Zuerst halt doch noch mal OT, sorry:
Und was verstehen die lehrer gemeinhin? Die theorie.
Also geht es wohl nicht so gut ohne sie, eine stimme aufzubauen - sonst würde man doch recht orientierungslos umherirren, da man vorgänge im vokaltrakt schlecht so vormachen kann wie die handhaltung an nem gitarrenhals. Zusammengänge theoretisch verstehen heißt zu wissen, aus welchen gründen es wo haken kann und mit welchen alternativen versuchen man sich an das beheben von problemen vortasten kann.
Sicher wird ein GL einiges an theoretischem Wissen haben. Aber keiner der GL die ich kenne (3 "reguläre" (inkl. meiner jetzigen GL, die als eine der besten Gesangs-Ausbildner hier gilt) und diverse GL, die ich an Gesangsworkshops und Kursen kennenlernen durfte, auch alles gestandene Praktiker mit viel Erfahrung in ihrem Beruf), hat zum Glück die Schüler mit feinanatomischen, physiologischen oder technischen Infos zugekleistert. Der Unterricht wie ich ihn kenne, lief bis jetzt immer über (individuell abgestimmte) Bilder und Gefühle, Bewegungen und Vorstellungen etc. Das wichtige dabei ist die Individualität, es ist ein ausprobieren, welche Vorstellungen, Bilder beim betreffenden Schüler funktionieren und welche nicht.
Und dass solche Vorstellungen nicht immer mit den realen Verhältnissen übereinstimmen müssen, zeigt schön das Beispiel vom Gaumensegel, das (glaub in der Höhe
@broeschies?) in Wirklichkeit runtergeht, wo aber so ziemlich jeder Sänger sich vorstellt, es zu heben - und man höre und staune: diese völlig verquere Vorstellung funktioniert für den gewünschten Effekt bestens.
Ich zweifle jedoch auch an der binsenweisheit, dass theoretisches wissen den singenden selbst schadet.
Kommt drauf an! Wenn ich z.B. sehe, dass es hier dann Leute gibt, die Frequenzanalysen ihrer Stimme posten und (vereinfacht gesagt) fragen, ob das jetzt gut gesungen war, finde ich diese Entwicklung schon ziemlich bedenklich. Und in einer Zeit und Gesellschaft, wo Kopflastigkeit ohnehin vorherrscht, kann ich mir ein Zuviel an Theorie schon als gesangsverhindernd vorstellen!
Von einem noch nicht voll verstandene dinge haben es so an sich, dass man deren potentiellen praktischen nutzen nicht voll erfasst.
Mit dieser kurzsichtigen einstellung wären wir noch in der höhle, mit einem vokabular von "oga boga" bis "uga uga", beliebtester snack: läuse vom ungepflegten schopf des verwandten.
Im klassischen Gesang sind wir aber noch in der Höhle! Es gibt wohl kaum so was konstantes wie klassischen Gesang! Sicher gibt es auch hier leichte Veränderungen und Strömungen, aber die Sänger vor 100, 200 oder 300 Jahren haben wohl nicht schlechter gesungen als die Sänger heute! Und man höre und staune schon wieder: die haben das gelernt ganz ohne Frequenzanalysen oder überhaupt irgendwelche technische Hilfsmittel
Damit keine Missverständnisse: auch ich nutze beim Singen gerne gewisse technische Errungenschaften: ich finde es sehr angenehm, innert Sekunden im Internet 10 verschiedene Videos der Arie zu finden, die ich gerade in Arbeit habe; es ist super einen handlichen aber qualitativ hochstehenden Recorder zu besitzen, mit dem man sich aufnehmen und von aussen hören kann oder den ich im GU dabei habe und so nicht dauernd meinen Gesang unterbrechen muss um Notizen zu machen. Aber alles hat seine Grenzen und so was wie diese Analysen halte ich nicht für förderlich für den stimmlichen Fortschritt, aber das hatten wir ja schon, lasse ich jetzt also
Manch einer merkt womöglich gar noch nicht den unterschied zwischen vibrato und tremolo, weil es sich in gewissem rahmen ähnlich anhören kann.
