Mal der Versuch eines versöhnlichen Abbinders:
Ich habe mich ja schon in diverse LH/RH-Diskussionen eingeklinkt, weil ich "Betroffener" bin - und kann mich jedes Mal wieder aufregen über den Blödsinn der z.T. verzapft wird. Mir ist es ja eigentlich egal, aber der Gedanke, dass jemand mit für ihn falschen Tipps aus eine Forum "Blödsinn" macht, nervt mich schon. Daher komme ich auch diesmal wieder nicht umhin, ein paar Worte beizusteuern.
Also:
- Es gibt sowohl bei Linkshändern als auch bei Rechtshändern sehr viele gute Gitarristen.
- Es gibt viele Linkshänder, die eine "rechtshändige" Gitarre spielen und damit gut zurecht kommen.
- Es gibt viele Linkshänder, die eine "linkshändige" Gitarre spielen und damit gut zurechtkommen.
- Es gibt sehr wenige Rechtshänder, die eine "linkshändige" Gitarre spielen (aber ein paar gibt's eben doch)
- Dann gibt's auch noch totale "Exoten" (RH-Gitarre andersrum gehalten, Saiten dadurch anders, etc.)
Was sagt uns das? Alles ist möglich.
Aus all diesen Beispielen darf man aber - das ist jetzt mein eigenlicher Punkt - nicht darauf schließen, das jeder Einzelne lernen kann, was "man" oder "der Mensch" oder "die Menschheit" oder "Viele Leute" alles können. Es gibt Beispiele für alles Mögliche - das hilft aber dem Einzelnen nichts.
Oder mal so: Es gibt die 100jährigen, die qualmen wie ein Schlot und ne halbe Flasche Schnaps täglich trinken - das wird aber bei Anderen nicht unbedingt so funktionieren. Es gibt Leute, die fühlen sich nach homöopathischer Behandlung und Feng-Shui-Umstellung ihres Schlafzimmers besser und schlafen besser - aber es gibt auch Leute, die haben egal wann und egal wo einen seeligen Schlaf. Es gibt Leute, die können wirklich leicht rechnen, andere können extrem leicht Sprachen lernen, andere können beides gut. Nur weil ICH immer schon leicht Englisch gelernt habe, heißt es nicht, dass ALLE das auch so können müssen. Oder: nur weil mein Kumpel als "starker" Linkshänder auf einer "normalen" Gitarre spielt, heißt das nicht, dass alle Anderen Leftys dies (leicht) erlernen können.
Und JA, das menschliche Hirn ist verdammt hoch entwickelt. Wenn ganze Regionen absterben (z.B. Schlaganfall) können in vielen Fällen völlig andere Hirnregionen neue Aufgaben erlernen und den Ausfall kompensieren. Ich erinnere mich auch an das Beispiel eines Mannes mit einer großen Wasserblase im Kopf, wodurch das Hirn auf 10% des normalen Volumens reduziert wurde - der hat Familie, Kinder und einen Beruf (wenn auch nicht unbedingt den höchsten IQ). Ging durch die Presse. Würde ich mir deshlab 90% meines Hirns rausschneiden lassen? Eher nicht. Ist das die Normalität? Eher auch nicht. Macht das Spaß? Fragt mal jemanden, der gerade eine Reha nach einem schweren Schlaganfall macht.
Was sagt uns das? Übung macht den Meister, man kann verdammt viel lernen, das Gehirn kann (fast) alles lernen.
Aber: Warum sollte es sich der Einzelne freiwillig schwer machen, weil man doch mit viel Übung mögliche Defizite kompensieren kann?
