Es gibt ja immer noch genug Gema-freie Musik. [...] die ist ja nicht per se schlechter).
Dieser Meinung war ich auch lange Zeit, habe aber die Erfahrung gemacht, dass das Publikum es anders sieht.
Ich bin auf dem Hobby-/semiprofessionellen Niveau als DJ für gemischtes Publikum aktiv und habe es über viele Jahre hinweg versucht, die Leute auch mal mit altenativeren Platten zu beglücken. Es hat leider nie funktioniert. Den Leuten gefiel es einfach nicht; sie fragten immer wieder nur nach den bekannten großen Namen.
Die Corona-Zeit habe ich schließlich dazu genutzt, meine komplette Plattensammlung zu "entrümpeln" und alles, was nicht Mainstream im weitesten Sinne ist, rausgeschmissen. Die Songs müssen nicht zwangsläufig in den Charts gewesen sein, aber irgendeinen "Aufhänger" braucht es eben doch: z. B. Proyecto Uno "El Tiburon" ist der Aida-Clubtanz auf deren Kreuzfahrtschiffen, Joey Diggs "Always Coca-Cola" aus dem gleichnamigen Werbespot, oder Lindsay Buckingham "Holiday Road" als Titelsong des Filmklassikers "Die schrillen Vier auf Achse". Aber auch derartige Anlässe sorgen letztlich dafür, dass die Interpreten/Komponisten unter die "oberen Zehntausend" fallen.
Die GEMA unterscheidet zwischen angeschlossenen, außerordentlichen und ordentlichen Mitgliedern. Nur letztere haben wirklich was zu sagen in der GEMA – und wie wird man ordentliches GEMA-Mitglied? Indem man genug GEMA-Ausschüttung bekommt.
Im Kern ist das ja auch gar nicht so ganz verkehrt. Im Wesentlichen wollen die Leute halt die großen Hits hören - ob es nun "Cheri Cheri Lady", "Born To Be Wild" oder eben auch der Aida-Clubtanz ist. Letztlich ist die Musik von lediglich "angeschlossenen" Mitgliedern halt diejenige, die am Markt nicht sehr erfolgreich war. Das ist natürlich für die Musiker dahinter erst einmal bitter, aber letztlich die einzig praktikable Vorgehensweise, da in vielen Fällen der Aufwand viel zu groß wäre, bei der GEMA Titellisten einzureichen, was gespielt wurde. Gerade auf Bierständen, in Kneipen, im Fitnesstudio oder im Kaufhaus ist nicht selten ein Computer am Laufen, der einen Haufen MP3's über Winamp im Zufallsgenerator abspielt. Und da ist es logisch, dass bei unzähligen solchen Einrichtungen quer durch die Republik Dieter Bohlen oder Miley Cyrus häufiger irgendwo dudelt als etwa Knorkator. Und daher bekommen die einfach am Ende mehr vom Kuchen ab.
Naja, wenn man nachweisen kann, dass man keine GEMA-lizensierte Musik dargeboten hat, kostet es auch keine GEMA-Gebühr. Es gilt die „
GEMA-Vermutung.“ – es wird davon ausgegangen, dass per se immer GEMA-lizensierte Musik dargeboten wird. (Überall sonst gilt in unserem Rechtsstaat übrigens die „Unschuldsvermutung”, aber wir dürfen hier ja nicht über Politik sprechen.)
Man weise nun also nach, dass auf keiner der öffentlichen Bühnen zu keiner Zeit ein Stück oder Ausschnitt eines Stücks GEMA-lizensierter Musik live oder aus der Dose dargeboten wurde.
Von der grundsätzlichen Logik her müsste die Unschuldsvermutung im Veranstaltungswesen eigentlich auch gelten. Aber wie in den ersten Zeilen meines Postings erwähnt habe, möchte das Publikum im Wesentlichen nur Mainstream hören - also Musik, die von den
großen Bands und Plattenfirmen kommt. Und die wird von vornherein immer bei der GEMA registriert.
Ich konstruiere jetzt mal eine rein fiktionale Geschichte, die - wenn sie sich so abspielen würde - die GEMA-Vermutung beenden würde:
Ein Newcomer-Künstler bietet auf einer Plattform für gemeinfreie Musik, z. B. Jamendo, einen Song an. Dieser gefällt den Leuten genauso gut wie die Hits von Dieter Bohlen oder Miley Cyrus. Er wird massenhaft via Facebook, Tiktok usw. geteilt. Der Titel läuft auf einmal in diversen Kneipen, in der Disco, auf dem Stadtfest am Getränkestand, im Fitness-Center, in Kitzbühel an der Après-Ski-Bar. Ein Lokalsender nach dem anderen nimmt den Song in die Rotation auf. Universal, EMI und Bertelsmann fragen beim Künstler an und bieten ihm einen Plattenvertrag über mehrere Millionen an. Der Künstler aber winkt ab, er möchte seine Musik lieber weiterhin gemeinfrei bei Jamendo anbieten. Die größeren Radiosender (WDR, BR, SWR, NDR...) nehmen den Song in die Rotation auf. Der ZDF-Fernsehgarten lädt den mittlerweile zum mittleren Star avancierten Musiker ein. Schließlich füllt er die Westfalenhalle, die Lanxess-Arena oder das Münchener Olympiastadion. Auch im Ausland wird man auf ihn aufmerksam. Er bleibt aber weiterhin Jamendo treu.
Das Publikum merkt, dass freie Musik tatsächlich nicht zwangsläufig schlechter ist als das GEMA-Repertoire. Also werden die Veröffentlichungen von Universal, EMI und BMG weitestgehend ignoriert, und der nächste Jamendo-Künstler wird nach oben gespült. Diese Geschichte wiederholt sich im Laufe der nächsten Jahre immer wieder. Irgendwann nach einiger Zeit ist festzustellen, dass im Radio, in der Kneipe, in der Disco, im Fernsehen oder auf Stadtfesten bestimmt 50% GEMA-freies Material läuft. Und wieder vergeht einige Zeit, weitere GEMA-freie Künstler etablieren sich im Mainsteam. Beim Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe reichen zuerst 2, dann 20 und dann 50 Veranstalter eine Klage ein. Sie alle haben - teils vor mehreren zehntausend Gästen - keinen einzigen GEMA-registrierten Song mehr gespielt und weigern sich deshalb zu Recht, die GEMA-Gebühren zu bezahlen. Spätestens an diesem Punkt werden auch die Damen und Herren in Rot erkennen, dass die GEMA-Vermutung nicht mehr zeitgemäß ist und sie kippen.
Dies ist aber ein Szenario, was vollkommen an den Haaren herbeigezogen ist. Es wird (zu Recht!) pauschal davon ausgegangen, dass auf einem öffentlichen Event Musik aus dem GEMA-Repertoire gespielt wird - egal ob das jetzt Abba, die Wildecker Herzbuben oder Miles Davis ist (jede Musikrichtung hat ihre Zielgruppe!). Der Anteil von GEMA-freier Musik auf öffentlichen Veranstaltungen ist derzeit quasi null. Sobald sich das ändern sollte, wäre auch die GEMA-Vermutung rechtlich nicht mehr haltbar.