Dann will ich auch mal ein bisschen erzählen, wie meine erste Stunde war:
Als ich dorthin kam, war ich erst mal ganz begeistert von dem Haus. Es war eine wunderschöne, alte Villa und das Unterrichtszimmer hat mir auch auf Anhieb gut gefallen: Fischgrätenparkett, ein kleiner Kronleuchter an der Decke und ein schwarzes, altes Klavier.
Nachdem mir alle erzählt haben, dass man sich meistens vorher kurz unterhält und sich kennenlernt, war ich ziemlich überrumpelt, als er gleich zur Sache kam. Es fing mit Aufwärmübungen an und da ich eh ziemlich nervös war (meine erste Probestunde) war mir das ganz recht. Also zuerst die richtige Haltung einnehmen, dann mit den Armen rudern, nach vorne beugen, die Schultern bewegen und dabei in den Bauch atmen. Ich habe nicht geglaubt, dass es ernsthaft was bringen würde, aber danach war ich tatsächlich entspannter und diese imaginäre Schnur, die mir immer die Kehle zuschnürt, wenn ich anderen etwas vorsingen soll, war nicht mehr gar so straff gespannt. Dann kam auch schon die erste „peinliche Übung“: Herausfinden, wo dieses Zwerchfell ist und wie es sich bei bestimmten Übungen anfühlt. Das waren einzelne Buchstaben wie „P! K! T! Sss.. Sch…“
Währenddessen musste ich die ganze Zeit denken: "Es ist nur eine Schonfrist, gleich wird er mich darum bitten, solo irgendein Lied vorzusingen um meine Stimme kennenzulernen..."
Dementsprechend bin ich auch gehörig zusammengezuckt, als mein Gesangslehrer plötzlich sagte: "So, wir singen jetzt mal einen A-Ton."
Eine einfache Übung, aber ich bin ganz schön ins Schwitzen gekommen. Im Kopf explodierten mal wieder tausend Bilder und malten sich aus, was alles schief gehen und wie großartig ich mich mal wieder blamieren könnte. Irgendwie wollte ich einfach Zeit gewinnen und hab deswegen gefragt, wie man dieses Kopfkino ausschaltet.
"Einfach machen."
"Ich hab ein Talent dazu, solche Übungen zu versemmeln."
"Das macht nichts."
Danach war ich beruhigt genug, um einfach die Übungen mitzumachen. Und nach den ersten Tönen ist dann alles umgekippt - plötzlich hat es richtig Spaß gemacht. Auch wenn es nur kurze Melodien waren, um die Stimme zu testen/trainieren. Schließlich durfte ich mir einen Song aussuchen, den wir spielen konnten. Er hat mich sogar gefragt, ob wir einen meiner eigenen Lieder nehmen sollen oder ein Cover. Ich hab mich für ein Cover entschieden: Falling Slowly von Glen Hansard. Eins meiner absoluten Lieblingslieder. Seit ich den Film gesehen habe träume ich davon, das Lied mal mit jemanden zusammen zu spielen so wie Marketa Irglova und Glen Hansard im Musikgeschäft.
Damit ging dann plötzlich ein Traum in Erfüllung. Er am Klavier, ich stand einfach daneben und sang die Hauptstimme. Zuerst in D-Dur und dann in der Original Tonart, also in C-Dur.
"Take this sinking boat and Point it home, we've still got tiiiiimeee…"
Das Lied geht bei "time" ganz schön in die Höhe. Für mich war das kein Problem, auch in D-Dur nicht. Aber für meinen Gesangslehrer, der nicht ganz so hochgekommen ist. Es ist doch beruhigend zu sehen, dass auch ein Profi mal die Töne verfehlen kann.
Ehrlich - ich war ziemlich enttäuscht, als die Stunde vorbei war.
"Wie, das war's schon?", hab ich verwirrt gefragt. (jetzt wo ich gerade erst in Fahrt kam...)
"Ja, das waren jetzt 50 Minuten."
Eigentlich hatte ich noch keine Lust zu gehen. Also fragte ich, ob ich auch mal ans Klavier darf und er sagte ja. So kam es, dass ich dann noch eine halbe Stunde Klavier gespielt habe und mein Gesangslehrer so lange irgendwas im Haus aufgeräumt hat. Ich war zwar alleine, aber das Klavier war so laut, dass es nicht nur das ganze Haus gehört hat, sondern wahrscheinlich auch die Nachbarschaft (das Fenster stand die ganze Zeit sperrangelweit offen, das ist auch eine Art Gesangshemmungen zu überwinden).
Wir haben uns noch kurz unterhalten, wie es nächstes Mal weiter geht (ich soll meine Lieder mitbringen und wahrscheinlich auch meine Gitarre, um selber die Begleitung spielen zu können.. und ich hoffe, dass ich wieder Klavier spielen darf, das ist schon was anderes als so ein E-Piano.)
Alles in allem hätte ich nicht gedacht, dass Gesangsunterricht so viel Spaß machen kann. Warum ich so lange gezögert habe? Weil ich zu viel auf YouTube gesehen habe. Dort fand ich die Übungen zum Teil so peinlich und auch die Gesangslehrer so unsympathisch , dass mir die Lust vergangen ist. Ich bin heilfroh, dass ich mich trotzdem überwunden habe, denn es war nicht mal annähernd so wie auf YouTube.
Wenn du das erste Mal dorthin kommst und vorher schon sagst, dass du evtl. ein Problem damit hast, anderen etwas vorzusingen, ist der Lehrer auch entsprechend darauf eingestellt und ein bisschen "einfühlsamer". Außerdem: Wenn du mit einem Menschen im selben Raum stehst und er die "peinlichen Übungen" erstmal vormacht, dann ist es plötzlich gar nicht so peinlich. Ich musste auch nie etwas Solo vorsingen, er hat die ganze Zeit mitgesungen, was für einen Anfänger wie mich sehr angenehm war. Gut, bis auf die hohen Töne, die nur ich hinbekommen habe
Aber genau dieser Moment hat erst richtig Spaß gemacht.
Also wenn ihr gerade am Überlegen seid, auch Gesangsunterricht zu nehmen... macht es einfach! Nehmt eine Probestunde! Bitte wartet nicht so lange wie ich, ich hab jetzt zwar den Traumlehrer gefunden, der aber in ein paar Monaten umziehen will. Man muss auch für eine Probestunde nicht besonders mutig sein, das ergibt sich alles, wenn man vor Ort ist und einfach singen soll. Egal wie groß die Angst ist sich zu blamieren. Aber jemand der selber singt kennt diese Angst und würde sich nie darüber lustig machen, er will doch, dass du weiter kommst.
Also... probiert es einfach aus!