DirkS
Moderator E-Gitarren HCA frühe PRS und Superstrats
- Zuletzt hier
- 24.11.24
- Registriert
- 18.08.13
- Beiträge
- 7.304
- Kekse
- 189.648
Immer wieder höre ich in Gesprächen mit Musikern Sätze, die sich einfach zusammenfassen lassen in den Satz: „Früher war alles besser!“
Leute, ich kann das einfach nicht mehr hören. Sind das alles nur Alterssentimentalitäten oder haben die Leute einfach vergessen, wie es früher WIRKLICH war?
Ich bin Jahrgang 67, meine bis heute ungebrochene Gitarrenbegeisterung begann Ende der 70er, seit den 80ern habe ich alles voll miterlebt.
Und seltsamerweise sind meine Erinnerungen völlig anders:
Es begann mit dem Gitarrenkauf. Es gab in jeder Stadt (meine hatte etwa 250.000 Einwohner) mindestens ein meist ziemlich kleines Musikgeschäft, in dem oft alles von der Blockflöte bis hin zum Klavier angeboten wurde. Notgedrungen hatte man auch einige E-Gitarren im Angebot, über die die Musikalienhändler aber eher die Nase rümpften, das war meist eher so ein notwendiges Übel. Echte Beratung konnten oder wollten die Wenigsten bieten. Wer in einer Kleinstadt oder auf dem Dorf wohnte, hatte nicht einmal ein solches Geschäft in der Nähe.
Also selbst informieren? Gern, aber WIE DENN?? Internet gab es nicht, also auch nahezu keine Infos. Es gab 1-2 Fachzeitschriften (vor allem das berühmte Fachblatt), aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass die gerade die Gitarren, die Dich interessierten oder die Du Dir leisten konntest, testeten?
Also selbst in die Geschäfte.
Was zumeist mit einer Reise in die nächste Großstadt begann. Für 250 bis 500 DM gab es damals heute zu recht vergessene Marken wie Luxor, Johnny Pro, usw. inflationsbereinigt wären 300 DM von 1980 heute knapp 300 €.
Aber die Gitarren, die es damals für diesen Betrag gab, waren absoluter Schrott gegen das, was man heute für diesen Betrag bekommt! Verarbeitung meist mies, Klang oft mies, Holz- und Pickupqualität fast immer mies, verbogene Hälse, kalte Lötstellen, Rauschen, Rückkopplung, alles dabei. Nicht ansatzweise zu vergleichen mit der Qualität, die man heute zu diesem Preis bekommt.
Es gab natürlich auch schon bessere Gitarren, etwa von Ibanez, Westone oder Aria, aber die begannen preislich erst bei dem Doppelten, ab 500 DM. Musste man als Jugendlicher erst einmal aufbringen.
Also eine Gebrauchte! Aber woher nehmen? Internet gab`s ja noch nicht. Also regelmäßig an`s schwarze Brett in den Musikgeschäften, in Kleinanzeigen der Zeitung schauen, das war`s schon.
Hatte man mit viel Glück eine Gitarre, dann suchte man einen Verstärker.
Wollte man auch einmal auftreten, dann brauchte man mindestens 50 Röhren- oder 80 Transistor-Watt. Denn die kleineren Säale hatten fast nie bereits eine qualitativ hochwertige PA im Raum verbaut, die auch leisere Signale gut verstärkt. Jede Band, die auftreten wollte, brauchte dazu eine eigene PA mit hohen Leistungsreserven und das war teuer.
Überhaupt Verstärker: Röhrenverstärker waren unerschwinglich, die Auswahl sehr begrenzt.
Blieben Transistorcombos, denn so etwas wie Modellingamps, Hybriden usw. gab es noch nicht.
Und die Transistorcombos klangen verzerrt wirklich nicht schön, man war noch unendlich weit vom Röhrensound entfernt, selbst wenn man viel Geld zusammenkratzte und etwa einen Marshall Transistorcombo kaufte. Oft musste also noch ein Verzerrer wie der Tube Screamer dazu kommen. Man musste sich auch für wenige Musikstile entscheiden, denn einen Verstärker, der alles gut konnte, wie heutige Modellingamps, gab es noch nicht.
