Bei mir ging's los, als ich mit zwölf beim Kindergottesdienst herumgekaspert habe. Ich sollte der Leiterin die Gitarre reichen. Dann spielte sich folgender folgenschwerer Dialog zu:
“Ich kann Gitarre spielen, hihi“
“Wirklich?
“Neee, hihihi“
“Willst du es lernen?“
“Warum eigentlich nicht?“
“Dann bleib mal nacher noch kurz etwas länger“
Ein halbes Jahr lang habe ich dann von einem Gruppenleiter Akkorde Schrummeln gelernt und lange Songs nach Akkorden vom Blatt begleitet. Dann gab es eine Gitarren-AG an meiner Schule. Zum Schrummeln kamen dann noch Pickings und die Pentatonik.
Für mich waren in dem Alter Songs völlig okay, mit 16/17/18 suchte ich dann immer mehr die Herausforderung darin, Akkorde und vor allem Riffs und Soli herauszuhören. Übung macht den Meister, musste ich lernen, und es war schon manchmal spannend, wenn ich mir nach längerer Zeit ein Stück nochmal vorgenommen habe. Das Vermögen, feine oder auch nur grobe Details herauszuhören und zu antizipieren braucht einfach Zeit und Training.
Als ich mit ab um die 18 eigene Bands mit eigenen Songs hatte, habe ich im Wesentlichen nur noch Fragmente fremder Songs gelernt, um mir eine Spieltechnik, Sounds, Riffs oder ein bestimmtes Feeling draufzuschaffen.
Es gibt kaum Songs, die ich heute spontan komplett originalgetreu nachspielen könnte (bis auf meine eigenen, die teilweise auch nicht ganz ohne sind), eine solide Begleitung geht natürlich schon. Ich bin alles andere als ein “kompletter“ Gitarrist. Aber mit meinem Mix aus Faulheit und Fähigkeit komme ich ganz gut klar und kann auch kreativ sein, wenn ich genügend Zeit habe.
Ich bin mir ziemlich sicher, dass jemand der sich ein solides theoretisches Fundament erarbeitet und eine Vielzahl von Songs und Licks aus dem Effeff kann, kreative Ergüsse seines Gehirns viel effizienter und treffsicherer aus dem Ärmel schüttelt. Bei mir sind es hingegen oft die Fehler und Zufallstreffer auf dem Griffbrett, aus denen sich Neues ergibt.
Jetzt zu dir,
@Ponti: Was soll der Gitarrenlehrer dir denn beibringen? Irgendein Medium braucht ihr ja. Klar, statt Songs wären auch kürzere Abschnitte möglich. Im Prinzip ist es aber schon sinnvoll, auch Songs zu üben. Gut, er könnte dich auch darin unterstützen, deinen eigenen Songs gut zu spielen und Spieltechnik, Timing und Feel daran zu perfektionieren. Blöd ist vor allem, wenn man größtenteils Songs nachspielt, deren Gitarrenparts einem überhaupt nichts bringen. Ich war allerdings schon in Situationen, wo ich für Freunde zu Schlagermusik Gitarre einspielen sollte. Die Gitarrenparts als Solospur wären garnicht klar diesem Genre zuzuordnen gewesen. Teilweise verstecken sich recht amtliche Hardrock- bis Metalgitarren ziemlich weit hinten im Mix von Schlagermusik. Nicht, dass ich darauf stehen würde - ich will nur versuchen eine Lanze für die Okayheit verschiedener Musikstile zu brechen. Die Situationen, in denen ich am meisten gelernt habe, waren tatsächlich solche, bei denen ich in für mich fremden Stilen klarkommen und so gut wie möglich spielen musste, und das war oft bei Freundschaftsstudiojobs im semiprofessionellen Bereich und in der Backingband für ein paar Rapper, wo ich Parts anderer Instrumente des Playbacks auf die Gitarre übersetzen oder Gitarrenparts nachspielen musste, auf die ich so niemals gekommen wäre.
Ich würde sogar sagen, eigentlich ist es relativ egal, was du spielst. Auch wenn es nur ein Akkord ist, kannst du versuchen, den möglichst gut zu spielen, da gibt es durchaus mehrere Dimensionen die eine Rolle dabei spielen. Wenn du deine ganze Aufmerksamkeit auf verschiedene Facetten der Musik richtest, kommt es weniger zu gähnender Langeweile als wenn du einfach nur als technischen Ablauf die Noten des Songs in der richtigen Reihenfolge herunterspielst.
Grundsätzlich kann ich deine Bedenken schon nachvollziehen. Ich würde mir für mich auch einen Gitarrenlehrer wünschen, der auf meine Wünsche eingeht. Songs durchspielen zu können und die Wechsel zwischen verschiedenen Parts hinzubekommen ist auf jeden Fall erstrebenswert. Nur - können das nicht auch Songs deiner Wahl sein? Hat der Lehrer das ausgeschlossen? Wäre er bereit, live mit dir zusammen einen Song deiner Wahl herauszuhören und dich dabei zu unterstützen, falls das überhaupt in deinem Interesse ist?
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Edit:
Ach ja, zum Thema "Auswendiglernen": Du musst auch eigene Stücke auswendig lernen. Meine Erfahrung zum Thema: Je mehr Spielpraxis ich hatte und je mehr ich mir draufgeschafft habe, desto schneller klappte das Auswendiglernen. Mit anderen Worten: Lernen kann man Lernen. Ist zwar etwas mühsam, vor allem am Anfang, aber wirkt. Wenn dir irgendetwas anderes beigebracht wird, lernst du es doch auch auswendig. Da müsstest du mir nochmal genauer erklären, was daran blöd ist.