Ich glaube es ist mal wieder Zeit für eines meiner Lieblingsthemen: Der Hallradius (
Wikpedia-Artikel).
Wer den Artikel kurz überfliegt, erkennt: Außerhalb des Hallradius ist die Richtwirkung eines Mikrofons dahin, die Ausrichtung und Positionierung von Tonquelle (Lautsprecher) und Mikrofon werden bedeutungslos. Klingt gemein, ist aber so. Hat sich der liebe Gott wahrscheinlich kurz vor seinem siebten Tag/Ruhetag ausgedacht, so als kleiner Scherz, um den Tontechnikern ein Jammertal auf Erden zu bereiten.
Man kann das mit einem von der Seite besprochenen Mikrofon im Proberaum schnell prüfen, um ein Gefühl dafür zu kriegen. Man nehme also ein Mikro bauform mäßig e906/609, Großmembraner o.ä., halte es direkt vor den Mund, spreche von vorne rein. Man dreht das Mikrofon um 180°, und spricht weiter. Ein Riesenunterschied in Lautstärke und Sound, wie durch die Richtcharakteristik des Mikros eben zu erwarten ist
Dann macht man das gleiche am ausgestreckten Arm, oder auf noch größere Entfernung. Man hört: mehr Raumanteil (klar!) Aber wichtiger: Der Unterschied, d.h. die Richtwirkung des Mikrofons beim rumdrehen, wird immer geringer - weil das Mikrofon sich irgendwann außerhalb des Hallradius befindet, im diffusen Schallfeld, wo der (diffuse) Schall eben aus allen Richtungen auf das Mikrofon einfällt.
Dieses Experiment bringt eine fiese Erkenntnis mit sich - oberhalb eines bestimmten Abstands ist die relative Positionierung und Ausrichtung von Schallquelle zu Mikrofon schlicht bedeutungslos, man könnte ebensogut ein Kugelcharakteristik-Mikrofon benutzen.
Und welcher Abstand ist das nun? Er hängt vom Raumgröße, Raumakustik, und Richtwirkung von Schallquelle und Mikrofon ab.
Im Wikipedia-Artikel steht die Formel, aber ganz pragmatisch (für alle Formelhasser) gilt:
- Größere Räume = größerer Hallradius
- Räume mit mehr Nachhall =
größerer kleinerer Hallradius (danke für den Hinweis von Zelo01, war ein Fehler!)
- Mikrofone mit stärkerer Richtwirkung = größerer Hallradius
- Schallquelle mit stärkerer Richtwirkung = größerer Hallradius
Auf den akustisch unbehandelten und sau-engen Betonwand-Proberaum bezogen heisst das im Prinzip: Wir sind am Arsch. Der Hallabstand ist da schnell mal weit unterhalb eines Meters.
Die Auswirkungen:
- Die Vocalmikrofone sind vermutlich außerhalb des Hallradius zu den Monitor-Speakern - die Ausrichtung (oder Änderung derselben) bleibt ohne Effekt.
- Die Vocalmikrofone sind vermutlich außerhalb des Hallradius zum Drumkit - die Ausrichtung (oder Änderung derselben) bleibt ohne Effekt.
- Overheadmikrofone sind vielleicht noch innerhalb des Hallradius zu den oben am Kit hängenden Becken. Aber die tiefer hängenden Toms sind schon außerhalb des Hallradius und klingen dementsprechend auf den Overheads weit entfernt, als wären sie im Nachbarkeller.
- Recordingtechniken wie Glyn-Johns, oder XY-Aufnahme des Raums o.ä. Stereomethoden funktionieren nicht: Weil die Voraussetzungen (Hallradius größer als Mikrofonabstand) unter dem diese Techniken erfunden wurden, im kleinen Betonkasterl halt nicht erfüllt sind.
- Vocalaufnahmen klingen ohne handfeste Nachbearbeitung immer scheisse. Weil selbst mit dem feinsten Boutique- Mikrofon schlicht keine Position und Abstand zu finden ist, bei dem man a: deutlich innerhalb des Hallradius ist, und b.: immer noch außerhalb des Nahbesprechungseffekt.
Wenn man also die scheinbar widersprüchlichen Aussagen nebeneinanderlegt:
"Positionierung ist das A und O" vs "Positionierung hilft nicht"
muss man die Sache danach bewerten, unter welchen Raumakustischen Bedingungen der jeweilige Diskussionsteilnehmer zu seiner Aussage kommt. (Und ob er sich dieser Tatsache überhaupt bewusst ist, und den Zusammenhang zwischen SEINER Raumakustik und seinen Ergebnissen versteht)
Fazit:
Positionierung und Ausrichtung sind wichtig und haben eine konkrete Auswirkung auf Sound und Feedbackfestigkeit. Aber nur in einem Raum, der einen ausreichend großen Hallradius hat, damit die Richtcharakteristik der Mikrofone noch greift.