Man muss schon unterscheiden zwischen reinem Dientleister (Tanzmucke) und einer Coverband. Während die Tanzband ein riesiges Repertoire an Publikumswünschen erfüllen muss, was oft dazu führt, dass lediglich ein Wiedererkennunsgwert der Songs gewährleistet sein muss, legt eine vernünftige Coverband mehr Wert auf Qualität. Ich mache beides und kenne daher auch beide Bereiche. Bei der Tanzmucke haben wir ein Repertoire von über 300 Songs, spielen auch den einen oder anderen mal spontan, auch wenn wir einen Song nie zuvor gemeinsam geprobt haben. Da muss man nicht über Qualität diskutieren. Mit der Coverband haben wir ein Repertoire von derzeit knapp 90 Songs. Die proben wir a. regelmäßig, b. ergänzen es genau wie wir auch Songs rausschmeißen, weil sie vielleicht doch nicht so gut grooven wie wir uns wünschen und c. stellen für jeden Auftritt eine individuelle Setlist zusammen, die wir auch gezielt nochmal vorher proben. Will sagen, wir legen auch bei Quantität Wert auf Qualität. Diese Einstellungen übertrage ich auch mittlerweile mehr und mehr auf die Tanzmucke, weil's mir persönlich einfach auch wichtig ist.
Das kann man gut veranschaulichen anhand der zwei Extreme. Das eine Extrem ist die Top40- und Galaband, die sich ausschließlich aus hauptberuflichen Muckern zusammensetzt. Hauptberuflich auch deshalb, weil sie sehr viel Zeit investieren müssen, um diese Mengen an Musik zu bewältigen und auch für die über 100 Gigs pro Jahr. So eine Band muß, um möglichst viele möglichst lange Gigs zu möglichst vielen Gelegenheiten spielen zu können, ein Riesenrepertoire haben. Da wird dann auch schon mal nach einem 7-Stunden-Gig auf einer Hochzeitsfeier gefragt, der dann auch entsprechend entlohnt wird. Der NDR wird dann auf der Kieler Woche bei einem 2-Stunden-Gig wieder ganz was anderes hören wollen und so weiter. Da braucht man sehr schnell sehr viel Musik. Sehr schnell auch deshalb, weil solche Bands immer die Hand am Puls der Zeit haben müssen. Wenn irgendein neuer Superhit rauskommt, darf die Band nicht länger als 48 Stunden brauchen, um den auftrittsreif zu haben.
Das andere Extrem sind Tributebands. Auch wenn manche das wenig originell finden bei solchen Bands geht es häufig um die absolut perfekte Replica eines konkreten Vorbildes. Da zahlt das Publikum dann für die Illusion, tatsächlich U2, Pink Floyd, Genesis oder die Rolling Stones vor sich zu sehen und zu hören Originalmusik, Originalsound, Originalbühnenshow, nicht selten ein konkretes Konzert oder eine konkrete Tournee bis ins allerletzte Detail perfekt nachgebildet , und zwar wohlwissend, daß es eben nicht U2, Pink Floyd, Genes oder die Stones sind. Da investiert der Keyboarder einer Prog-Rock- oder Elektronik-Tributeband schon mal einige zigtausend Euro darin, genau das gleiche Equipment wie das Original aufzufahren, und noch einmal einige tausend Euro in die Instandhaltung von Polysynths aus den 70er Jahren, weil auch ein Arturia Origin nicht nah genug an einen echten Yamaha CS80 kommt und eine beliebige Workstation erst recht nicht. Da werden über Monate oder gar Jahre die originalen Bühnenbauten nachgebaut, wird die originale Lightshow für jeden einzelnen Scheinwerfer genau nachgebildet, studiert der Leadgitarrist jedes einzelne Gitarrensolo bis zur letzten kleinen Phrasierung exakt ein.
Wenn jemand jetzt sagt, dann sollen die Leute zum Original gehen: Die Tradition der Tributebands kommt im wesentlichen aus Australien. Die Aussies waren gefrustet, daß jede Band sie auf jeder Welttournee ausließ, weil Australien einfach zu weit weg und zu dünn besiedelt war. Keine Band machte einen Umweg von weit über 10.000 km für einen Gig in Sydney und vielleicht noch einen in Melbourne. Also haben die Aussies einfach angefangen, die ganzen großen Bands selbst nachzubauen und sich selbst ihre Konzerte zu machen. Heute ist es eher so, daß die Leute zu solchen Tributeshows gehen, nicht, weil sie sich Stones-Tickets nicht leisten können, auch nicht, weil Pink Floyd nicht mehr touren, sondern um eben diese perfekte Illusion eines Konzertes einer Band zu sehen mit dem vollen Bewußtsein, daß es eben gerade nicht diese Band ist, die da auf der Bühne steht, sondern eine ganz andere Gruppe, der es trotzdem gelingt, eben diese perfekte Illusion zu erzeugen und aufrechtzuerhalten. Das ist das Geile. Du weißt ganz genau, die Leute da auf der Bühne sind nicht Genesis und waren nie Genesis, und selbst wenn, Peter Gabriel ist schon seit drei Jahrzehnten nicht mehr bei Genesis, aber trotzdem sieht es aus und klingt es bis ins allerhinterletzte Detail ganz genau wie die Selling England By The Pound-Tournee 1973.
Was den Anspruch an das Original angeht, da sind die Meinungen oft unterschiedlich. Ich persönlich finde eine gute Interpretation eines Songs viel interessanter als den krampfhaften Versuch, einen Song möglichst 1:1 nachzuspielen. Ich könnte Dir eine nicht endende Liste von Songs geben, die erst durch covern richtig zum Erfolg geworden sind. Klar waren das meistens bekannte Bands, aber genau dies kann und sollte auch eine gute Coverband leisten. 1:1 ist langweilig und da kann man sich auch besser einen DJ engagieren.
Wie gesagt, live kommt es drauf an. Je schwieriger es ist, ein Original absolut detailgetreu zu kopieren, und je größer der Aufwand ist, den eine Band mindestens zu betreiben hat und letzten Endes betreibt, desto eindrucksvoller ist es. Blowin' In The Wind von Bob Dylan ist relativ simpel und daher langweilig, wenn originalgetreu nachgespielt. Aber stell dir mal vor, eine Band würde eine exakte Kopie der Zoo TV-Tour von U2 oder der Bridges To Babylon-Tour der Stones spielen. Oder gar der Europe In Concert-Tournee von Jean Michel Jarre inklusive der teilweise zig Meter hohen Projektionswände nebst der musiksynchronen Originalprojektionen, des 120köpfigen Chors und des Feuerwerks, von allein EMS-Synthis im Wert von über 35.000 Euro ganz zu schweigen.
Zweifelhaft kommen mir immer wieder Uminterpretationen in Form von Vereinfachungen vor, besonders dann, wenn es weder durch die Mannstärke noch durch das vorhandene Equipment begründet sein kann. Da frag ich mich dann: Können die nicht besser? Oder wollen die nicht besser? Zugegeben, ja, ich bin Musikerpolizei, und ich achte ganz besonders auf das, was der (idealerweise sehr flexible) Keyboarder macht, so vorhanden, und gerade da find ich häufig einiges, was mir sauer aufstößt.
Umgekehrt kann's originell sein (und dient es hervorragend zum Schocken des Publikums), wenn man Musik, zu der das eigentlich nicht paßt, die vielleicht eigentlich nicht mal Rockmusik ist, auf den Sound der Ramones umstrickt, so simpel der auch ist.
Martman