Der Faden dieses Threads ist schon sehr weit fortgesponnen und mittlerweile wohl auch ein wenig ´verknotet´, aber ich möchte trotzdem noch einsteigen (in den letzten Tagen fehlte mir für ausführlichere Beiträge schlicht die Zeit) und gehe dazu nochmal auf den Anfang des Threads zurück, der sicher auch wegen der etwas unpräzisen ursprünglichen Fragestellung fast schon zwangsläufig einen so ´holprigen´ Verlauf nehmen musste.
Hier noch einmal der Beginn:
Kann man jeden Song in jeder Tonart komponieren? These sei "ja!".
Meine Antwort wäre nein.
Es beginnt also mit einer ganz allgemeinen Frage, die komplett ohne Bedingung formuliert wird.
Dann folgt aber unmittelbar ein Beispiel das auf Gitarre bezogen ist, bzw. den TE als selber Gitarre spielenden:
Beispiel "Lay Lady Lay" von Bob Dylan.
A(V.) C#m(IV.) G(III.) Bm(II.).
Und dann kommt das offene E!
Als Gitarrist kann ich das nicht nach Ab transponieren.
Das Entscheidende ist ja die Abfolge der Voicings.
Man spiele zum Vergleich
A(offen) C#m G(offen) Bm
oder
s.o., G(offen), Bm
Das sind drei sehr unterschiedliche Ansätze.
Die so gemachten Einschränkungen kann ich nachvollziehen, aber dass es um die Gitarre gehen soll wird immer noch nicht explizit als Bedingung formuliert, außerdem geht es auch erst mal um den TE, der diese Transposition nicht kann, was vielleicht eine individuelle Einschränkung ist, vielleicht aber auch nicht, was aber einer Diskussion unter Gitarristen bedürfte.
Weiter geht es mit einem konkreten Beispiel wo eine Sängerin ins Spiel kommt:
Es klingt auch nicht jeder Song in jeder Tonart. Beispiel: Mein Song steht in "G". Die ganze Dramatik entsteht durch Voicings und die Übergangslicks. Die Sängerin brauchte aber die Tonart "E". Das war natürlich spielbar und auch von ihr toll gesungen, trotzdem war das wichtigste Riff nicht in "E" spielbar. In E hätte ich den Song nie komponiert.
In diesem Beispiel wird immerhin ein praktische Konflikt deutlich, wie sich z.B. ein Komponist/Arrangeur den Wünschen einer Ausführenden anpassen muss bzw. sollte.
Dann folgt wieder eine ganz allgemein gehaltene Aussage:
Man kann auch nicht jeden Song auf jedem Instrument komponieren. Im Gegenteil, ein anderes Instrument ist eine Garantie für andere Ideen.
Dieser Aussage kann und will ich wiederum nicht voll umfänglich folgen. Zwar kann ich auch hier nachvollziehen, dass z.B. ein Komponist eine bestimmte musikalische Idee einem bestimmten Instrument und seinem spezifischen Klang zuordnet, ja, dass es der spezifische Klang selber ist, der bestimmte Ideen provozieren kann.
Dennoch zeigen viele, geradezu unermesslich viele Bearbeitungen, dass sehr viele Themen und musikalische Ideen völlig unabhängig von der ursprünglichen Instrumentation auch gut klingen und funktionieren.
Das muss ich gar nicht zuerst an Bachs "Kunst der Fuge" denken, die er nur als Stimmenpartitur ohne jede Instrumentation entworfen hat. Die kenne ich in Fassungen für die Orgel, für Streichquartett, für Kammerensemble, für Saxophon-Quartett (mein Favorit) u.a.m. Funktioniert immer.
Das kenne ich auch bei den Standards aus den RealBooks nicht anders. Ob die nun konkret mit Text gesungen als auch ohne Text rein instrumental gespielt werden: klingt alles toll wenn es nur toll musiziert wird. Auf Arrangements trifft diese Aussage also meiner Erfahrung nach gar nicht zu.
