Da ich gerade Zeit und Muße hatte mal mein insgesamt wohlwollendes
Fazit zu Qualität und Sinnhaftigkeit so eines Bausatzes, mir ist bewusst, dass ich ihn geschenkt bekommen hätte. Hätte ich ihn bezahlen müssen, würde mein Fazit schon etwas anders ausfallen, das denke ich, kann man zwischen den Zeilen gut lesen.
Generell gibt es ja inzwischen viele Bausätze von verschiedenen Anbietern. Man kennt wohl Warmoth, Rockinger, ML-Factory, Guitarfetish, Stewmac, Trashcontainer und noch viele (!) weitere. Insgesamt eigentlich ein sehr breites Angebot für sehr verschiedene Zielgruppen. Bausätze fangen so grob bei 100€ an und für mehr Geld kriegt man dann auch sehr bald deutlich höhere Qualität, schönere Hölzer, authentischere und hochwertigere Hardware, Lackierungen inklusive und vieles mehr. Für mich ist das aber der einzige Bausatz, den ich je ausprobiert habe. Habe also keinen direkten Vergleich zu den anderen Herstellern.
Zu Thomann:
Dass Thomann jetzt auch Bausätze anbietet ist eigentlich naheliegend für den mit Abstand größten/erfolgreichsten Online-Shop in der Instrumente-Branche. Nur sollte man überlegen, ob DIESE Bausätze die richtigen im Produktportfolio sind und ob Bausätze generell überhaupt zu Thomann passen. Wenn Thomann nun auch die Gitarrenbauer und –bastler als Zielgruppe entdecken würde, fände ich das richtig super. Nur muss man dann im Online-Shop auch eine Rubrik dafür einrichten. Leider kaufe ich selber bei Thomann schon lange nicht mehr viel (außer Saiten), da ich, seit ich lieber selber baue, die richtigen Kleinteile einfach nicht finde. Sie sind entweder gar nicht im Sortiment oder fast unmöglich zu finden unter „sonstiges“. An sich würde ich gerne bei Thomann kaufen aber wenn man als Gitarrenbauer/-bastler Einzelteile braucht, ist man bei den oben genannten Händlern eindeutig besser beraten. Deswegen würde ich auch (nach momentanem Stand) Bausätze eher dort kaufen, weil es eben dort auch eher die passende „Peripherie“ zu finden gibt.
Zum konkreten Bausatz:
Vorteile:
+ billig
+ es ist erstmal alles dabei, bei Tauschbedarf muss man halt nachkaufen
+ Ganz ausführliche Anleitung auf deutsch
+ Der Hals ist sensationell gut (schöne Inlays, schön glatt geschliffen, schöne Kopfplatte)
+ Elektrik zum Stecken statt löten, das ist auch RICHTIG gut, viele Anfänger haben nicht unbedingt ein Lötgerät und es kann dabei auch viel schief gehen (kalte Lötstellen). Das erspart also viel Frust. Schön wäre es, wenn es im gleichen Stecksystem noch (ein paar) mehr Tonabnehmer, Potis, Kondensatoren und Schalter zum modden gäbe und in der Anleitung genauer beschrieben wäre, wie die Steckverbindungen zusammen gehören.
Nachteile:
- Der Body ist vorbehandelt für eine Lackierung. Das ist sehr ätzend, wenn man beizen und ölen will, was für Anfänger das eindeutig leichtere Finish ist. Diejenigen, die Lackieren wollen (was mangels Ahorntop eigentlich auch fast mehr Sinn macht), können meiner Meinung nach auch Grundieren. Ist ein unnötiger Arbeitsschritt, würde ich weglassen
- Fehlende Qualitätskontrolle. Bei mir war es aber insgesamt ganz ok.
- Viele Schrauben, die sehr mühsam zum zuordnen sind (für E-Fach-Abdeckungen, PU-Rahmen, Mechaniken, Trussrod-Abdeckung,…). Die Schrauben könnten mit geringem Aufwand (siehe Lego, Ikea,…) besser beschriftet und verpackt sein.
