Eine großartige Einstellung, um sich selbst zu besiegen
... Argumente nicht anzuführen, um behaupten zu können, ich würde mich ja nicht von ihnen überzeugen lassen, ist ein Zirkelschluss.
Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren, aber ich kann nur mit dem arbeiten, was du anbietest, also in dem Fall der von dir verlinkten Statistik.
In diesem Fall etwa habe ich Lady Gaga durchaus unterschätzt. Sie ist also auch 2018 tatsächlich nochmal mit einer Single in den Charts aufgetaucht.
Gleichzeitig fällt auf, dass die Höchstposition, die sie dabei erreicht hat, deutlich niedriger ist als in den vorherigen Jahren - wir reden hier von einem Wechsel von zweistelligen auf dreistellige Platzierungen, sodass es mich nicht wundert, dass ich davon nichts mehr mitbekommen habe - in die ultimative Chartshow hat sie es dadurch jedenfalls nicht mehr geschafft
. Und in dieser Show wird das Ranking ja auf Basis dessen erstellt, wie lange sich ein gegebener Song auf einer bestimmten Position hält (Stichwort Langlebigkeit). Was kurz auf Platz 1 geht, dann aber auch schnell wieder Platz macht, ist demnach zwar erfolgreich, aber eben nicht besonders langlebig.
Ich könnte dir jetzt auch einfach eine rosarote Brille bezüglich der Chartmusik unterstellen, aber lieber möchte ich verstehen, woher die jeweilige Begeisterung kommt
.
Wir reden nur dann aneinander vorbei, wenn wir entweder die Grütze des ESC mit den erfolgreichsten Songs aus den Charts oder aber die Grütze aus den Charts mit den erfolgreichsten Songs des ESC vergleichen.
Trash findet sich in beiden Formaten in Hülle und Fülle, und bis man etwas findet, das einem gefällt, muss man immer eine Weile nach der Nadel im Heuhaufen suchen.
Also müsstest du mir vor Augen führen, was für dich die Songs der genannten Künstler aus den Charts den ESC-Songs pauschal überlegen macht?
Zumindest insofern, als dass du das eine eher der Aufmerksamkeit würdig erachtest als das andere?
Ich etwa bin ja persönlich generell ein Freund von echten Instrumenten, die sind jedoch sowohl in den Charts als auch beim ESC selten geworden, also sind andere Maßstäbe am Werk, die darüber entscheiden, ob ich einen Song "trotzdem" mag oder nicht.
Dass Erfolgszahlen nicht ein erschöpfender Marker für Qualität oder musikalischen Anspruch sind, darauf können wir uns, denke ich, schonmal einigen
. Troll-Songs wie "Holz" und "Gangnam Style" sind die Chart-Äquivalente von "Wadde hadde dude da?" und den russischen Omas. Und es verirren sich ja sogar wie gesagt auch immer wieder ESC-Songs in die Charts:
https://en.wikipedia.org/wiki/If_I_Were_Sorry
https://en.wikipedia.org/wiki/Calm_After_the_Storm
https://en.wikipedia.org/wiki/Euphoria_(Loreen_song)
https://en.wikipedia.org/wiki/Rise_like_a_Phoenix
Und das dann auch noch in unzähligen europäischen Ländern gleichzeitig, weil ja eben so viele das gleichzeitig sehen. Da geht's dann nicht mehr nur darum, was die Amis toll finden
.
Apropos Amis: Wäre das Format tatsächlich so ausgelutscht, wie du behauptest, würden wohl nicht jedes Jahr aufs neue amerikanische Sender darüber fantasieren, wie die USA teilnehmen; die Türken hätten keinen eigenen Ableger des ESC hochgezogen; und soweit ich weiß ist sogar ein asiatisches Pendant im Gespräch. Was Jon Ola Sand von der EBU auf jeden Fall bereits plant, ist eine US-Version des "Bundesvision Song Contest", d.h. wo die einzelnen Staaten gegeneinander antreten.
Ausgegangen ist diese Diskussion ja von der Aussage, der ESC habe nur marginale Bedeutung für die
MusikGESCHICHTE. Darauf bezogen sich meine Kommentare über Abba, Celine Dion, Johnny Logan, Katrina & The Waves, Dschingis Khan etc., denn die widerlegen diese Aussage schon einmal. Dass das alles mehrere Jahrzehnte her ist, wie du dann angemerkt hast, stimmt zwar, war jedoch für die Widerlegung der Ursprungsbehauptung nicht relevant, weil die sich eben auf den gesamten Zeitverlauf bezog.
Reden wir hingegen über die
aktuelle Bewandnis dieses Events, ist der Fokus ein völlig anderer: Der ESC ist nicht als Newcomer-Show gedacht, so wie etwa The Voice, hat also gar nicht mehr den Zweck eines "Karrierestarters", den er früher vielleicht einmal hatte. Jetzt ist er mehr
eine Art musikalisches Olympia, mit denselben Kontroversen über die Gastgeberländer, politische Einflüsse und "schummeln", wie das auch bei jedem Sportevent vorkommt.
Einem Olympiasieger ist ja auch klar, dass er bald schon vom nächsten abgelöst wird
. Das steckt einfach im Konzept der Veranstaltung drin. Langfristiger Erfolg ist da also gar nicht der Fokus, Titelverteidigung bleibt, wie auch in Sportarten, die absolute Ausnahme.
Der Unterschied ist: Bei Olympia ist die Schummelei Russlands erwiesen
, beim ESC bleibt das meist im Bereich der Verschwörungstheorien. Trotzdem besteht Olympia trotz all seiner Schwächen weiterhin als Format, genauso die Fußball-WM.
All diese Events wirken sich auf das alltägliche Leben des einzelnen Deutschen ebenfalls nur bedingt aus
. Deutschland war halt einfach nur speziell beim ESC in den vergangenen Jahren ein ebenso schlechter Verlierer, wie es bei der WM oft "Sieger der Herzen" war
.
Also erklären wir gerne die WM für relevanter, weil wir da üblicherweise besser abschneiden
. Fakt ist jedoch, dass der ESC mehr Zuschauer gleichzeitig an den Fernseher bindet - die einzelnen Matches beim Fußball hingegen gucken primär nur die beiden beteiligten Länder.