Nochmal zur Ursprungsfrage:
So allgemein und ohne Bedingungen formuliert muss die Antwort schlicht ein uneingeschränktes "Ja" heißen (dieses "Ja" wurde denn auch oft und immer wieder so formuliert).
Dass es aber Bedingungen geben sollte und wie diese gemeint sind, kam dann im Verlauf des Threads nur tröpfchenweise und dann auch oft nur schwammig formuliert zum Vorschein. Kommunikativ muss dem TE hier durchaus ein Vorwurf gemacht werden. Mit einer deutlicheren und konkreteren Fragestellung wären viele Missverständnisse vermeidbar gewesen.
Denn in der Praxis des Komponierens und des Arrangierens gibt es natürlich haufenweise Bedingungen.
Am wenigsten noch, wenn für gute Vollprofis komponiert oder arrangiert werden soll. Da reicht es aus, die Tonumfänge der eingesetzten Instrumente zu kennen und zu berücksichtigen (wobei die je nach Instrument mancher gute Profi über den Standard-Rahmen hinaus zu Erweitern in der Lage ist). Wenn der Klang offener Saiten bei Streichern und Gitarren eine wesentliche Einschränkung spielen soll, dann kommt das als eine wesentliche Bedingung bei der Auswahl der Tonarten hinzu.
Ansonsten kann ein Komponist/Arrangeur bei richtig guten Profis aus dem Vollen schöpfen und fast schon notieren was und wie er will. Es gibt eine Kategorie von Musikern, die (mindestens scheinbar) über den Beschränkungen ihres Instruments/ihrer Stimme schweben, den "normale" Könner als (scheinbar) unüberwindbar hinzunehmen unvermeidlich erleben.
Aber selbst bei Letzteren, die ich z.B. bei normalen Profi-Orchestern, Kammerensembles, Big-Bands, Profi-Chören usw. verorten würde, muss sich ein Komponist/Arrangeur mindestens über Tonarten keine tieferen Gedanken machen. Dabei sind genaue Kenntnisse der Instrumentation natürlich die Voraussetzung, was aber bei jedem halbwegs professionellem Komponisten/Arrangeur zur handwerklichen Grundausstattung gehört bzw. gehören sollte.
Als Beispiel bringe ich mal die (Konzert-)Pedalharfe bei der die Saiten mittels der Fußpedale um +/- 1/2-Ton umgestimmt werden können. Stark, vor allem schnell aufeinander folgende modulierende Akkordfolgen und Skalen sind so natürlich nicht angemessen schnell umsetzbar. Richard Wagner, der bekanntlich gerne heftig modulierte, setzt deshalb ganz geschickt stets zwei Harfen im Orchester ein, die sich in solchen Passagen einfach abwechseln: Während einer spielt, kann der andere in Ruhe die Pedale umstellen um dann bei der nächsten Passage den anderen abzuwechseln usw.
Eine sehr starke Bedingung ist natürlich immer, wenn etwas für nicht-Profis komponiert oder arrangiert werden soll, oder gar für ein Lehrwerk für Anfänger. Hier wird man sich bei der Auswahl der Tonarten selbstverständlich etwas beschränken, denn zu viele (General-)Vorzeichen wirken auf diesen Personenkreis normalerweise etwas abschreckend. Anfänger können schon rein gar nichts mit vielen Vorzeichen etwas anfangen.
Im Fazit möchte ich nochmal betonen, dass die Eingangsfrage ohne das Nennen konkreter Bedingungen kaum sinnvoll zu beantworten ist.
Das Erleben
persönlicher Einschränkungen oder das Nach-vorne-stellen
persönlicher Vorlieben führt, wenn diese als Prämisse gelten sollen, bei dieser Fragestellung letztlich gar nicht weiter.
In diesem Fall ist der Betreffende schlicht frei, die Tonarte(en) auszuwählen, die ihm persönlich liegen, sei es spieltechnischer oder klanglicher Art.
In diesem Fall ist es aber weder möglich noch ansatzweise sinnvoll, irgendeine Gesetzmäßigkeit zu dieser Frage zu formulieren.