Moin!
Gut, die Grundlagen hast Du ja offenbar. Du improvisierst wirklich gut, wie ich finde, Dein Video hat viele schöne Momente. Aber Du hast recht, das Timing ist nicht immer konsistent. Am Anfang bist Du des Öfteren vor dem Beat, später bist Du im Flow, da passt es für mein Gefühl. Wäre alles 100%ig in Time, dann wäre es wirklich professionell.
Was ich Dir empfehlen würde, ist zu versuchen, ganz bewusst hinter dem Beat zu spielen. Ich kenne Dein Problem, es war (und ist, wenn ich nicht aufpasse) bei mir genauso. Und leider muss ich Dir sagen, dass es keine Übung geben wird, die Dich befähigt, anstrengungslos Dein Timing zu ändern. Es ist vielmehr eine immerwährende Konzentrations-, Übungs- und Wissenssache. Es sei denn, Du gehörst zu den glücklichen Wenigen, die sich darüber keinen Kopf machen brauchen. Aber das bist Du nicht.
Ich las mal ein Interview mit Billy Sheehan von ein, zwei Jahren, in dem er die Frage, was er denn so übe und wie er sich für Sons Of Apollo vorbereite antwortete, er spiele täglich stundenlang nichts anderes als Viertel. Lass Dir das mal durch den Kopf gehen, ganz langsam und ganz deutlich: Billy Sheehan war 1980 kurzzeitig Kandidat für den Bassistenposten bei van Halen, als Talas im Vorprogramm von Van Halen spielte (später dann heuerte ihn Dave Lee Roth an, wie man ja weiß...). Das ist jetzt etwa 40 Jahre her. So lange spielt er schon auf professionellem Level und übt trotzdem täglich einfachste Grundlagen, trotz der Tatsache, dass er vor allem als Sextolen speiendes Tapping-Äffchen bekannt ist.
Zurück zum Beat.. hierzu habe ich ein schönes Lehrvideo von Bumblefoot. Passenderweise hat er es "most important guitar lesson" genannt. Die Übung hatte mir mein Gitarrenlehrer ebenfalls empfohlen. Das war 1985 und schon damals nichts Neues. Hier im Musiker-Board ist es manchmal schwierig, weil diese Thematik gern in einem Halb- oder Nebensatz abgehakt wird, aber wohl die wenigsten wissen, erstens wie wichtig es für die persönliche musikalische Entwicklung ist und zweitens, wie man es denn wirklich übt.
Also hier dann mal Bumblefoot. Es ist recht kurz, aber es hat es in sich
Wenn Du es richtig machst, dann werden sich Dir direkt Welten eröffnen, weil Dein Hirn die paar Millisekunden Zeit, die Du mehr zur Verfügung hast, dazu nutzen kann, aus Deiner gesamten musikalischen Erfahrung zu schöpfen. Es fühlt sich dann oft so an, dass Du plötzlich mehrere Optionen siehst, wie es in einer Improvisation weitergeht und Du entscheiden kannst.
Um diese Übung aus Deinem Übungszimmer in Deine musikalische Welt zu integrieren, einige Tipps:
-Konzentriere Dich auf den Beatgeber, z.B. Metronom oder Schlagzeug. Wenn Du das Gefühl hast, den Beat nicht genau zu orten, er unscharf ist, dann bist Du entweder unkonzentriert oder der Beat ist bei einem realem Drummer nicht in Time. Gehe aber davon aus, dass Ersteres der Fall ist, denn an Zweitem kannst Du nichts ändern.
-Diese Übung ist nicht nur besser, je langsamer, sondern macht bei Uptempo keinen Sinn mehr. Wenn das Tempo einer Nummer zu schnell wird, dann halbiere. Und entgegen jedem fancy ich-kann-auf-zwei-und-vier-schnipsen-und-Du-findest-wohl-schlager-toll-Tippgeschwurbel konzentriere Dich beim Improvisieren eher auf die ungeraden als die geraden Zählzeiten. Kurzer Exkurs: Auch hierzu hätte ich ein Masterclass-Lehrvideo von Hal Galpert im Angebot, der als Pianist mit Dizzy Gillespie unterwegs war und der berichtet sowie direkt an einem Schüler seiner Masterclass zeigt, wie sich das Spiel verändert, wenn beim Spielen der Fuß nicht auf 2+4, sondern auf 1+3 tippt. Er nennt das Resultat "mature playing". Voraussetzung ist natürlich trotzdem, dass Du irgendwann schonmal das Metronom auf den gerade Zählzeiten hast laufen lassen. Wenn nicht, dann könnte Deine Rhythmik schnell in Marschmusik enden. zwo drei vier.
Ein weiterer Tipp, der mit obengenanntem nichts zu tun hat:
Nimm Dich in Deiner DAW auf und dopple alles, nimm es also zweimal auf, spiele immer zum Metronom. Wenn Du Deine Aufnahmen hart links und rechts pannst, dann muss ein schönes Stereobild entstehen. Wenn eine Seite lauter erscheint, dann bist Du dort im Time etwas vorne, meist so im Bereich 2 bis 10 oder 15 ms. Wenn es wie ein Slapback-Delay klingt, bist Du out, dann liegen die Beats mehr als ca. 20 ms auseinander. Glaube mir, diese Aufgabe macht bescheiden... Du kannst Dir alles mögliche an Übungen konstruieren. Z.B. Nur Anschlagsgeräusch spielen und die Rhythmuspyramide durchgehen, einmal links einmal rechts. Du kannst mit einer DAW beliebig genau heranzoomen. Tu es und sei kritisch. Nicht umsonst wird Dir jeder, der im Tonstudio aufnimmt bescheinigen, dass die Rhythmusgitarren die meiste Arbeit machen.
Grüße Thomas