Und zum Glück ist aufgrund der verwendeten Legierungen und dem Herstellungsprozess eine Gitarre Saite keine so „Ganz oder gar nicht“-Geschichte, ansonsten müsste man bei Bendings sehr vorsichtig sein.
Klarerweise hab ich vorhin recht Allgemeines aufs Wesentliche reduziert.
Das Hooksche Diagramm (mit dessen Zitat hat's ja begonnen) ist ja auch das Ergebnis eines
Zugversuchs. Unter Laborbedingungen, nur eine Kraft auf einem definierten Querschnitt. Bei Zug/Druck Belastungen verteilt sich die Spannung gleichmäßig über den Querschnitt, bei Biegung hingegen gibt's in der Mitte eine neutrale Phase, die gänzlich unbelastet ist und dafür Spannungsspitzen an den Außenphasen.
Da läufts dann natürlich nicht mehr mit "ganz oder gar nicht" weil eine Saite wie so ziemlich alles andere was halten soll natürlich prinzipiell überdimensioniert ist. Wenn die äußersten paar Prozent des Querschnitts eine Spannung über der Fließgrenze haben wird man recht bald einen leichten, bleibenden Knick in der (noch unaufgespannten) Saite sehen, weil eben dort schon Material geflossen ist. Hatte jeder sicher schon mal (also eine Saite, die irgendwo leicht angeknickt war) - und hält normalerweise trotzdem, schließlich ist der Großteil des Materials nicht geschwächt. Allerdings wird es wohl auch niemanden wundern, wenn die Saite so sie tatsächlich ihr Ende erlebt und keinem Routinewechsel zum Opfer fällt dann genau dort reißt.
Bei meinen Ausführungen hatte ich mal vordringlich nur die statische Zugbelastung im Kopf und da bleibe ich bei der Aussage "ziemliches ganz oder gar nicht". Spannung ist gleichmäßig übern Querschnitt verteilt, Material kommt überall etwa gleichzeitig zum fließen. Spannst du solange, bis das anfängt ist die Saite durch bzw. reißt beim ersten Bending.
Elastisch (kehrt wieder in die Ausgangszustand zurück) vs. Recken (bleibt gedehnt).
Ich kenne das als Elastizität vs Plastizität, was aber streng genommen keine Gegenteile sind. Plastische Verformung gibt es quasi nicht ohne das auch elastische Verformung dabei ist. Und auch bei elastischer Verformung, irgendwo tut sich immer ein bisschen was (genau das ist ja der Grund, warum dynamische Belastung auf Dauer jedes Metall durchleiert, auch wenn es von der Belastung her weit unter dem liegt, was das Material ansich aushält).
Aber, bevor ich diesen Werkstoffexkurs fortführe, mir ging's primär darum, folgendes herauszuarbeiten:
Es macht einfach keinen Sinn, sich Gedanken drüber zu machen, ob dehnen oder vordehnen oder was auch immer etwas bringt. Selbst wenn man unterstellt, dass irgendetwas passiert, alles was man so im Material vielleicht bewirken könnte macht die Saite auf jeden Fall nämlich ziemlich sicher schlechter als besser.
Ich bin kein Metallurg, aber ich habe mich schon eine Zeitlang mit allen möglichen Verfahren, die Eigenschaften von Stahl zu beeinflussen beschäftigen müssen. Das fängt bei dem Kohlenstoffgehalt an, wie es abkühlt, wird wieder aufgewärmt, abgeschreckt, kaltgewalzt, spannungsarm geglüht und und und; von daher wage ich zumindest recht sicher zu vermuten: Wenn man mit mechanischer Vorbelastung irgendetwas positives an Stahl bewirken könnte bin ich mir ziemlich sicher, dass ich schonmal davon gehört hätte. Nicht im Kontext von Instrumentensaiten, sondern im Kontext Maschinenbau.
LG