann geht's mit dem nächsten Frame weiter.
Und wehe dem, der ein Modul verkauft. Die klaffende Lücke im Frame will natürlich schnellstmöglich gefüllt werden. Und eine Lücke mit Blindpanel drauf ist und bleibt eine Lücke.
Dieter Doepfer ist ein erfinderischer Mensch. Er haut ja immer mal wieder interessante neue Module raus. Das sorgt ja alleine schon für GAS, auch weil er seine Kunden gern lange vorher heiß macht auf die nächsten Module, bevor die erscheinen. Aber als wenn das nicht genug wär, hat Doepfer sein System zum weithin anerkannten Standard werden lassen. Das Ganze nennt sich jetzt Eurorack, und es gibt inzwischen etliche Hersteller, die passende Module bauen. Und die können wieder was anderes oder klingen wieder anders als die von Doepfer. Um so häufiger steht man bei seinem Moduldealer und zieht sich die nächste Dosis 3HE auf. Es gibt sogar noch andere Hersteller von Grundsystemen, mit denen man sich anfixen kann.
Inzwischen ist ja sogar Moogs 5HE-System wiederbelebt worden. Club of the Knobs beispielsweise bietet ganze Systeme in moogähnlicher Optik an. Und auch hier gibt's wieder etliche Anbieter mit Modulen, die den Mehrplatz gegenüber den drei Eurorack-HE ausnutzen. In diese Größe paßt sogar ein ganzes Oberheim SEM mit rein oder zwei, und von Manfred Mann wissen wir ja, daß die SEMs moogkompatibel sind.
Weil es natürlich nicht alle Module für beide Systeme gibt, haben beide ihren Reiz. Moog/CotK, weil Moog, und Eurorack, weil kompakter und mehr Module verfügbar. Analog (!) zum Kompakt-VA lassen sich viele nicht davon abhalten, sich gleich mehrere Modularsysteme hinzustellen, zumal es dann ja beispielsweise auch noch Serge oder Buchla gibt. Wenn die Spannungen kompatibel sind, wird auch mal systemübergreifend gepatcht, und wenn nicht, gibt's Wandler für alles.
Aber es gibt für expandierende Modularsysteme noch einen Grund: Modularsynthesizer können multitimbral sein. Man kann durchaus mehrere Sounds auf demselben System zusammenpatchen und unabhängig voneinander spielen, vielleicht auch mit Sequencerhilfe, wenn man genügend Module und einen Sequencer hat.
Wenn man genügend Module und einen Sequencer hat...
Martman