Für mich ist das ein absolutes No-Go. Allerdings nicht, weil mir meine Gitarre heilig ist; ich bin kein Gitarrist, ich bin Keyboarder, will sagen, Synthesizerspieler.
Einer der Hauptgründe ist, daß meine Synthesizerburg so kompliziert ist, daß damit nur ich umgehen kann. Zwei Keyboards, die an sich schon teils recht aufwendig vorprogrammiert sind. Ein 15×10HE-Winkelrack mit zwei weiteren Synthesizern, einem 16kanaligen Submixer und einer fernsteuer- und programmierbaren MIDI-Patchbay mit allen Schikanen (8 in, 8 out). Einer der Racksynths ist sogar noch als Effektgerät geschaltet. Mittendrin mein Gesangsmikro, das auch mit über den Submixer läuft. Darin steckt nicht nur irrwitzig viel Programmier- und Einstellaufwand meinerseits, bis alles so wurde, wie es jetzt ist, sondern auch eine Menge Möglichkeit, da was zu verstellen. Vor allem was zu verstellen, was ich hinterher nicht sofort nachvollziehen kann.
Zugegeben, die Tatsache, daß ich eine Changeoverzeit von 30 Minuten für meine Burg wirklich voll ausnutzen muß, bringt natürlich die Verlockung mit sich, zu sagen: Bau deinen Krams ganz am Anfang auf, dann können auch von anderen Bands die Keyboarder drauf spielen. Aber tut mir leid, ist nicht drin. Schon gar nicht, wenn ich nicht dabei bin. Wer weiß, wer da wo dran rumfummelt. Gerade bei der MIDI-Patchbay ist da schnell mal was verstellt und sofort überspeichert.
Noch schlimmer ist es, wenn da jemand was kaputtmacht. Nicht nur wegen "Ich hab nix gemacht", sondern vor allem, weil das jeweilige Gerät dann ausfällt, und wenn was ausfällt, bin ich zumindest eingeschränkt, wenn nicht sogar für mich der Gig gelaufen ist. Gitarristen haben da weniger ein Problem, die haben zur Not eine Ersatzgitarre zur Hand. Da spielt allenfalls der Gesamtzustand der Gitarre und die Makellosigkeit der Decke eine Rolle, nicht aber die Durchführbarkeit des Gigs. Und ich hab auf der Bühne nicht gerade eine Hammond B3 aus den 60ern in mint condition für 11.000 stehen, einen mustergültig restaurierten Lintronics-Memorymoog für 8.000 , einen werksaufgebauten EMS Synthi AKS (gibt's bei EMS-Rehberg für gut 6.000 und sehr viel Wartezeit), einen superseltenen ARP 2600 Mk I Blue Marvin für auch ein paar Tausender oder gar eine über 100.000 teure und sieben Zentner schwere 1974er Yamaha GX-1 (von kaum mehr als einem Dutzend, die Japan je verlassen haben), wo es wirklich schmerzt, wenn was in die Brüche geht. Auch haben Keyboarder für gewöhnlich keine geradezu intime Bindung zu einem konkreten Instrument.
Ich habe eher das Problem, daß, wenn etwas ausfällt, ich es ersetzen muß durch ein zweites Exemplar von genau diesem Gerät mit (falls vorhanden) genau denselben Erweiterungen darin und genau denselben eingespeicherten Sounds und Einstellungen. Sprich, wenn mir jemand die XP-80 versaubeutelt, mein Hauptkeyboard, kann ich nicht statt dessen auf irgendeinem Stagepiano oder irgendeiner Yamaha-Tischhupe spielen, auch nicht auf einer Fantom-G7 (Ururenkelin der XP-80). Dann muß da eine XP-80 hin, und zwar mit den gleichen drei Expansion Boards wie meine in derselben Reihenfolge wie bei mir. Die XP-80 wird seit 10 Jahren nicht mehr produziert, sie ist gebraucht nicht einfach zu finden, und weder eine andere Roland-Workstation der darauffolgenden vier Generationen noch eine Workstation eines anderen Herstellers noch ein Keyboard, das keine Workstation ist, kann sie in meinem Setup ersetzen. Spontan schon gar nicht.
Was ich in der Band mache, ist bei vielen Stücken so kompliziert und geradezu exzessiv bis ins Detail durchgeplant und durchprogrammiert, daß jegliche spontane Abweichungen und Änderungen nicht möglich sind oder den Verlust von 80-90% meines Beitrages in einem Song nach sich ziehen können. Blöderweise funktioniert all diese Vorprogrammierung nur auf ganz konkreten Geräten, nämlich auf denen, die ich in meinem Setup habe. Wie gesagt, wenn ich wie ein Gitarrist Ersatz mitnehmen müßte, müßte ich exakt dieses Setup in seinem vollen Umfang zu jedem Gig zweimal mitnehmen, inklusive dem platzraubenden Riesenrack sowie drei Synthesizern und einer MIDI-Patchbay, die nicht mehr gebaut werden und gebraucht schwer zu kriegen sind. Die Kosten dafür sind schon happig genug (auch wenn es Gitarristen gibt, die für eine Gitarre, die sie live spielen, eine Summe ausgeben, für die ich mir zwei Kopien von dem ganzen Zeug kaufen könnte), aber der Platz, den das alles im Sprinter einnimmt, wahrscheinlich ohne je genutzt zu werden, ist gewaltig, und der Aufwand, alles datenmäßig immer auf exakt demselben Stand zu halten, immens.
Okay, das kann man nie ausschließen, daß was kaputtgeht. Aber ich kenn mein Gear gut genug, um die Chance minimieren zu können. Und wenn was kaputtgeht, dann wär ich dabei schon gern in der Nähe. Es ist auch unwahrscheinlich, daß jemand durch unwirsches Verhalten einen Synthesizer bis zur Unbenutzbarkeit beschädigt, aber nicht ganz auszuschließen etwa, wenn so ein Vollhonk meint, die Freifläche rechts ist ganz prima geeignet zum Aufstellen eines Bierglases, und das Bier dann in die Tastatur oder ins Bedienpaneel kippt. Ich meine, ich habe schon ein Problem damit, wenn in einer Setpause jemand anderes auf unserer Bühne was vorführen will oder eine Billignebelmaschine in meiner Bühnenecke steht, die mein Gear mit einem Ölfilm überzieht.
Zum Glück spielen wir praktisch nie Gigs, wo das Risiko besteht, daß jemand im Vollrausch die Bühne entert und Stimmung machen will. Kleine Veranstaltungen sind meist hinreichend zivilisiert, und bei etwas größeren ist es schwierig genug, auf die Bühne zu kommen.
Ach ja, mit den ganzen Vorprogrammierungen wird außer mir eh niemand was anzufangen wissen. Das heißt, an meiner Stelle in unserer Band auf meinem Equipment kann auch niemand spielen. Fragt die anderen Keyboarder in diesem Forum ich hab schon den Ruf des "verrückten Wissenschaftlers" weg dank meiner Arrangier- und Programmierexzesse. Niemand sonst ist so wahnsinnig, so zu spielen, also wird sich kein anderer Keyboarder da so ohne weiteres reindenken können oder wollen.
Martman