- Die Farbe der Kunststoffteile ist eine Zumutung, finde ich. Ein ekliges grüngelb. Ein schönes Creme kostet doch auch nicht mehr, nur das Granulat der Spritzgussmaschine müsste anders eingefärbt werden. Außerdem wäre es sinnvoll, wenn die Farbe der Kunststoffteile mit der Farbe des Bindings (eher weiß) zusammenpassen würde. Ist ärgerlich, wenn man bei einem 100€ Bausatz dann Kunststoffteile für 25€ nachkaufen muss. Da Kunststoffteile in der Herstellung so unglaublich billig sind, wäre es doch sogar möglich einen Satz schwarze und einen Satz cremefarbige Teile beizulegen. Das wäre ein echter Mehrwert und kostet doch den Hersteller nur einen Cent-Betrag.
- Es wird Anfängern vlt nicht unbedingt klar sein, dass man für das Finish nochmal 50…150€ investieren muss.
In der Kategorie „möglichst billiger Bausatz“ muss man also eigentlich sagen, dass man etwas recht vernünftiges Material bekommt. Ein paar kleine Details könnten mit vertretbarem Aufwand noch verbessert werden. Ich hoffe, dieses Feedback hilft.
Grundsätzlich über Gitarrenbausätze:
Für mich persönlich kommen Bausätze grundsätzlich nicht so in Frage. Ich baue gerne eigene Formen und fühle mich durch Bausätze zu sehr eingeschränkt. Und mehr als 100€ muss man für gutes, schönes, einheimisches Tonholz auch nicht bezahlen pro E-Gitarre. Das heißt für den Preis eines Bausatzes bekomme ich das Holz. Die „Peripherie“ kommt dann zwar noch drauf aber die kann man auch entweder sehr günstig erwerben (ebay China, ML-Factory, Guitarfetish,…) oder eben gleich etwas hochwertigeres kaufen. Finanziell macht so ein Bausatz also nicht unbedingt Sinn, finde ich. Außerdem habe ich erst seit kurzem eine Werkstatt und habe die ersten 10-15 E-Gitarren „aus dem Vollen“ alle am Küchentisch bzw. auf dem Balkon gebaut. Das geht schon…
Für wen macht also ein Bausatz überhaupt Sinn?
Für den:
- Der das richtige Werkzeug nicht hat, niemandem mit dem passenden Werkzeug kennt und auch keines leihen oder kaufen möchte UND
- Der einmalig (!) eine bestimmte Wunschgitarre haben möchte und dem der Gitarrenbauer zu teuer ist
Wenn jemand das Hobby Gitarrenbau mal reinschnuppern will und da ggf. längerfristig dabei bleiben will, dem empfehle ich eher (so war es bei mir auch) fertige Gitarren auseinander zu bauen und zu modden, bis man genug Erfahrungen, Werkzeug und Vorstellungskraft hat, den ersten Selbstbau zu wagen. Billige, fertige Gitarren zum modden werden oft verschenkt, finden sich auf Flohmärkten, ebay und vlt sogar als Neuware eben beispielsweise bei Thomann. Da ist das Verhältnis Frust/Erfolgserlebnis und vor allem das Ergebnis am Ende deutlich motivierender und das Projekt ist auch lehrreicher (meiner Meinung nach), als wenn man sich mit einem mittelmäßigen Bausatz abkämpfen muss.
