Ich habe kürzlich das sehr erhellende und erfrischende Buch von Joe Boyd "White Rabbit" gelesen - und kann es an dieser Stelle empfehlen.
Was auf die europäischen Bands in besonderer Weise zutrifft ist folgendes:
Sie adaptierten den amerikanischen Blues, übernahmen dessen Rhythmik, orientierten sich an den Blues-Harmonien und übersetzten dies in Rockformationen und modernisierten das (fettere amps, elektrische Instrumente, "Zerre").
Hört man sich die frühen Beatles und Stones an, so bestehen die aus Adaptionen von Blues und R&B-Klassikern. Daran übten die. Das spielten die jahrelang - und vor allem auch live. In dem oben genannten Buch wird auch geschildert, wie erstaunt und begeistert amerikanische Bluesgrößen davon waren, wie sie in Europa - und besonders England - aufgenommen und gefeiert wurden: deutlich enthusiastischer und kenntnisreicher als in ihrem Ursprungsland - und vor allem von Weißen (während in Amerika der Blues noch lange ein rein schwarzes Publikum hatte - anders als der Folk übrigens) und von der Jugend und nicht von traditionsbewußten älteren Herrschaften.
Man kann sich heute wohl kaum mehr vorstellen, welchen Umbruch, welche Revolution, welche Entfesselung das mit sich brachte: Die Generation der Eltern und Großeltern, die Medien und Multiplikatoren waren komplett fassungslos darüber, wie ein paar schwitzende, jungsche Kerle mit ein paar Instrumenten "ihre" Kinder komplett aus dem Häuschen und in ekstatische Zustände brachte.
Die fühlten sich und ihre Gesellschaftsordnung (die auf Gehorsam, Konsens und Unterordnung beruhte) bedroht - in ihren Grundfesten bedroht. Alle Attribute wurden verteufelt und verurteilt: längere Kotteletten, die Pilzköpfe, keine Jacketts und Krawatten bei den Auftritten, das wilde barbarische Zucken, überhaupt KONTROLLVERLUST - das genaue Gegenteil von Zivilisation und Entwicklung von Affen zum Menschen per se. Nicht zuletzt hatte das auch proletarisch-anarchische Züge: ungebildete, sich um Eigenschaften sich hochdienender, um die Gunst der Oberen nicht buhlender Aufsteiger offensichtlich überhaupt nicht scherende junge Menschen, die vor allem auf den befreiten Körper und den respektlosen Geist setzen ... Himmel hilf!
Die Büchse der Pandorra war geöffnet und man wurde nicht mehr Herr der Lage.
Die eigenen Kids schrieen sich die Seele aus dem Leib und hatten allein beim Anblick von den Jungstars orgasmusähnliche Zustände - bei Konzerten wurden die noch üblichen Sitzmöbel ... hmmm ... obsolet. Neulich habe ich noch einen Bericht über ein frühes Konzert der Stones in der Waldbühne in Berlin gesehen - die haben das Ding richtiggehend zerlegt!
BARBAREI - AGGRESSION - AUFSTAND
Das alles ist heute überhaupt nicht mehr nachvollziehbar. Eminent wichtig ist aber auch der Umstand, dass damals die Musik vor allem noch in Konzerten - also Auftritten - und also live gehört wurde. Platten waren wichtig und wurden diskutiert und so weiter - aber stilbildend waren die Konzerte.
Jede Band hat dann damals diese neue Musik adaptiert - mehr schlecht als recht.
Und die, die das am besten gemacht haben und ein, zwei, drei Skandälchen (Drogen, Exzesse, Live-Auftritte) verbuchen konnten, die einfach das FEELING gut rüberbrachten - die hatten die Nase vorne.
Besonders England bringt bis auf den Tag immer wieder Bands heraus, die vor allem durch ihre Live-Qualitäten glänzen.
Darüber hinaus wurden insbesondere die Bands berühmt, die sich langsam von den Adaptionen lösten und ihren eigenen Stil entwickelten und eine eigene Mischung von "schwarzer" Musik und Rhythmik und "weißer" Melodie und Harmonie.
Und das waren dann eben die Stones, die Who, spätere Prog-Gruppen, Hendrix, Claptain - und auf andere Art und Weise die Beatles (die weniger die rabiate und wilde Seite bespielten als die der netten, aufmüpfigen, eigenwilligen aber eigenständigen und trotz allem schwiegersohnkompatiblen Junioren) ...
Aus Sicht der Europäer - und hier wieder besonders die Engländer - war dann auch von strategischer und elementarer Bedeutung, wer von den heimischen Größen den "Sprung über den Teich" schaffte - oder wer das nicht schaffte ...
Und vielleicht war es eben in dieser gesamten Gemengelage der Verdienst von CCR, den Blues und R&B modern zu adaptieren, nicht allzusehr anzuecken und wild zu sein, aber eingängige und clevere songs mit groove und guten Texten zu verbinden und authentisch und eben amerikanisch rüberzubringen ...
x-Riff