Auch Effekte waren noch nicht in die Verstärker integriert, also musste man sich jeden Effekt durch Tretminen zusätzlich kaufen, also etwa Chorus, Phaser, Delay, usw.
Jetzt hatte man bereits zusammen 700-1000 DM ausgegeben und war klanglich noch Lichtjahre von dem entfernt, was man heute für 4-500 € bekommt.
Genauso schwierig wie der Kauf gestaltete sich der Verkauf, weil man (–kein Internet-) mit schwarzem Brett und Zeitungsanzeigen nur einen sehr kleinen Interessentenkreis erreichte.
Hatte man eine Band, dann war man ziemlich aufeinander angewiesen, denn z.B. mal eben etwa einen Bassisten zu ersetzen war ebenfalls ohne Internet schwierig.
Der Satz „Früher war das Verhältnis unter Musikern besser“ könnte sogar stimmen, aber das lag nicht an den Menschen, sondern war schlicht eine Notwendigkeit, um an Informationen zu gelangen etwa über Auftrittsmöglichkeiten, Verkäufe von Instrumenten, Musiker auf Bandsuche usw.
Hatte man endlich mal einen Auftritt, dann begann der Kabelsalat. Da Funkübertragungen noch nicht erfunden waren, hatten jedes Mikrofon und jedes Instrument Kabel. Allein unser Drummer nutzte 5 Mikros. Die Kabel engten die Gitarristen ein und hatten eigentlich immer die falsche Länge. Entschied man sich für ein kurzes, dann war der eigene Radius beschränkt, nahm man ein längeres, dann verlor das Signal hörbar Höhen. Wenn dann noch (wie bei uns) 2 Gitarristen und ein Bassist die ganze Bühne nutzten, dann verhedderten sich irgendwann zwangsläufig die Kabel.
Ein lustiges Kapitel waren die Klamotten. Wer damals ambitioniert war und wie wir den Rock der 80er spielte, imitierte natürlich das Outfit der Stars. Das heißt Streifenleggins in Neonfarben, weiße Adidas Allround, Jacken mit Schulterpolstern, im schlimmsten Fall Vokuhila-Frisuren oder Fönfrisur. Hier wandelt sich ein Nach- zum Vorteil: Während heute alles ganz einfach per Handy gefilmt werden kann, benötigte man damals echte Filmkameras. Sperrig und unheimlich teuer, 3 Minuten Super-8-Film kosteten mit Entwicklung 29 DM. Es wurden also (zum Glück) keine Filme von damaligen Auftritten gemacht, über die sich heute unsere Kinder schlapp lachen würden….
Handys sind ein gutes Stichwort. Gab es nicht, also war man nur zuhause erreichbar. Im Festnetz. Was natürlich nur klappte, wenn gerade Anrufer und Angerufener gleichzeitig zuhause waren. Telefonzellen waren selten und standen mit Sicherheit nicht direkt am Proberaum, Auftrittsraum usw. Eine Panne war also nicht durch einen schnellen Handyanruf bei der Freundin („Kannst Du mir ganz schnell neue Drumsticks bringen?“) behoben.
Um Erfolg zu haben, gab es nur die Mund-zu-Mund-Propaganda und für die echten Stars Radio- und Fernsehsendungen (MTV!). Niemand konnte, etwa durch Youtube-Kanäle, selbst auf sich aufmerksam machen, sich dadurch ein Publikum aufbauen und damit sogar Geld verdienen!
Ich könnte noch seitenlang weiter machen. Natürlich gab es auch einige wenige Vorteile, die ich nicht verschweigen will:
-Es gab noch keine DJs, dadurch bekam man als Band viele Auftritte bei Veranstaltungen.
-Da abends wenig los war (5-6 spießige Fernsehkanäle) gingen die Jugendlichen abends weg, was viel Publikum bei Auftritten brachte
Aber unter dem Strich ist die Aussage, früher sei alles besser gewesen, aus meiner Sicht kompletter Unsinn! Wer heute als Jugendlicher Musik machen möchte, hat es tausendmal besser als wir aus der nicht mehr ganz jungen Generation!