Ich hatte jetzt auch einige Zusatzausgaben:
- Ca. 20€ für die Box
- Ca. 50€ für Tonholz
- Ca. 100 € für Lack
- Ca. 50 € für Kleinteile (Saitenhalter, Kunststoffteile,…)
Und in diesem speziellen Fall hätte ich mit vlt 10 Stunden Mehrarbeit und 50€…70€ Materialkosten den Hals auch komplett selber bauen können. Dann bleiben vom Bausatz eigentlich fast nur noch Tonabnehmer und Elektrikteile übrig. Mich hat es jetzt aber schon mal sehr gereizt, so einen Bausatz auszuprobieren und naja es gab halt die Gelegenheit also habe ich mich einfach mal beworben. Ohne diesen Wettbewerb und den geschenkten Bausatz hätte ich dieses Gitarrenkonzept, das mir echt schon lange im Kopf rumschwebt, nämlich vlt nie gebaut.
Deswegen möchte ich mich jedenfalls noch in aller Form bedanken, sowohl bei Thomann als auch den zuständigen Mods für das Organisieren des Wettbewerbs und für das entgegen gebrachte Vertrauen in mich und die anderen Mitstreiter, etwas vorzeigbares aus dem Bausatz zu fertigen. Finde es grundsätzlich sehr toll, dass es diese Art von Wettbewerben gibt und hoffe sehr, dass Thomann mit dem Feedback und den Fotos auch etwas anfangen kann und sich die Aktion dann auch aus deren Sicht richtig lohnt. Scheinbar haben wir ja auch keine handverlesenen, extra geprüften Bausätze bekommen, sondern tatsächlich rein zufällige Kartons aus dem Regal – das macht auch den Qualitätstest realistisch und es zeigte sich ja auch eine relativ breite Bandbreite von Bausätzen mit Holzfehlern, fehlenden Teilen bis zu vollständigen, technisch ganz passablen Bausätzen (so wie meinem). Andererseits entstand bei mir jetzt auch ein bisschen der Eindruck, als wären wir die ersten, die diese Bausätze testen. Wird bei Thomann nicht vorher genau geprüft, welche Artikel ins Sortiment genommen werden?
Ich bin selber auch beeindruckt und inspiriert von den äußerst kreativen Werken der Mitstreiter und hoffe, dass das Lesen der Threads unterhaltsam war und vlt den ein oder anderen interessierten Leser auch anspornt oder auf neue Ideen gebracht hat.
Fußnote „Zum Preis“:
Wenn man selber ein paar Gitarren gebaut und vlt auch ein paar Factory-Tour-Videos der großen Hersteller angesehen hat, weiß man, dass in jeder E-Gitarre, egal wie einfach sie aufgebaut ist,
mindestens 10-20 Stunden Handarbeit stecken. Selbst eine CNC-Fräse nimmt einem halt nur das Fräsen ab - vorbereitet und eingerichtet werden muss sie und das Werkstück ja immer noch. Bundieren, abrichten, lackieren und montieren ist außerdem auch IMMER Handarbeit. Wenn dann ein Bausatz (oder auch eine fertige E-Gitarre) im Laden in Deutschland nur 100€ kostet, bekommt der Hersteller vlt 50€ (nach Abzug von Gewinnmarge Händler und Versandkosten). Davon muss man dann dessen Gewinnmarge und noch alle Materialkosten abziehen und erhält am Schluss die Restsumme, die dann geteilt durch 10-20 Stunden den Stundenlohn der Mitarbeiter ergibt. Das stimmt nachdenklich, finde ich.
Ich weiß, die Themen Ausbeutung/Niedriglohnländer/Menschenhandel sind jeweils ein „weites Feld“ und will da jetzt auch keine Diskussion lostreten aber das ist für mich persönlich ein weiterer Grund, warum ich solche Bausätze nicht kaufen würde. Ich kaufe deswegen grundsätzlich auch keine billigen Gitarren mehr neu, sondern nur noch gebraucht (das Angebot ist groß) oder baue eben selber.
Mich persönlich würde es auch sehr freuen, wenn es da bei Gelegenheit mal ein glaubhaftes, offizielles Statement von Thomann gäbe, unterwelchen Bedingungen die Gitarren und Bausätze für unter 200€ eigentlich entstehen.