Auf die Gitarre bezogen: Wenn ich als Linkshänder spontan "nur" mit einer LH-Gitarre besser zurecht komme und RH-Gitarren sich komplett "falsch" anfühlen, welchen sinnigen Grund gibt es dann sich doch für eine RH-Gitarre zu entscheiden? Eigentlich gar keinen. Natürlich, RH-Gitarren sind leichter zu kriegen und in mehr Varianten verfügbar, man kriegt sie günstiger und einfacher gebraucht, kann einfach mal die vom Bruder/Freund/Vater nehmen, etc. - es hat schon Vorteile, wenn man eine "normale" Gitarre spielen kann. Wenn man sich damit aber nicht wohlfühlt bzw. halt mal so rum angefangen hat und jetzt happy ist, gibt es absolut keinen Grund, da wieder "umzuschalten". Man lernt leichter, wenn man sich gut dabei fühlt und Spaß hat, sich nicht jedes winzige Erfolgserlebnis hart erarbeiten muss, wenn alles "stimmt" - und das sind gigantisch wichtige Argumente für den Einzelnen.
Und kommt bitte nicht immer wieder mit den selben abgenudelten Beispielen von großen Gitarristen oder Freunden, die "trotz" Linkshändigkeit "normal" Gitarre gelernt haben - es geht, klaro, sicher, wirklich kein Problem. Es gibt aber eben auch Fälle - und da rechne ich mich dazu - wo es eben so schwierig ist, "andersrum" Gitarre zu lernen, dass der Frust über den winzigen Fortschritt so hoch wäre, dass man eben nicht dabei bleiben würde. Man könnte auch sagen: Ein paar Leute können eben nur so spielen und nicht andersrum (wobei sie vielleicht technisch/mechanisch/etc. schon "könnten", aber eben psychisch/seelisch nicht lang mit Spaß dabei bleiben würden).
Beidseitigkeit bringt natürlich viele Vorteile, aber nicht jeder hat sie. Und gerade im Gitarrenbereich sind die Vorteile recht marginal. Wenn ich z.B. als Fußballer mit beiden Füßen gut schießen/passen/etc. kann, bringt mir das einen deutlichen Vorteil auf dem Platz gegenüber einem, der nur mit links gescheit mit dem Ball umgehen kann. Wenn ich Gitarre sowohl linkshändig als auch rechtshändig spielen kann, dann bringt mir das erstmal gar nix - ich sollte lieber eine "Richtung" konzentriert verfolgen und dabei schauen, dass ich mit beiden Händen in dieser Konfiguration klarkomme. Beide Hände brauche ich ja eh - und was auch immer der Grund dafür ist, dass es bei Saiteninstrumenten eine gewisse traditionelle Aufteilung von Richtung und Händigkeit und Saitenbespannung gibt, einen gewissen Einfluss wird die Händigkeit der Mehrheit der Menschen auf jeden Fall gehabt haben.
Noch ein Meta-Beispiel: Ich spiele Golf, den Schläger hält man mit beiden Händen, das Ziel ist simpel (=Ball ins Loch). Ich kann und will und werde nur mit Linkshänder-Golfschlägern spielen, weil es anders nicht (vernünftig) "geht". So ist das bei der Gitarre eben auch. Das ist FÜR MICH die richtige Lösung.
Die richtige Lösung muss man für sich SELBST finden - wenn's auch für einen Lefty die RH-Gitarre ist, dann bittesehr. Es sollte aber verdammt noch mal jeder hier so viel Weitblick besitzen, das Thema ein wenig differenziert zu betrachten und nicht unbesehen per Ferndiagnose zu sagen "mein Kumpel kann's auch, wirst Du auch können". Denkt dran, dass dies im schlimmsten Fall eine "Musikerkarriere" verhindert - diese "Schuld" will hoffentlich keiner mit sich rumtragen.
Daher: Die Welt ist (wie immer) bunt und hell und dunkel in verschiedenen Schattierungen - nicht "schwarz" oder "weiß", nicht "null" oder "eins". So sind wir Menschen auch. Viele Wege führen nach Rom, jeder muss seinen finden. Wir sind alle einzigartig, es gibt kein globales "richtig" oder "falsch". Wer auf sich und seinen Körper und seinen Kopf und Bauch hört, der weiß schon, wierum er die Gitarre zu halten hat - egal, was ihm das Umfeld so sagt.
Amen.