Hallo,
irgendwo im Musikerboard las ich, dass die Gitarre mit ihren 6 zu verwaltenden Saiten in gewisser Weise 6 (gleichzeitig zu verwaltenden) Klavie(atu)ren entspricht.
Darauf, dass die Themaerstellerin aus der Warte eines der komplexesten bzw. (lies: bedientechnisch und notensortierungsmäßig) umständlichsten Instrumente herkommend ihre Frage stellt, geht hier bis jetzt niemand (in einer ohne Vorkenntnisse verständlichen Formulierung) ein.
Auf einer Klaviatur liegen alle Töne in ihrer korrekten Reihenfolge sortiert vor. Darüber hinaus sind sogar die Töne mit Vorzeichen schon unterschieden von den Tönen ohne Vorzeichen. Einmal räumlich (ohne dafür die streng intuitive, logische Sortierung nach Tonhöhe aufzugeben - super!), und einmal farblich. Der Keyboarder erhält sie bereits serienmäßig in schickem Schwarz bemalt geliefert. Mann oh Mann! Damit hat die Threaderstellerin bislang an ihrer Gitarre richtig zu schuften! Und ihr würdigt solche Probleme gar nicht ...
Wie soll sie euch verstehen?
Man sieht an der rhythmisch schwarz-weißen Musterfolge entlang der Tastenreihe
sofort, wo die eine Oktave endet und die nächste beginnt. Die Notenpaare H-C und E-F springen
sofort ins Auge, auch ohne jeden Klavierunterricht, die 7. Klasse allgemeiner Musikunterricht ("Aufbau einer Dur-Tonleiter") genügt schon. Und diese beiden Notenpaare sind gleichzeitig optisch klar voneinander unterschieden durch ihre bekannte Position in der Tonleiter (3-4 versus 7-8, also dazwischen einmal zwei und einmal drei Halbtöne auf schwarzen Tasten dazwischen).
Orientierung? -auf einem Keyboard null problemo, zumindest im Vergleich zur Gitarre. Und die Oktave rechts unter dem Brettende vom Notenhalter wird immer die gleiche Oktave (die Nr. XY )bleiben.
So wie sich auf dem Keyboard überhaupt
alles schön streng logisch wiederholt. Ohne auch nur eine Ausnahme! Kleine Terzen, große Terzen, Oktaven, sämtliche Intervalle, .... traumhaft. Kein Umdenken, wenn beim nächsten Intervall fatalerweise vom Bereich der Saiten 1 oder zwei auf den Bereich der Saiten 3, 4, 5, 6 gesprungen/umgedacht werden muss (jedes Intervall verkürzt sich dann nach links um einen Halbton - oder bei Tonaufwärtssprung entgegengesetzt, d. h. es verlängert sich das Griffmuster des Intervalls nach rechts um einen Halbton.
Aus dem gleichen Grund ist es auf dem Gitarrengriffbrett so schwer, den Aufbau eines Akkords (seine Konstruktion, Zusammensetzung, Architektur, zugrunde liegende Zahlenverhältnisse und Theorie) auf dem Griffbrett zu visualisieren. Oder mal eben die erforderlichen, für die menschliche Handanatomie greifbaren Fingersätze zu konstruieren...
Es braucht sehr viel Übung, um Theorie und Griffmuster auf der Gitarre miteinander zu verbinden.
Das ist auch die Ursache für die uns allen so vertrauten
Verständigungsschwierigkeiten zwischen Gitarristen und den anderen Instrumentalisten (die auch dieser Thread widerspiegelt): Die zahlenbasierte Musiktheorie auf ein Gitarrengriffbrett zu übertragen und darin
treffsicher wiederzufinden, ist so schwierig (= komplex und labyrinthisch) wie bei vielleicht keinem anderen Instrument. Darum lernt man Gitarre zwangsläufig über Griffmuster und nicht Noten. Theoretisch haben es Streicher noch schwerer, weil sie auch noch die Intonation selbst erzeugen müssen. Aber... darum verzichtet Streichermusik zu fast 100 % auf harmonische Intervalle. Streicher denken in Melodien, in Monodien. Gitarristen verwalten aber mittels eines komplexen Griffbretts eine sechsfache Mehrchörigkeit bzw. Polyphonie...
Moderne Streichinstrumente belassen es außerdem aus gutem Grund heutzutage möglichst bei 4 zu verwaltenden Saiten, die auch alle hübsch regelmäßig im Quintabstand gestimmt sind - diese eine fiese große Terz zwischen den Saite Nr. 2 und 3 einer Gitarre unter den ansonsten in Quartsprüngen gestimmten Saiten stürzt bei 6 Saiten
jedes Musterbild ins Chaos: Ich habe mal gelesen, dass man ab 7-Saitern aufwärts auch auf der Gitarre das vollständige Muster der Stimmung/Griffbilder sehen kann, sprich, die Regelmäßigkeit im Fingersatz leichter erkennen und aufsuchen kann. Bei normalen 6-Saitern sieht man nur einen Ausschnitt und darum nie die Regelmäßigkeit, nie das große Ganze.
