Gibt es überhaupt noch Zukunft für Stompboxes oder sogar für Amps, da das Ding, laut mein Freund, sogar eine extrem gute Simulation hat? Was denkt ihr?
Ich bin mir sicher, dass es da noch eine Zukunft geben wird, aber in der wird es vermutlich ganz anders aussehen als heute. Einmal glaube ich, dass Modeller grundsätzlich höhere Marktanteile erreichen werden (zu Ungunsten von Röhren-Amps und Einzel-Tretern). Die Dinger werden einfach von Generation zu Generation immer besser, so dass du, ganz ähnlich wie bei Computern, alle paar Jahre zum ungefähr gleichen Preis erheblich mehr Leistung bekommst. Das AXE-FX und der Kemper KPA sind die ersten Geräte, die wirklich in den High-End-Bereich vorgestoßen sind und selbst unter überzeugten Röhren-Fans begeisterte Nutzer gefunden haben.
Man merkt das ganz deutlich an der veränderten Argumentation in Internet-Foren: Vor etlichen Jahren war es noch sehr einfach, (zu Recht) auf den harschen Digital-Klang oder die schlechte Dynamik zu deuten, während heute die Gegner von Modellern sich über ganz feine Nuancen hermachen und immer häufiger mit Worten wie "irgendwie" oder "schwer zu beschreiben" operieren müssen, weil eben die Unterschiede zwischen Original und digitalem Modell immer kleiner werden. Dazu kommt noch, dass es im Gegenzug immer mehr (genauso erfahrene) Gitarristen gibt, die behaupten, effektiv keinen oder so gut wie keinen Unterschied mehr zwischen Modeller und Röhren-Amp hören zu können - bis hin zu dem Extrem, dass manchmal gesagt wird, ein Kemper-Profil von Amp XY klinge und spiele sich mit etwas Nachbearbeitung sogar besser als das Original. Sei es wie es und ohne das Hin und Her der Argumente im Einzelnen zu bewerten: Allein schon die Tatsache, dass die Diskussionen um Modeller von Jahr zu Jahr "enger" werden, zeigt deutlich, dass die neue Technik immer mehr Anhänger findet und mittlerweile auch wirklich ernst zu nehmend ist.
Dazu kommt ein weiterer Faktor: Modeller in Form von Multi-FXen, Computer-Software oder Amps sind einfach viel simpler zu bedienen und variabler zu verschalten, wie man es selbst an relativ preisgünstigen Geräten wie den Boss' GTs oder Line-6' Pod HDs sieht. Für um 400 bis 500 Euro herum erhält man Geräte, die irre viele Effekte zur Auswahl anbieten und mit denen man sich in Windeseile Effekt-Ketten zusammenstellen kann, die sich auf simplen Knopfdruck hin abspeichern und wieder einladen lassen. Gleichzeitig wächst von Generation zu Generation die Anzahl junger Gitarristen, die genau auf diesen Plattformen anfangen zu spielen und für die die bequeme Handhabung zu einer Selbstverständlichkeit wird.
Mühelos wechselt man von Preset zu Preset und dabei von Amp zu Amp und Effekt-Kette zu Effekt-Kette. Clean spiele ich ein Fender-Blackface-Modell, im Crunch wechsle ich zu einem Marshall-Plexi und die Leads hole ich mir von einem Soldano oder Engel. Gut aufeinander abgestimmt, kann das total geil klingen und Möglichkeiten eröffnen, die auf "konventionellem" Weg unbezahlbar oder nur sehr schlecht handhabbar sind. Und wir sind noch nicht am Ende: Ob zuhause über Kopfhörer oder Abhörmonitor, bei der Probe über eine Aktiv-Box oder live über einen kleinen Bühnenmonitor und in die PA - die kleinen Kisten lassen sich fast überall problemlos anschließen und mit ein paar Korrekturen klingen die auch richtig gut. Bei dreistelligen Anzahlen von Speicherplätzen ist es auch kein Problem, sich Recording-, Probe- und Live-Einstellungen zusammenzustellen oder Anpassungen schnell über einen globalen EQ o.ä. Hilfsmittel vorzunehmen.
An dieser Stelle in die Zukunft geschaut, stelle ich mir vor, dass die Hersteller von analogem Equipment noch schwer, schwer nacharbeiten müssen! Standardisierte Verkabelungs-, Speicher- und Routing-Möglichkeiten müssten ohne großen Aufpreis Bestandteil dieser Geräte sein, um auf dem "Komfort-Level" mit Modellern mithalten zu können. Falls das nicht funktioniert, wird der Markt der analogen Geräte sich mehr und mehr auf diejenigen beschränken, die entweder eh nicht viel brauchen oder aber das Geld haben, komplexe Effekt-Ketten analog zu erzeugen, die ganz erheblich teurer sind als ihre digitalen Kollegen (die - nur um das nicht zu vergessen - von Jahrzehnt zu Jahrzehnt erheblich besser werden).
Was den Kaufpreis angeht, sieht die Situation meines Erachtens etwa so aus: Röhren-Amps sind da absolut ausgereizt, denn alles, was zur Zeit an günstigen Einsteigermodellen kommt, lässt sich nur noch durch dadurch erreichen, dass man so billig wie möglich produziert. Der Bute-Force-Approach, sozusagen. Röhren-Amps benötigen nun mal vergleichsweise viel Hardware, das kann man drehen und wenden wie man möchte. Digitales Modelling hingegen wächst quasi im Windschatten der allgemeinen Computer-Weiterentwicklung mit und wird dadurch immer günstiger, während gleichzeitig die Erfahrungen der Software-Entwickler in diesem Gebiet immer weiter ansteigen. Der Kemper KPA hat vor wenigen Jahren gezeigt, was passiert, wenn da ein paar intelligente Leute sind, die plötzlich einen ganz anderen Ansatz verwenden. Reine Geisteskraft ersetzt physikalische Notwendigkeiten!
Was also wäre das Fazit? Ich glaube nicht, das Röhren-Amps und analoge Effekte in naher Zukunft aussterben. Erstens sind die guten davon
richtig gut, zweitens sind viele Gitarristen sehr konservativ, drittens wird es immer Gitarristen geben, die die große Flexibilität der Modeller schlicht nicht benötigen und lieber zu Bewährtem greifen. Und sei es nur aus dem banalen Grund, dass sie mit der neuen Technik nicht zurecht kommen oder wollen. Aber: Modeller werden immer mehr Anhänger finden und irgendwann wird der Moment kommen, wo sie die Entwicklungen analoger Geräte im Bereich des Komforts und der Flexibilität ganz kräftig vorantreiben werden. Irgendwann werden die digitalen Teile einfach so gut sein, dass der minimale Trade-Off nichts mehr im Vergleich zu den Vorteilen wiegt.