Wenn es ein Zuhörer nicht merkt (=hört!), dann stört es ihn wohl auch nicht
. Wenn es ein Sänger nicht merkt
dann hat er ein Problem der gröberen Sorte und wenn es ein GL nicht merkt
, dann sollte der Berufsverbot kriegen!
Ich frage mich, wie das mit dem Vibrato das man bei guten Solisten hört im Unterricht eigentlich entsteht. Kommt es tatsächlich von selbst, sobald man zuverlässig mit großem Ansatzrohr singen kann? Hat das dabei entstehende Vibrato dann immer in etwa die gleiche Geschwindigkeit und Größe? Weisen starke Abweichungen davon auf ein gemachtes Vibrato hin? Was macht man, um einen Schüler vom Quintenschleudern wegzubringen?
Also ich kann dir nur sagen, wie es bei mir war (und wie gut ich als Solistin bin, das müssen allerdings andere beurteilen
): das Vibrato kam, als erstens mein Stimmsitz besser wurde und ich es zweitens endlich schaffte, Kiefer/Zunge und Kehle so wirklich richtig loszulassen.
Aber das ist vermutlich auch individuell verschieden, bei anderen mag es andere Gründe geben, die zuerst das Vibrato noch verhindern, d.h. die Stimme noch festhalten lassen.
Und es war wirklich so, dass das Vibrato wie ein (allerdings sehr erwünschter) Überraschungsgast kam
. Zuerst hat er sich nur ab und zu und ganz kurz blicken lassen, ist gleich wieder abgehauen und meist dann zurückgekehrt, wenn ich am wenigsten damit rechnete: z.B. beim völlig freien, emotionalen, "kopflosen" singen beim Abwaschen oder wenn ich ein Arie bei YT mitgeträllert habe (das hat wohlgemerkt aber nur funktioniert, weil ich da die gesangstechnischen Grundlagen schon mehr oder weniger drauf hatte, nur trällern alleine genügt in der Regel nicht, um ein Vibrato wie es im klassischen Gesang erwünscht ist heranzubilden). Mittlerweile ist das Vibrato schon fast ein Dauergast, der einfach da ist, ohne dass man an ihn denken muss und der einen auch nicht gleich wieder verlässt, wenn man mal stimmlich nicht so gut drauf ist. Aber eben nur fast! Gibt immer wieder Situationen und Töne, wo die Schwingung noch nicht zuverlässig ist. Und Angst ist dabei ein potenter Vibratokiller. Wenn man denkt: Sch*, jetzt kommt dann diese Sch*stelle mit dem sch*langen Halteton der dann sicher wieder nicht bis zum Ende durchschwingt, ist die Verkrampfung perfekt und das Resultat vorprogrammiert! Oder bei mir auch in der Höhe: bis cis''' schwingts zuverlässig und regelmässig, d''' habe ich mittlerweile so weit, dass er immer öfter auch gut schwingt (manchmal aber auch wieder gar nicht
) und ab es''' sind die Töne halt meist noch sehr gerade, leider. Spielt zu Glück nicht so eine grosse Rolle, da diese Töne meist nur kurz in Koloraturen angetippt werden müssen, da reicht es, wenn sie sauber und locker-leicht daher kommen, aber wäre halt trotzdem schön, man könnte auch ein e''' oder f''' so richtig lange durchschwingen lassen. Aber egal, man braucht ja noch Ziele und so wird's auch nie langweilig!
Werte zu Geschwindigkeit und Grösse kann ich dir nicht geben, da ich halt keine technischen Analysen mache (hatten wir glaub schon
)
Und ad Quintenschleudern: da müsste man wohl zuerst mal schauen, wie es um die Stimmgesundheit des Betreffenden bestellt ist (Stichwort: abgesungene Profis, Alterstremolo), ansonsten könnte ich mir vorstellen, dass man da v.a. am Sitz (sprich dem Steuerrad beim singen) arbeiten müsste, wenns da nicht mehr passt, macht die Stimme was sie will! Aber da können die GLs hier sicher mehr dazu sagen.