Hallöchen, Wolle,
die erste Frage ist, warum überhaupt Bühnenrandmikrofone?
Der Vorteil ist sicher der schnelle, einfache und standardisierbare Aufbau.
Aber in der absoluten Mehrzahl aller Fälle wird eine reine Bühnenrand-Mikrofonierung nicht das ideale Ergebnis liefern können.
Wenn du die folgenden Punkte eh alle berücksichtigt hast, dann sehe meinen Beitrag eben als Zusammenfassung für Neulinge auf diesem Gebiet.
Zum einen ist der Abstand zu potentiellen Störquellen oft kleiner als zu den eigentlichen Nutzschallquellen.
Also wäre optimale rückwärtige Schallunterdrückung wichtig, die können aber praktisch ausschließlich nur Nieren bieten. (Oder aufwendige und teuere Mikrofonarrays.) Die haben dann aber wiederum Probleme mit der Tiefe des abzunehmenden Raums. Bei Beschallung steigt die Gefahr der Wechselwirkung mit der Beschallung, insbesondere bei klassischer Front, weil sich der Abstand zwischen Mikrofon zu Front und Schallquelle annähert.
Alle anderen Richtcharakteristiken haben Probleme mit rückwärtig einfallenden Schall, je stärker gerichtet nach vorne, desto mehr. Außerdem bieten viele stark richtende Mikrofone diese Charakteristik ja nicht über den gesamten Nutzfrequenzbereich und schon gar nicht homogen. Typische Richtrohre verfügen im Bassbereich über quasi Kugelcharakteristik, werden dann nierig und erreichen meist erst ab frühestens 1-2kHz tatsächlich Keulencharakteristik. In diesem Bereich gibt es dann aber immer auch starke rückwärtige Keulenbildung.
Im Bass und oft bis in den Grundton werden also rückwärtige Schallquellen sehr kräftig aufgenommen, direkt axial hinter dem Richtrohr liegende Quellen sehr laut und hochtonig.
Eher hypernierige kurze Richtrohre stellen einen Kompromiss dar, die alle genannten Probleme beinhaltet, aber in reduzierter Form.
Dasselbe gilt natürlich auch für Grenzflächen je nach ihrer Richtcharakteristik. Zusätzliches Problem ist hier aber die Empfindlichkeit für Trittschallübertragung. Trittschall muss verhindert werden, ohne die Fläche aufzubrechen, da sonst schwer kompensierbare Verfärbungen entstehen können.
Zugleich bilden bei allen Mikrofonen Direktschall-Einstreuungen von der Fläche oft ein Problem.
Zum anderen ist egal mit welchem Mikrofontyp die Pegelkonstanz von vorne nach hinten nicht gegeben. Vorne stehende Quellen sind immer lauter als hinten stehende. Ebenso ist die Klangkonstanz von vorne nach hinten kaum zu gewährleisten. Sehr weit vorne stehende Quellen, die schon aus der Richtcharakteristik auswandern werden dumpf, ideal stehende Quellen normal, hinten stehende Quellen hallig stumpf wiedergegeben.
Weiterhin besteht die große Gefahr der Abschattung hinten stehender Schallquellen durch vorne stehende Schallquellen. Relativ unkontrollierbar und unvorhersehbar wird das bei sich bewegenden Schallquellen. Zumindest erfordert es sehr hohe Disziplin aller Beteiligten, um jeweils alle Schallquellen unverdeckt zu lassen.
Disziplin wird bei sich bewegenden Schallquellen ebenso benötigt um im idealen Schallfeld zu bleiben. Und auch an die Disziplin des Publikums werden hohe Anforderungen gestellt.
Reduziert werden können allerdings viele dieser Probleme durch raumakustische Maßnahmen, die aber wohl in den seltensten Fällen voll verwirklichbar sind.
Möglich und hilfreich sind breitbandige Absorber/Schalltrennwände hinter den Bühnenrandmikrofonen auf Kosten der Optik.
Hilfreich wären gezielt positionierte Reflektoren über der Szenenfläche um Nutzschall insbesondere von hinteren Schallquellen in die Mikrofone zu lenken.
Verglichen mit kontrollierter Abnahme von vorne oben, oben oder Nahabnahme sind das schon
gewichtige Einschränkungen.
Entscheidet man sich für Bühnenrand-Mikrofonierung, entscheidet der jeweilige Einsatz über die geeignetste Richtcharakteristik. Die Szenenfläche muss eben möglichst homogen abgedeckt werden. In der Regel wird das mit eher engen Nieren bis eher hypernierigen kurzen Richtrohren am sinnvollsten zu lösen sein.
Klar sind da auch Großmembraner einsetzbar, aufgrund der immer eingeschränkten Homogenität der Richtwirkung im Hochton würde ich aber für universelle Zwecke zu Kleinmembranern oder eher kleinmembranigen modernen Großmembranern raten.
Kann man Trittschall gut unterdrücken, spricht nichts gegen Grenzflächenmikrofone. Sie sind optisch unauffällig und ersparen Stative.
Die von Tonstudio verlinkten Mikrofone sind in diesem Bereich sicher anerkannte und empfehlenswerte Klassiker, das ME-66 insbesondere für Redneranwendungen.
Die Rode sind natürlich auch möglich. Das NTG-1 ist eher eine Hyperniere mit stark ausgeprägter rückwärtiger Keule. Das NTG-3 ist eine Superniere mit nur sehr schwach ausgeprägter rückwärtiger Keule, aber recht ähnlicher vorderer Keule. Daher würde ich das NTG-3 für diese Anwendungszwecke vorziehen.
Ciao, Deschek
PS: Warum wird Bühnenrand-Mikrofonierung dann überhaupt so oft gemacht? Stichwort Professionalität und Disziplin aller Beteiligter, professioneller Probenarbeit und eben die detaillierten Erfahrungen der Techniker mit ihren Bühnen...