Koebes
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Hi,
Einige Dinge möchte ich vorausschicken:
Immer wieder werden hier emotionale Diskussionen geführt, ob nun Röhrenamps, Transistoramps oder Modellingamps oder Warpamps from outer space das Beste seit der Erfindung des Rades sind, und dabei wird irgendwie nie beleuchtet, warum man die eine oder andere Lösung wählt. Ich lese viel Dogmatik, Fundamentalismus und wenig Praxisberichte, deswegen habe ich mir überlegt, mal aufzuschreiben, wie ich zum Modelling kam, welche Probleme ich beobachte und wie man es mMn sinnvoll einsetzen kann.
Ich bin ein alter Sack. Als ich anfing, Gitarre zu spielen, gab es außer dem Jazz Chorus keinen ernstzunehmenden Verstärker, der nicht auf Röhrentechnik basierte, es war nämlich 1989. Ich gehöre also definitiv einer Gitarristengeneration an, die mit sehr traditionellen Konzepten der Gitarrenverstärkung aufgewachsen ist und nun in einem Alter ist (Mitte bis Ende 30), in dem man leicht den Satz "Früher war alles Besser" schon mal für einen gangbaren Weg der Weltsicht hält
So, nun zum Kern der Sache:
Als ich im Studentenwohnheim wohnte, war es großer Mist mit Gitarreüben, da mein Verstärker (Vollröhre 22 Watt) viel zu laut war. Außerdem interessierte ich mich schon immer für Soundbearbeitung und -verfremdung. Ich hatte lange die Tretminen vor Röhrenamplösung (Boss Pedale regeln!) gespielt und war eigentlich zufrieden mit meinem Sound, aber das war nun nicht mehr praktikabel. Also musste irgendwas her, dass man nicht nur uneingestöpselt üben konnte. Ich habe mir damals ein Boss GX 700 gekauft, eines der ersten Geräte, was Verstärker imitieren konnte. Die geilen Effekte waren der Hauptverkaufsgrund, das GX 700 ist bis heute mein Lieblingsmultieffekt. Aber man konnte halt auch einen Kofhörer anschließen und über einige wenige Models spielen und die auch in den Amp schieben, der sich dann tatsächlich ein bisschen wie ein Soldano / Marshall / Fender anhörte, was zusätzliche Klangfarben zur Verfügung stellte, die ich gut gebrauchen konnte. Modelling war für mich damals hauptsächlich fürs Üben gut, und eine nette Beigabe zur Delay / Modulations - Geschichte, die ich gerne benutze.
Das war zwischen 1997 und 2008 mein Setup. GX-700 und Röhrenamp. Sound war gut, wurde immer gelobt. Ich habe einige Jahre dann auch elektronische Musik gemacht und dabei auch viel über Klangsynthese und Tontechnik gelernt, was gleich noch wichtig wird.
Irgendwann bin ich dann in einen Altbau gezogen, der ziemlich hellhörig ist. Außerdem wollte ich mir ein Heimstudio aufbauen, das muss so 2005 gewesen sein. Am Anfang habe ich die oben beschriebene Lösung mikrophoniert und auf möglichst leise gedreht, aber das ist nicht besonders nett gegenüber den Nachbarn, denn Mesa/Boogie-leise ist ein anderes leise, als das leise, was die Mehrheit der Menschen leise findet. Außerdem wollte ich auch Abends oder Sonntags aufnehmen können, also musste eine andere Lösung her.
Ich habe mir einfach mal so einen POD angeschafft, der 2.0 war gerade in aller Munde und teuer ist er ja auch nicht gewesen (mittlerweile war ich mit dem Studium schon länger fertig). Ich habe das Ding gekauft, angeschlossen und es klang...scheisse.
Ich habe nicht aufgegeben, denn irgendwie bin ich immer der Meinung, dass man aus allem einen brauchbaren Gitarrensound kriegt, wenn man Gitarre spielen kann. Ich habe mir gute Abhörmonitore angeschafft, aber der POD 2.0 klang immer noch grottig, und warum? Weil ich das Equipment nur gekauft hatte, aber nicht gelernt hatte, damit umzugehen. Und hier halfen meine Synthesizer und Tontechikkenntnisse. Ein POD ist zwar keine Klangsynthese, aber er benutzt Filter. Und er stellt einen EQ zur Verfügung. Also genau das, womit ich gelernt hatte, umzugehen.
Nach drei Wochen intensiven Ausprobierens, Drehens, Verwerfens und Neueinstellens hatte ich einen Gitarrrensound, den man für CD-Aufnahmen gebrauchen konnte. Die Modelling-Technik hatte mich überzeugt.
Als dann der X3 kam, war das für mich ein Riesenquantensprung. Das Ding klang zwar immer noch scheisse, wenn man es auspackte und einsteckte, aber nach den drei Wochen rumprobieren bekam ich da einen Gitarrensound raus, der besser war als der mikrophonierte Röhrenamp. Und flexibler. Und vor allem leiser, denn hohe Lautstärken sind für ältere Semester nicht so gut.
Ich habe mittlerweile auch den Vetta II als Bühnenamp. Röhrenamps benutze ich gar nicht mehr. Ich habe nix gegen die Dinger, aber ich habe zum einen eine Lösung gefunden, mithilfe derer ich mein Gitarrenspiel abbilden kann und zum anderen sind mir die Dinger zu unpraktisch. Bei jedem Röhrenwechsel Bias einstellen, d.h. einmal pro Jahr zum Techniker. Schwer und laut. Fehleranfällig. Meistens nicht MIDI-fähig.
Die teilweise skurrilen Erfahrungen, die ich gemacht habe, lassen sich so zusammenfassen: Gemeinsamer Gig, vor dem Soundcheck, wie immer unter Musikern, Geartalk. Die anderen Gitarristen sind sich einig, das Modellingzeugs klingt nicht, produziert Kreissägenverzerrung und kann mit einem echten Röhrenamp nicht mithalten. Dann kommt der Soundcheck, unserre Band braucht die Hälfte der Zeit der anderen und alle sagen "Geiler Sound, den Du hast". Und ich sage dann "Ist alles Line6" und dann betretenes Schweigen.
Warum?
Modeller sind nicht besser als Röhrenamps. Sie sind noch nicht einmal genauso gut. Sie sind anders. Sie sind keine Geräte, die Gitarren laut machen, sie sind Geräte zur Klangformung. Für mich sind sie ein bisschen wie ein Synthesizer, es sind synthetische Verstärker. Sie bieten Möglichkeiten, die ein traditioneller Gitarrenverstärker nicht bieten kann und genau hierdrin liegt die Falle.
Schließt man eine Gitarre an einen guten Röhrenamp an, schaltet ein und spielt E-Dur, dann klingt das geil, geil, geil....
Schließt man eine Gitarre an einen POD X3 an und schaltet an, dann klingt das scheisse, egal, was man anschließt. Dann programmiert man eine halbe Stunde rum, und wenn man keine guten Boxen hat, dann klingt das immer noch scheisse. Hat man welche, dann klingt es geil, geil, geil, und im Gegensatz zum Röhrenamp hat man nicht nur drei Formen von geil, geil, geil, sondern dreihundert. Wahrscheinlich sogar mehr. Und es ist nicht so laut.
Die meisten Gitarristen probieren die Modelling-Sachen aus, und sind gewöhnt, dass man anmacht und spielt. Das können diese Geräte nicht. Viele probieren sie dann auch an 70 Euro Aktivboxen oder 20 Euro Kopfhören aus. Das klingt nicht, wie auch? Meistens wird dann die Schuld am wenig befriedigenden Klangerlebnis auf das unbekannte Teil in der Signalkette geschoben, und das ist dann der Modeller. Aber es liegt daran, dass er nicht sinnvoll eingesetzt wird. Wenn man sich mit EQ-Schrauben, Filtern und Komprimieren auskennt, kann man mit einem POD X3 Sounds bauen, die vielfach teureres Equipment blass aussehen lassen. Rechnet man allerdings die Boxen dazu, ist man wieder in derselben Preisklasse. Der Vetta II zeigt das eindrucksvoll: Man ist genauso teuer weg wie mit einem guten Röhrenamp. Man hat halt mehr Möglichkeiten, die man aber auch nutzen können muss. Oder auch brauchen muss. Ich kenne hervorragende Gitarristen, die klingen an einem JCM 800 Einkanaler geil, die brauchen keinen Vetta II. Die werden auch mit einem POD keinen Spaß haben, denn sie sind Gitarrenspieler und keine Tontechniker. Ich bin so eine Art Mischform, ich spiele Gitarre und habe Spaß daran, viele kreative Sounds zu erzeugen. Da ist ein Modeller ein sinnvolles Werkzeug, ich klinge damit besser als mit dem JCM 800, den ich übrigens ganz am Anfang auch mal gespielt habe.
Das ist jetzt alles ganz lang geworden, hilft aber vielleicht, den Krieg Röhre gegen Modelling mal etwas zu entschärfen. Ich wollte die Gründe aufzeigen, warum sich Leute für Modelling entscheiden, und in welchen Situationen das sinnvoll ist. Ich bin gespannt auf Kommentare. Und ja, den JCM 800 fand ich richtig klasse, schade, dass ich keinen mehr habe.
Einige Dinge möchte ich vorausschicken:
Immer wieder werden hier emotionale Diskussionen geführt, ob nun Röhrenamps, Transistoramps oder Modellingamps oder Warpamps from outer space das Beste seit der Erfindung des Rades sind, und dabei wird irgendwie nie beleuchtet, warum man die eine oder andere Lösung wählt. Ich lese viel Dogmatik, Fundamentalismus und wenig Praxisberichte, deswegen habe ich mir überlegt, mal aufzuschreiben, wie ich zum Modelling kam, welche Probleme ich beobachte und wie man es mMn sinnvoll einsetzen kann.
Ich bin ein alter Sack. Als ich anfing, Gitarre zu spielen, gab es außer dem Jazz Chorus keinen ernstzunehmenden Verstärker, der nicht auf Röhrentechnik basierte, es war nämlich 1989. Ich gehöre also definitiv einer Gitarristengeneration an, die mit sehr traditionellen Konzepten der Gitarrenverstärkung aufgewachsen ist und nun in einem Alter ist (Mitte bis Ende 30), in dem man leicht den Satz "Früher war alles Besser" schon mal für einen gangbaren Weg der Weltsicht hält
So, nun zum Kern der Sache:
Als ich im Studentenwohnheim wohnte, war es großer Mist mit Gitarreüben, da mein Verstärker (Vollröhre 22 Watt) viel zu laut war. Außerdem interessierte ich mich schon immer für Soundbearbeitung und -verfremdung. Ich hatte lange die Tretminen vor Röhrenamplösung (Boss Pedale regeln!) gespielt und war eigentlich zufrieden mit meinem Sound, aber das war nun nicht mehr praktikabel. Also musste irgendwas her, dass man nicht nur uneingestöpselt üben konnte. Ich habe mir damals ein Boss GX 700 gekauft, eines der ersten Geräte, was Verstärker imitieren konnte. Die geilen Effekte waren der Hauptverkaufsgrund, das GX 700 ist bis heute mein Lieblingsmultieffekt. Aber man konnte halt auch einen Kofhörer anschließen und über einige wenige Models spielen und die auch in den Amp schieben, der sich dann tatsächlich ein bisschen wie ein Soldano / Marshall / Fender anhörte, was zusätzliche Klangfarben zur Verfügung stellte, die ich gut gebrauchen konnte. Modelling war für mich damals hauptsächlich fürs Üben gut, und eine nette Beigabe zur Delay / Modulations - Geschichte, die ich gerne benutze.
Das war zwischen 1997 und 2008 mein Setup. GX-700 und Röhrenamp. Sound war gut, wurde immer gelobt. Ich habe einige Jahre dann auch elektronische Musik gemacht und dabei auch viel über Klangsynthese und Tontechnik gelernt, was gleich noch wichtig wird.
Irgendwann bin ich dann in einen Altbau gezogen, der ziemlich hellhörig ist. Außerdem wollte ich mir ein Heimstudio aufbauen, das muss so 2005 gewesen sein. Am Anfang habe ich die oben beschriebene Lösung mikrophoniert und auf möglichst leise gedreht, aber das ist nicht besonders nett gegenüber den Nachbarn, denn Mesa/Boogie-leise ist ein anderes leise, als das leise, was die Mehrheit der Menschen leise findet. Außerdem wollte ich auch Abends oder Sonntags aufnehmen können, also musste eine andere Lösung her.
Ich habe mir einfach mal so einen POD angeschafft, der 2.0 war gerade in aller Munde und teuer ist er ja auch nicht gewesen (mittlerweile war ich mit dem Studium schon länger fertig). Ich habe das Ding gekauft, angeschlossen und es klang...scheisse.
Ich habe nicht aufgegeben, denn irgendwie bin ich immer der Meinung, dass man aus allem einen brauchbaren Gitarrensound kriegt, wenn man Gitarre spielen kann. Ich habe mir gute Abhörmonitore angeschafft, aber der POD 2.0 klang immer noch grottig, und warum? Weil ich das Equipment nur gekauft hatte, aber nicht gelernt hatte, damit umzugehen. Und hier halfen meine Synthesizer und Tontechikkenntnisse. Ein POD ist zwar keine Klangsynthese, aber er benutzt Filter. Und er stellt einen EQ zur Verfügung. Also genau das, womit ich gelernt hatte, umzugehen.
Nach drei Wochen intensiven Ausprobierens, Drehens, Verwerfens und Neueinstellens hatte ich einen Gitarrrensound, den man für CD-Aufnahmen gebrauchen konnte. Die Modelling-Technik hatte mich überzeugt.
Als dann der X3 kam, war das für mich ein Riesenquantensprung. Das Ding klang zwar immer noch scheisse, wenn man es auspackte und einsteckte, aber nach den drei Wochen rumprobieren bekam ich da einen Gitarrensound raus, der besser war als der mikrophonierte Röhrenamp. Und flexibler. Und vor allem leiser, denn hohe Lautstärken sind für ältere Semester nicht so gut.
Ich habe mittlerweile auch den Vetta II als Bühnenamp. Röhrenamps benutze ich gar nicht mehr. Ich habe nix gegen die Dinger, aber ich habe zum einen eine Lösung gefunden, mithilfe derer ich mein Gitarrenspiel abbilden kann und zum anderen sind mir die Dinger zu unpraktisch. Bei jedem Röhrenwechsel Bias einstellen, d.h. einmal pro Jahr zum Techniker. Schwer und laut. Fehleranfällig. Meistens nicht MIDI-fähig.
Die teilweise skurrilen Erfahrungen, die ich gemacht habe, lassen sich so zusammenfassen: Gemeinsamer Gig, vor dem Soundcheck, wie immer unter Musikern, Geartalk. Die anderen Gitarristen sind sich einig, das Modellingzeugs klingt nicht, produziert Kreissägenverzerrung und kann mit einem echten Röhrenamp nicht mithalten. Dann kommt der Soundcheck, unserre Band braucht die Hälfte der Zeit der anderen und alle sagen "Geiler Sound, den Du hast". Und ich sage dann "Ist alles Line6" und dann betretenes Schweigen.
Warum?
Modeller sind nicht besser als Röhrenamps. Sie sind noch nicht einmal genauso gut. Sie sind anders. Sie sind keine Geräte, die Gitarren laut machen, sie sind Geräte zur Klangformung. Für mich sind sie ein bisschen wie ein Synthesizer, es sind synthetische Verstärker. Sie bieten Möglichkeiten, die ein traditioneller Gitarrenverstärker nicht bieten kann und genau hierdrin liegt die Falle.
Schließt man eine Gitarre an einen guten Röhrenamp an, schaltet ein und spielt E-Dur, dann klingt das geil, geil, geil....
Schließt man eine Gitarre an einen POD X3 an und schaltet an, dann klingt das scheisse, egal, was man anschließt. Dann programmiert man eine halbe Stunde rum, und wenn man keine guten Boxen hat, dann klingt das immer noch scheisse. Hat man welche, dann klingt es geil, geil, geil, und im Gegensatz zum Röhrenamp hat man nicht nur drei Formen von geil, geil, geil, sondern dreihundert. Wahrscheinlich sogar mehr. Und es ist nicht so laut.
Die meisten Gitarristen probieren die Modelling-Sachen aus, und sind gewöhnt, dass man anmacht und spielt. Das können diese Geräte nicht. Viele probieren sie dann auch an 70 Euro Aktivboxen oder 20 Euro Kopfhören aus. Das klingt nicht, wie auch? Meistens wird dann die Schuld am wenig befriedigenden Klangerlebnis auf das unbekannte Teil in der Signalkette geschoben, und das ist dann der Modeller. Aber es liegt daran, dass er nicht sinnvoll eingesetzt wird. Wenn man sich mit EQ-Schrauben, Filtern und Komprimieren auskennt, kann man mit einem POD X3 Sounds bauen, die vielfach teureres Equipment blass aussehen lassen. Rechnet man allerdings die Boxen dazu, ist man wieder in derselben Preisklasse. Der Vetta II zeigt das eindrucksvoll: Man ist genauso teuer weg wie mit einem guten Röhrenamp. Man hat halt mehr Möglichkeiten, die man aber auch nutzen können muss. Oder auch brauchen muss. Ich kenne hervorragende Gitarristen, die klingen an einem JCM 800 Einkanaler geil, die brauchen keinen Vetta II. Die werden auch mit einem POD keinen Spaß haben, denn sie sind Gitarrenspieler und keine Tontechniker. Ich bin so eine Art Mischform, ich spiele Gitarre und habe Spaß daran, viele kreative Sounds zu erzeugen. Da ist ein Modeller ein sinnvolles Werkzeug, ich klinge damit besser als mit dem JCM 800, den ich übrigens ganz am Anfang auch mal gespielt habe.
Das ist jetzt alles ganz lang geworden, hilft aber vielleicht, den Krieg Röhre gegen Modelling mal etwas zu entschärfen. Ich wollte die Gründe aufzeigen, warum sich Leute für Modelling entscheiden, und in welchen Situationen das sinnvoll ist. Ich bin gespannt auf Kommentare. Und ja, den JCM 800 fand ich richtig klasse, schade, dass ich keinen mehr habe.
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