Leute, ich kann das einfach nicht mehr hören. Sind das alles nur Alterssentimentalitäten oder haben die Leute einfach vergessen, wie es früher WIRKLICH war?
Ich bin Jahrgang 67, meine bis heute ungebrochene Gitarrenbegeisterung begann Ende der 70er, seit den 80ern habe ich alles voll miterlebt.
Und seltsamerweise sind meine Erinnerungen völlig anders:
Es begann mit dem Gitarrenkauf. Es gab in jeder Stadt (meine hatte etwa 250.000 Einwohner) mindestens ein meist ziemlich kleines Musikgeschäft, in dem oft alles von der Blockflöte bis hin zum Klavier angeboten wurde. Notgedrungen hatte man auch einige E-Gitarren im Angebot, über die die Musikalienhändler aber eher die Nase rümpften, das war meist eher so ein notwendiges Übel. Echte Beratung konnten oder wollten die Wenigsten bieten. Wer in einer Kleinstadt oder auf dem Dorf wohnte, hatte nicht einmal ein solches Geschäft in der Nähe.
Also selbst informieren? Gern, aber WIE DENN?? Internet gab es nicht, also auch nahezu keine Infos. Es gab 1-2 Fachzeitschriften (vor allem das berühmte Fachblatt), aber wie groß war die Wahrscheinlichkeit, dass die gerade die Gitarren, die Dich interessierten oder die Du Dir leisten konntest, testeten?
Also selbst in die Geschäfte.
Was zumeist mit einer Reise in die nächste Großstadt begann. Für 250 bis 500 DM gab es damals heute zu recht vergessene Marken wie Luxor, Johnny Pro, usw. inflationsbereinigt wären 300 DM von 1980 heute knapp 300 €.
Aber die Gitarren, die es damals für diesen Betrag gab, waren absoluter Schrott gegen das, was man heute für diesen Betrag bekommt! Verarbeitung meist mies, Klang oft mies, Holz- und Pickupqualität fast immer mies, verbogene Hälse, kalte Lötstellen, Rauschen, Rückkopplung, alles dabei. Nicht ansatzweise zu vergleichen mit der Qualität, die man heute zu diesem Preis bekommt.
Es gab natürlich auch schon bessere Gitarren, etwa von Ibanez, Westone oder Aria, aber die begannen preislich erst bei dem Doppelten, ab 500 DM. Musste man als Jugendlicher erst einmal aufbringen.
Also eine Gebrauchte! Aber woher nehmen? Internet gab`s ja noch nicht. Also regelmäßig an`s schwarze Brett in den Musikgeschäften, in Kleinanzeigen der Zeitung schauen, das war`s schon.
Hatte man mit viel Glück eine Gitarre, dann suchte man einen Verstärker.
Wollte man auch einmal auftreten, dann brauchte man mindestens 50 Röhren- oder 80 Transistor-Watt. Denn die kleineren Säale hatten fast nie bereits eine qualitativ hochwertige PA im Raum verbaut, die auch leisere Signale gut verstärkt. Jede Band, die auftreten wollte, brauchte dazu eine eigene PA mit hohen Leistungsreserven und das war teuer.
Überhaupt Verstärker: Röhrenverstärker waren unerschwinglich, die Auswahl sehr begrenzt.
Blieben Transistorcombos, denn so etwas wie Modellingamps, Hybriden usw. gab es noch nicht.
Und die Transistorcombos klangen verzerrt wirklich nicht schön, man war noch unendlich weit vom Röhrensound entfernt, selbst wenn man viel Geld zusammenkratzte und etwa einen Marshall Transistorcombo kaufte. Oft musste also noch ein Verzerrer wie der Tube Screamer dazu kommen. Man musste sich auch für wenige Musikstile entscheiden, denn einen Verstärker, der alles gut konnte, wie heutige Modellingamps, gab es noch nicht.