Die abendländische Musiktheorie bildet sich visuell auf dem Keyboard so unmittelbar ab, wie auf keinem anderen Instrument. Auch das sollte hier gewürdigt werden.
Die Musiktheorie wurde auf Tasteninstrumenten entwickelt und (gnadenlos) für diese optimiert niedergeschrieben. Schon bei unserer Notenschrift beginnt das ... Was nützt es mir, wenn ich ein zweigestrichenes f in der Notenschrift erkennen kann, wenn dort nicht steht, in welcher der in Betracht kommenden Lagen der Gitarre ich dieses f eigentlich spielen soll (denn jede Lage klingt anders und greift sich meist auch anders).
Damit kommen wir zu einem unglaubliche Luxus an Logik/Intuitivität der Tasteninstrumente:
Jeder Ton existiert auf der Klaviatur nur ein einziges Mal!!! Und er liegt in der Gesamtabfolge der Töne exakt dort, wo er auch intuitiv sitzen muss. Jeder Ton links davon ist garantiert tiefer, und jeder rechts davon höher. Zuverlässig! Ohne erheblich höhere oder tiefere Töne in zentimeternaher Umgebung.
Ich, seit 3 Jahren Gitarrenstümper, 55 J. alt, beneide jeden Keyboarder schon alleine darum. Aber ich liebe halt die Gitarre ...
Diese Vorteile erleichtern
ganz klar erst mal den
Einstieg ins Keyboardspiel. Beziehungsweise versüßen den Umstieg von der in dieser Hinsicht grausam komplexen Gitarre.
Vorteile, die gratis mitgeliefert (afaik) kein anderes Instrument bietet. Schade dass kein Klavierlehrer das hier einmal an seinem Instrument laut wertschätzt und für die Threaderstellerin heraushebt.
Allerdings gilt das nur für den Einstieg.
Und jetzt kommt das große AAAAABER:
Die Einfachheit bei der basalen "Bedienung" der Klaviatur wird dadurch ausgeglichen, dass für das Klavier komponierte Musik entsprechend komplexer ist.
Lies: Sowat muss' de ersma' spielen können ...
Mit bis zu zehn Fingern gleichzeitig vollgriffig reinhauen können. Währenddessen aber
gleichzeitig klar (mindestens) eine Melodie innerhalb ihrer Begleitung freistellen. Oder - Stichwort Polyphonie - drei, vier gleichzeitig fugato um einander herumschnörkelnde Melodielinien einerseits klar hörbar voneinander zu trennen, andererseits das ganze nicht in seine Einzelstränge zerspleißen zu lassen - stelle ich mir als eine enorme feinmotorische und intellektuelle Leistung vor. Und Jon Lords fingerbrecherische Orgelarbeit auf der Hammond Mk III bei Child in Time hatte der Meister auch nicht in 3 Minuten gelernt ...
Deswegen fand ich bei meinen Vorrednern den Satz so treffend (aber erläuterungsbedürftig, was ich hiermit getan habe):
"Wenn es gut klingen soll, haben alle Instrumente am Ende ihre eigene Komplexität..."
Unabhängig vom Instrument, heißt es, brauche Meisterschaft darauf rund 10000 Übungsstunden Vorarbeit.
Aber man muss nicht erst Meister werden, um Spaß am Musikmachen zu finden (sonst hätte ich nie begonnen).
Ganz direkt @ GreenNeele:
Kein teures Instrument muss heutzutage in der Ecke verschimmeln. Es gibt Ebay Kleinanzeigen. Ich kaufe mir quasi alles dort gebraucht, von den Musikalien bis zum Soyamilchbereiter, oder verkaufe es dort wieder. Wenn man bei Ebay Kleinanzeigen etwas partout nicht verkauft bekommt, liegt es eigentlich immer an einem von diesen zwei Gründen:
1. Viel zu knappe, faulpelzmäßige (= Nicht-)"Beschreibung": Warum bei Angebotstext, Überschrift, Recherche und Fotos (schieße viele Fotos aus vielen Winkeln und unterschiedlichen Abständen, hell und scharf genug!!!!, Vollaufnahmen, Detailaufnahmen, von Gebrauchsspuren und schönen Details am Instrument) eine lumpige Stunde Zeit einsparen wollen und dann den Artikel nach einem Jahr noch immer nicht losgeworden sein?
2. Unrealistische Preisvorstellung (neu bestellen beim Onlinehändler ist eine Sache von Minuten, also muss die Recherche auf dem Gebrauchtmarkt und das Risiko sich lohnen. Zwanzig Euro unter Neupreis oder "fachkundige" Zusätze wie "eine Saite ist gerissen, sonst prima Zustand" sind einfach eine Lachplatte und verraten unfreiwillig sehr viel über den Anbieter, auch wenn das rein mathematisch echte 30 Prozent unter NP sind.)
Herzliche Grüße
Pit