Als jemand, der zur selben Zeit wie Kreacher90 das Lehramtstudium angefangen hat, aber danach in der Universität geblieben und in die Wissenschaft gewechselt ist (ich habe demnach mit 15 Jahrgänge interagieren können, als Student, als auch als Dozent oder wissenschaftlicher Mitarbeiter), einige (anekdotisch-evidenz-basierte untermauerte) Gedanken:
Das Musikniveau stetig gesunken und "monotoner" geworden: Gab es früher Aufnahmeprüflinge mit vielen verschiedenen Musikintrumenten als Hauptfachinstrument, die ihr Instrument schon vor Studienbeginn gut beherrschten und auch ein gesundes Maß an Kenntnissen in der Musikgeschichte/-systematik mitbringen, so sind die heutigen Fähigkeiten sehr, sehr beschränkt. Die eigene Gesangsstimme ist sehr schlecht entwickelt (es wurde scheinbar wenig gesungen), die allermeisten melden sich mit Gesang und Klavier an, was sie wiederum auch gefühlt sechs Monate nottdürftig draufgeschafft haben. Bei uns im Bereich sind wir mittlerweile froh, wenn überhaupt wer mal Schlagzeug vorspielt, oder ein Blasinstrument. Ganz böse formuliert würde ich behaupten, viele Aufnahmeprüflinge finden Disneyfilme toll, können Lieder daraus irgendwie nachsingen und meinten, sie könnten dann Musik auf Lehramt studieren.
Es gibt immer weniger Bewerber: Während Aufnahmeprüfungen ursprünglich dafür da sind, zu selektieren, sind sie mittlerweile nur dafür da, zu prüfen, ob überhaupt Potenzial da ist. Einige Universitäten haben sie auch bereits abgeschafft. Es ist demnach keine Frage, ob die Prüfung zu schwer sei, oder wie sie gestellt werden muss, damit wirklich nur die genommen werden, die auch in Zukunft hervorragende Lehrer werden. Es ist schlichtweg keine Auswahl mehr da, in der Folge, dass überspitzt formuliert eigentlich jeder Musiklehrer werden könnte, wenn er denn will.
Das Studium ist nicht pädagogisch genug ausgelegt: Vieles was man im Studium lernt, kann man im Musikunterricht schlecht/schwer/gar nicht umsetzen. Viele andere Fächer (z.B. Naturwissenschaften, in meinem Fall Biologie) haben viel einfachere und dabei auch hervorragende Konzepte mit Forschendem Lernen etc.. In Musik ist man viel schlechter gestellt. Natürlich kann man auch viel kreativer werden (Musikmachen mit Fruity Loops, Garageband, wir schreiben Rap), aber man muss ehrlich sein und auch die Vorbereitungszeit beachten, die um ein vielfaches größer ist als in einigen anderen Fächern. Dass das beste Konzept auch aufgrund des Niveaus der Schülerschaft auseinanderfliegen kann, müsste auch genannt werden: Klar ist Bodypercussion und kreative Arbeit ala "Wir machen einen Tanz" oder "Wir schreiben einen Rap" noch etwas, was die meisten Schüler mitnehmen kann. Aber ist das wirklich die Lösung? "Bespaßung" auf Kosten anderer musikalischer Themen (beispielsweise die Musikgeschichte oder Instrumentenkunde oder auch Harmonielehre um einfach zu zeigen, was für eine kompositorisch hohe Kunst auch Musik sein kann). Gerade diese Aspekt ist in der Pädagogiklandschaft stark gespalten in "Wir müssen den Kindern Spaß am Musik vermitteln" und "Musik ist ein ernstzunehmendes Fach im Land der Dichter und Denker und deshalb dürfen wir nicht auf Harmonielehre und Musikgeschichte etc.pp verzichten".
Die Wertschätzung für Musikunterricht ist schwach ausgeprägt: Natürlich ist es für das Kind besser, in Deutsch oder Mathematik gut zu sein; dann ist es den Eltern auch egal, wenn mal es in Musik eine Fünf nach Hause holt. Im Idealfall sollte aber auch Musikunterricht ernstzunehmen sein. Ungemein schade.
Gründe woran das liegen könnte, ist hier im Thread zur Genüge diskutiert worden. Dass andere Aspekte auch reinspielen (z.B. Arbeitslast und Ansehen der Lehrer heutzutage, Elternhaus, Wertschätzung von Musik allgemein in der Gesellschaft, Befinden der Schüler heutzutage hinsichtlich Motivation/Aufmerksamkeitsspanne/etc., die Institution Schule und dessen Probleme), würde den Rahmen hier doch ordentlich sprengen.
Im Übrigen finde ich es sehr schade, dass Kreacher90 hier doch so "hart" angegangen wird, da seine Erfahrungen sich mit den Erfahrungen meiner Kommilitonen decken, die jetzt im Gegensatz zu mir im Schuldienst sind und mir auch zum Teil ähnlich resigniert über die momente Situation berichten. Seine Kritik am Schulsystem damit zu kontern, (hm wie formuliere ich das so kurz und knapp wie möglich) man müsse sich einfach mehr anstrengen, um "das Feuer der Schüler zu wecken" (so ist jetzt mein knappe Zusammenfassung) empfinde ich doch als unfair. Wer nicht glaubt, dass das Schulsystem momentan krankt und an vielen Stellen schlichtweg nicht funktioniert, dass massenhaft Lehrer ins Burnout gehen oder den Job schmeißen, dem empfehle ich einige Reportagen auf YouTube, oder vielleicht auch selbst mal sich persönlich ein Bild von Schulen heutzutage zu machen. Denn leider hat sich der damals ehrbare Lehrerjob in eine von der Gesellschaft nicht mehr genügend gewürdigte Arbeit gewandelt mit den momentan sichtbaren Folgen.