Auch Effekte waren noch nicht in die Verstärker integriert, also musste man sich jeden Effekt durch Tretminen zusätzlich kaufen, also etwa Chorus, Phaser, Delay, usw.
Jetzt hatte man bereits zusammen 700-1000 DM ausgegeben und war klanglich noch Lichtjahre von dem entfernt, was man heute für 4-500 € bekommt.
Genauso schwierig wie der Kauf gestaltete sich der Verkauf, weil man (–kein Internet-) mit schwarzem Brett und Zeitungsanzeigen nur einen sehr kleinen Interessentenkreis erreichte.
Hatte man eine Band, dann war man ziemlich aufeinander angewiesen, denn z.B. mal eben etwa einen Bassisten zu ersetzen war ebenfalls ohne Internet schwierig.
Der Satz „Früher war das Verhältnis unter Musikern besser“ könnte sogar stimmen, aber das lag nicht an den Menschen, sondern war schlicht eine Notwendigkeit, um an Informationen zu gelangen etwa über Auftrittsmöglichkeiten, Verkäufe von Instrumenten, Musiker auf Bandsuche usw.
Hatte man endlich mal einen Auftritt, dann begann der Kabelsalat. Da Funkübertragungen noch nicht erfunden waren, hatten jedes Mikrofon und jedes Instrument Kabel. Allein unser Drummer nutzte 5 Mikros. Die Kabel engten die Gitarristen ein und hatten eigentlich immer die falsche Länge. Entschied man sich für ein kurzes, dann war der eigene Radius beschränkt, nahm man ein längeres, dann verlor das Signal hörbar Höhen. Wenn dann noch (wie bei uns) 2 Gitarristen und ein Bassist die ganze Bühne nutzten, dann verhedderten sich irgendwann zwangsläufig die Kabel.
Ein lustiges Kapitel waren die Klamotten. Wer damals ambitioniert war und wie wir den Rock der 80er spielte, imitierte natürlich das Outfit der Stars. Das heißt Streifenleggins in Neonfarben, weiße Adidas Allround, Jacken mit Schulterpolstern, im schlimmsten Fall Vokuhila-Frisuren oder Fönfrisur. Hier wandelt sich ein Nach- zum Vorteil: Während heute alles ganz einfach per Handy gefilmt werden kann, benötigte man damals echte Filmkameras. Sperrig und unheimlich teuer, 3 Minuten Super-8-Film kosteten mit Entwicklung 29 DM. Es wurden also (zum Glück) keine Filme von damaligen Auftritten gemacht, über die sich heute unsere Kinder schlapp lachen würden….
Handys sind ein gutes Stichwort. Gab es nicht, also war man nur zuhause erreichbar. Im Festnetz. Was natürlich nur klappte, wenn gerade Anrufer und Angerufener gleichzeitig zuhause waren. Telefonzellen waren selten und standen mit Sicherheit nicht direkt am Proberaum, Auftrittsraum usw. Eine Panne war also nicht durch einen schnellen Handyanruf bei der Freundin („Kannst Du mir ganz schnell neue Drumsticks bringen?“) behoben.
Um Erfolg zu haben, gab es nur die Mund-zu-Mund-Propaganda und für die echten Stars Radio- und Fernsehsendungen (MTV!). Niemand konnte, etwa durch Youtube-Kanäle, selbst auf sich aufmerksam machen, sich dadurch ein Publikum aufbauen und damit sogar Geld verdienen!
Ich könnte noch seitenlang weiter machen. Natürlich gab es auch einige wenige Vorteile, die ich nicht verschweigen will:
-Es gab noch keine DJs, dadurch bekam man als Band viele Auftritte bei Veranstaltungen.
-Da abends wenig los war (5-6 spießige Fernsehkanäle) gingen die Jugendlichen abends weg, was viel Publikum bei Auftritten brachte
Aber unter dem Strich ist die Aussage, früher sei alles besser gewesen, aus meiner Sicht kompletter Unsinn! Wer heute als Jugendlicher Musik machen möchte, hat es tausendmal besser als wir aus der nicht mehr ganz jungen Generation!
- Eigenschaft
Zuletzt bearbeitet: