Hallo Cudo!
Na dann wollen wir mal:
Also, die drei von dir aufgeführten Verwendungsmöglichkeiten von °7 sind ja klar. In diesem Kontext eben auch die Vorhaltsbildung zu ∆7 bzw. als Pendelakkord über Tonika-Pedal.
Die alles entscheidende Frage ist aber doch die, ob man den von uns diskutierten Akkord immer zwangsläufig als °7 mit T∆7 betrachten muß.
Denn genau da setzen eben die verschiedenen Ansätze an!
1. Sikora definiert den Akkord im herkömmlichen Sinn, die Tension taucht standardgemäß nicht im Akkordsymbol auf.
2. Kurt Maas sieht's in 'Der musikalische Satz' genauso, schreibt aber explizit C°∆7
3. Mark Levine in seinem 'Jazz Theorie Buch' geht einen völlig anderen Weg. Interessanterweise bezeichnet er ihn als C∆7#9#11, schlägt aber als Akkorsymbol B/C vor.
Insgesamt nennt er 3 verschiedene Verwendungsmöglichkeiten, als Skala sieht er aber für alle drei Fälle GTHT vor.
- Substitut von C∆7 mit anschließender Auflösung, ergo als Vorhalt
- Schlußakkord
-
Substitut von Molltonika-Akkorden! Als Beispiel bringt er eine Blue Bossa Reharmonisation aus eigener Feder.
(Den gleichen Ansatz habe ich noch in einem zu vernachlässigenden Gitarrenbuch gefunden, dort allerdings als C-∆7b5)
4. Peter O'Mara sieht es in 'A Chordal Concept for Jazz Guitar' (übrigens ein phänomenales Buch!) genauso wie Levine, führt aber noch zusätzlich C°7 an.
Der Akkord wird aber nur im Kapitel Slash-Chords besprochen. Im Gegensatz zu Levine kommen für ihn aber auch noch E Harmonisch Moll bzw. G Harmonisch Dur als Alternativskalen in Frage.
Als Anwendungsbeispiel bringt er u.a. diese Pat Metheny Nummer:
Pat Metheny - Omaha Celebration
Der Akkord taucht insgesamt vier mal auf, wovon er sich dreimal im
Quintfall! in einen Dom7b13 weiterbewegt. Also im Grunde genommen als wäre er ein Substitut für m7b5
Das vierte mal dann sogar eine
kl. Terz abwärts in einen ∆7#5.
Und das gibt jetzt wirklich nur noch als Slash-Akkord Sinn:
F#/G - G#/E, Dreiklang Sekunde rauf, Baß die Terz runter.
5. und letztens, diesmal bewußt nicht aus der Jazztheorie
Vincent Persichetti in 'Twentieth-Century Harmony' sieht das ganz lax als Durdreiklang mit b9 im Baß, der im Regelfall funktionsfrei, nicht selten als Mixturbildung verwendet wird.
Und sowas findest du bei Stravinsky oder Bartok hinter jeder Ecke. Ein anschauliches Beispiel dazu findest du in 'Petrushka'.
Igor Stravinsky - Petrushka (4. Tableaux)
So um 4:40 rum als Akkord-Ostinato, das im weiteren Verlauf zwar mit unterschiedlichen Baßtönen konfrontiert wird, die ganze Zeit über aber statisch bleibt und sich nicht auflöst.
(Die
Set Theory würde das übrigens ganz einfach als {0, 1, 4, 7} Tetrachord bezeichnen, die Forte-Nummer wäre 4-18)
Und nun noch kurz zu den Yellowjackets. Die Nummer ist von Ferrante und Haslip, die phänomenalen Streicher-Arrangements sind aber von Vince Mendoza!
Deine Analyse ergibt natürlich um die Ecke gedacht Sinn, aber so weit könnte ich meinen Cortex gar nicht verbiegen, als daß ich das jemals auch nur annähernd so hören würde.
Allein schon deshalb nicht, weil der vermeintliche B-Moll Dreiklang über den übermäßigen Dreiklang D, F#, A#, allerdings leittönig mit A# im Baß, quasi dominantisch angesteuert wird!
Dieser wiederum ergäbe aber mit dem nachträglichen Eb im Baß einen astreinen
Eb-∆7, weshalb es mich dann doch ganz klar in Richtung Definition als Tonika-Akkord zieht.
Food for thought...
Saluti