Sich mit Musiktheorie (im Sinne von harmonischen Zusammenhängen wie Kadenzen, Leittönen oder Tonleitern, Kompositionsschemata, Modalitäten usw.) auseinanderzusetzen ist ein zweischneidiges Schwert.
Einerseits hilft es immer, zu wissen, wo welcher Ton auf dem Griffbrett ist, was für Intervalle es gibt, wie diese klingen, wie man diese auf dem Griffbrett verteilt greifen kann usw. Das hilft vor allem dabei, untereinander referenzieren zu können. Wenn ich einem Mitmusiker sage: "Wie wäre es, wenn ich das a spiele und du die Quinte dazu?" kann es ziemlich nerven, wenn der andere dann wie ein Reh aufs herannahende Auto starrt und man erst sagen muss: "Spiel sieben Bünde höher."
Das lässt sich aber relativ leicht abschalten, indem man den Kram einfach lernt. Mal' dir ein Griffbrett auf einen Zettel und schreibe jeden Ton in jedem Bund auf. Lege dann deinen Finger auf einen Bund und prüfe dich selbst ab, was für ein Ton da ist. Intervalle lassen sich daneben relativ leicht erlernen, indem man sich deren geometrische Formen aneignet: Eine Quinte ist (klar, von der B-Saiten-Problematik abgesehen) zwei Bünde hoch und eine Saite drüber, eine große Terz ist ein Bund zurück und eine Saite drüber (oder vier Bünde höher auf der selben Saite) usw. Damit unterstützt man sich selbst dabei, sich die Töne des Griffbretts ganz grundsätzlich zu erschließen. Ich muss nicht zwingend wissen, welcher Ton die große Sexte von C ist, wenn ich weiß, dass sie einen Bund zurück und zwei Saiten höher ist (wo ich weiß, dass ein A liegt), und wie sie klingt
Daneben schadet es auch definitiv nicht, seine Fingersätze zu lernen. Da gibt es verschiedene Ansätze (3-note-scales, CAGED etc.), aber wenn man sich für einen entschieden hat, sollte man einfach dabei bleiben und diese Sätze so üben, dass man sie auch im Schlaf beherrscht.
Was ich dabei gerne gemacht habe, war einen 12-seitigen Würfel zu nehmen und diesen zweimal zu würfeln. Der erste Wurf gibt die Tonart an (auf der Gitarre wäre dann eine 3 = G-Dur), der zweite, in welcher Lage man den Fingersatz dazu spielt (also eine 4-8 wäre dann As-Dur in der achten Lage). Das macht man ein paar Tage oder Wochen und sollte dann weniger Schwierigkeiten damit haben, in jeder Lage einigermaßen zu wissen, welcher Fingersatz zu welcher Tonleiter dort greifbar ist. Das kann man dann variieren mit natürlicher, harmonischer, melodischer Moll-Skala und so weiter. Man kann auch mit einem 8-seitigen Würfel noch ins modale gehen (erster Wurf Grundton, zweiter Wurf die Lage und dritter Wurf der Mode, also 1 von 12 = F, 5 von 12 = in der fünften Lage, 4 von 8 = lydisch -> F-lydisch in der fünften Lage). Damit kann man seine Fingersatzübungen um einiges auffrischen. Man kann bei alldem aber auch gerne erstmal mit der Moll-Pentatonik anfangen und sich langsam hocharbeiten.
Dazu kann man sich dann noch verschiedene Akkord-Shapes anschauen, deren Grundtöne verschieben, Septimen hinzufügen, Sechsten und Nonen hinzufügen, und so weiter. Wenn man dann weiß: "Hier im Takt wird ein m7add9 gespielt", dann spricht nichts dagegen, wenn man durch lernen und üben weiß, wie man diesen m7add9 in Lage X greifen kann.
Das alles kann aber nur dazu führen, dass man sich auf dem Griffbrett wohler oder eher heimischer fühlt. Ich brauche nicht mehr darüber nachzudenken, wenn ich zu einer Begleitung etwas spielen möchte, weil ich durch all diese Übungen relativ genau weiß, wo ich wie was umsetzen kann.
Andererseits kann die Auseinandersetzung mit Musiktheorie aber auch Schranken erzeugen, über die man sich bewusst sein sollte, wenn man ans Komponieren oder Improvisieren geht. Wenn es nämlich dazu führt, dass man sich nicht mehr traut, aus dem harmonisch vertrauten (oder vielmehr, weil theoretisch fundiert, logischem) auszubrechen, dann hindern Grundlagen in der Theorie eher, als dass sie nützen, insbesondere, wenn es nur Grundlagen sind.
Da kommen dann wieder die Ohren ins Spiel.
Ganz davon abgesehen: was mir sehr geholfen hat, mich mit meinen Improvisationen wohler zu fühlen, war nicht nur, dass ich da viel Zeit hinein investiert habe, sondern auch dass ich Dinge ausprobiert habe (dazu zu singen, ein Repertoir an 'harmonischen Ausbrüchen' aufzubauen usw.) und mir andere Instrumente angeschaut habe. Ein paar Monate Übung mit der Ukulele haben mir enorm weitergeholfen, auf meinem eigentlichen Instrument weiterzukommen.