"Eigentlich" geht es mir ganz gut. Da wir als Familie momentan ganz gut funktionieren (gut, ab und zu mal knirscht es im Getriebe, aber nix Wildes), womit ich gar nicht gerechnet habe, erleichtert mich ziemlich. Ich hatte mit deutlich mehr Konflikten gerechnet, ich bin jetzt seit 13 Tagen im Homeoffice, mein Mann seit 10. Gut, meine "Kinder" sind groß und autark, mein Sohn hat gestern mal Frust geschoben wegen einer Deutschhausaufgabe, die er nicht kapiert hat, aber grundsätzlich macht er seinen Kram. Meine Tochter sieht wieder Land, weil sie sich vorgestern für das nächste Semester anmelden konnte und jetzt einen Stundenplan hat. Außerdem kam der Laptop aus der Reparatur zurück. Unser Französischprojekt läuft ganz gut, wir arbeiten jetzt mit einem bestellten moderneneren Lehrbuch, das sie selbst durcharbeitet, und wir üben dann nachmittags zusammen kleine Dialoge, außerdem schreibe ich ihr einfache kleine Geschichten, die sie übt.
So richtig Angst macht mir die Erkrankung selbst auch nicht, auch wenn mein Mann und ich mit Ü50 schon zu der Gruppe der Leute gehören, die stärker gefährdet sind. Scheinbar kann ich das noch ganz gut wegschieben. Ich bin aber auch kein sonderlich ängstlicher Mensch, und ich bin auch grundsätzlich "Selbstversorgerin", bin im Job zwar in einem Gemeinschaftsbüro mit Kollegen, aber letztendlich auf mich allein gestellt und allein verantwortlich. Und war zum Ausgleich schon lange in Social Media unterwegs, seit mindestens 20 Jahren. Dennoch merke ich gerade, dass mir die Wege, die mich vorher auch gestresst haben, weil mein Tag so getaktet war, vermisse. Mir fehlen die Bewegung draußen, die Eindrücke. Klar, wir gehen auch spazieren oder einkaufen, spazieren auch längere Strecken. Aber das sind eher Strecken hier im Umkreis, irgendwie ist der Tag durch das kompakte Aufeinanderhocken auch aufwendig geworden. Ich hatte das kürzlich in einer PN schon mal geschrieben, es kostet mich einfach auch Kraft, dass die verschiedenen und normalerweise getrennten Bereiche meines Lebens gerade so ineinanderwuchern. Außerdem verschwimmt der Wochenverlauf zu einem Brei. Wenn ich keine Aufträge mehr hätte und deshalb nicht mehr darauf achten würde, was für ein Wochentag und welches Datum ist, ginge mir das flöten. Ich beginne also schon, die äußere Struktur zu vermissen.
Tja, und "uneigentlich" merke ich, dass ich - wegen der mangelnden Struktur, aber weil ich auch langsam anfange, meine Herzmenschen, die sich außerhalb meiner Familie befinden, ganz arg zu vermissen - dass ich verkrampfter bin als sonst. Ich fange wieder an, beim Arbeiten die Schultern hochzuziehen, wenn die Zeit bis zur Abgabe knapper wird, ich verkrampfe mich beim Konzentrieren auf die Dinge, die anstehen. Ich bin gerade noch in der glücklichen Lage, Aufträge zu haben, aber es ist weniger geworden und ich frage mich auch, wie sich das weiterentwickeln wird. Ich arbeite ja für die Medien, und das was ich da mache, ist mehr "nice to have" als "systemrelevant". Ich war da immer stolz drauf, aber schön langsam mischen sich da auch Zweifel rein. Und ich fange wieder an mich zu fragen, wieso ich nicht doch noch Medizin studiert habe (wollte ich nach meinem Übersetzungsstudium nämlich machen, weil ich das viel spannender fand als die Arbeit mit Sprache). Ich werde gerade auch insgesamt grüblerischer.
Und, ebenfalls "uneigentlich" ist jetzt gerade so ein Zeitpunkt (ich muss für 2018 ordentlich Steuern nachzahlen, was jetzt natürlich gerade zur Unzeit kommt, und beschäftige mich deshalb gerade auch mit Kassenstürzen und Finanzaufstellungen, um einen Schlachtplan mit meiner Steuerberaterin zu entwerfen), wo auch mein Konzept der Eigenständigkeit und finanziellen Unabhängigkeit an seine Grenzen kommt. Mein Mann ist Beamter, aber letztendlich wirtschaften wir mehr oder weniger getrennt. Wenn es jetzt aber um die Beantragung von Überbrückungs- oder Soforthilfen ginge (soweit bin ich noch nicht, aber wer weiß, was in zwei, drei Monaten ist?) ist natürlich unser Haushaltseinkommen der Maßstab, nicht das Modell, das wir bisher praktiziert haben. Und da tut sich gehöriges Konfliktpotenzial auf, das ich gerade noch verdränge.
Insgesamt habe ich das Gefühl, dass diese Krise an ganz schön vielen Gewissheiten rüttelt und mich auch auf schwelende Konflikte und Ungereimtheiten zurückwirft, vor denen ich sicher auch teilweise davongelaufen bin. Und das fühlt sich ehrlich gesagt ziemlich mulmig an.