Dann will ich auch mal (wieder). Wird aber ein bißchen mehr Text.
Das ganze Unheil fing an im Sommer 1983, als ich sieben Jahre alt war (Jahrgang Ende 1975). Im Restaurant, wo meine Mutter arbeitete, traf ich einen Entertainer an einer Technics SX-U90 Professional an. Ich war davon so fasziniert, daß mein Entschluß entgegen allen Bedenken meiner Eltern feststand: Ich will Orgel lernen. Und zwar genau so. Klavier? Ich? Nö, 'ne Orgel kann mehr.
Wir kamen mit dem Entertainer, der noch ein guter Freund der Familie werden sollte, ins Gespräch, und er empfahl uns einen Orgellehrer, der einmal in der Woche zu uns in die Stadt kam. Den suchte ich im Dezember, also noch vor meinem achten Geburtstag, dann erstmals auf. Der Start war nicht einfach, ich war aber interessiert und blieb dran im Gegensatz zu vielen anderen Kindern, die schon nach wenigen Wochen keinen Bock mehr hatten. Weil meine Eltern erst genau das befürchteten, liehen sie mir zunächst eine Bontempi B370. Daß die kein Baßpedal hatte, war egal, denn ich lernte damals, die Orgel wie einen Arranger zu spielen statt mit Handbegleitung und Baßpedal (Begleitautomatiken wurden immer besser und galten in diesem Kreisen als die Zukunft, das führte schneller zu Ergebnissen, paßte besser zu der Musik, die wir lernten, und außerdem wurden die Orla Sonatina P, die die meisten Orgeln im Unterricht stellten, alle ohne Baßpedal aufgebaut im Gegensatz zur einzigen "großen" Elka X 19 T, auf der zu spielen wir alle scharf waren, kaum, daß wir spielen konnten; heute hab ich meine eigene X 19 T).
Warum wir nicht gleich auf Keyboards gelernt haben? Arranger-Keyboards gab es damals noch kaum, und die konnten noch weniger als die kleinsten italienischen Budgetorgeln. Außerdem war damals der Orgelhype noch in vollem Gange, das war eine Zeit, da wußte man noch, daß es auch andere Orgeln gab als Hammond B-3, Vox Continental und Farfisa Compact. Eine große, teure Orgel war damals keine Hammond B-3, sondern eine Wersi Delta. Fragte man jemanden nach einem Orgelspieler, kam nicht "Jon Lord", sondern "Franz Lambert" als Antwort. Er und seinesgleichen waren damals die Speerspitze des seit den 70ern anhaltenden Orgelhype, der gerade in der Provinz eine Unzahl Orgelentertainer schwankender Qualität hervorbrachte, denen wiederum die Hobbyisten auf ihren elektronischen Möbeln in italienischem Walnußfurnier nacheiferten damals standen in deutschen Haushalten wohl mehr Orgeln als Klaviere. (Diese Ära ist es übrigens, die von Mambo Kurt auf die Schippe genommen wird, denn damals wurde fast alles auf Orgeln gespielt, was nicht bei drei auf den Bäumen war.) Und wenn es zweimanualig war und ein Stromkabel hatte, war es eine "Hammondorgel", egal, wer das Ding wo gebaut hatte mit was für Technik drin siehe auch Tempotaschentuch, Pampers und Nutella.
Alleinunterhalter spielten damals erstens Orgel, weil es noch keine Entertainer-Keyboards gab (erst später sollte bei Yamaha das erste ernstzunehmende seiner Art, das PS-6100, vom Stapel laufen), zweitens, weil Orgeln auch optisch was hermachten, und drittens weil wegen Lambert, Zehnpfennig, Prina, Wunderlich etc.
1984 hatte ich bewiesen, daß ich es wirklich ernst meinte und etwas auf dem Kasten hatte. So kam ich dann an meine erste eigene Orgel: die damals frisch auf den Markt gekommene Farfisa Silver 404, die erste programmierbare italienische Orgel überhaupt und die erste Italienerin mit Schlagzeugsamples. Die hatte zwar keine Massenspeicher, und speicherbar waren nur eine maximal zweitaktige Akkordsequenz, ein Rhythmus (und da waren auch nur die acht Drumsounds programmierbar, die Begleitung mußte von einem Preset kopiert werden) und drei Gesamteinstellungen, aber kaum daß ich was zum Frickeln unter den Händen hatte, frickelte ich. Mit acht Jahren. Trotz allen Frickelns (oder gerade deswegen) drehte ich auf der Silver richtig auf, auch wenn ich nie eins der "klassischen" Orgelarrangements spielte ich hab nie "Tico Tico" gespielt, auch nicht das mir statt dessen nahegelegte, noch härtere "Delicado".
Überflüssig zu erwähnen, daß ich eine Orgel selten wie eine Orgel klingen ließ. Zu den ersten Liedern, die ich noch auf der Bontempi spielte, zählte neben dem in der küstennahen schleswig-holsteinischen Provinz unvermeidlichen "La Paloma" und dem ebenso unvermeidlichen "Schneewalzer" diverse damals aktuelle Schlager, und von denen gab es natürlich keine Klaus-Wunderlich-Arrangements, also hielt ich mich an das, was ich im Radio hörte. Hörte, weil es nicht lange dauerte, bis ich anfing, Stücke nach Gehör zu spielen. Irgendwie wurde ich damals auch jazzaffin, aber Jazz auf einer Orgel war damals nicht Jimmy Smith auf einer B-3, sondern der Versuch, mit einer Analogorgel dem Glenn Miller Orchestra nachzueifern, also alles rein, was nach Blechbläsern klang, und das waren keine der drei, vier Sinuschöre. Jazz = Swing = Big Band = viele Hörner.
Nach ein paar Monaten durfte ich übrigens schon für besagten Entertainer das "Vorprogramm" spielen; mittlerweile hatte er eine SX-C600, auf der ich mit Technics angefixt wurde.
Noch in dem Jahr dürften die ersten Keyboards eingetrudelt sein. Die hatten den Vorteil, daß sie gegenüber selbst zierlichen Comboorgeln wie Orla Sonatina P nochmals kleiner und leichter waren (Kunststoffgehäuse und Decke drüber vs. tolexverkleidetes Preßspan- oder Multiplexgehäuse und geschlossenes Case). Zwischenzeitlich tauchten zwei Godwin-Combos auf, aber so allmählich breiteten sich Keyboards aus. Das Orgelstudio hatte sich mit ein paar der damals aktuellen GEM-Karomodelle eingedeckt, darunter drei Keyboards. Die fand ich damals eher gewöhnungsbedürfting und bevorzugte das kurz darauf angeschaffte einzige JVC KB-800 (Folientaster, umfangreich programmierbares Rhythmusgerät, reichlich Klangpresets).
1985 wurden die Keyboards noch mehr, etwa die TK-Modelle von Farfisa. A propos, die Silver begann zu zicken. Sie mochte es nicht, wenn Staub in die Tastaturen kam; überhaupt waren die Manuale sehr anfällig. Mehrmals mußte der Inhaber des Orgelstudios, über das ich den Unterricht nahm, persönlich anrücken und die Tastenkontakte in Ordnung bringen. Zweimal nahm er sie gleich mit für eine eingehendere Reparatur. Mittlerweile gab es neue Orgelmodelle von Farfisa die F 200/300, von denen ich letztere während einer Reparaturpause als Ersatz bekam, die ziemlich back to the roots gingen mit ihren Wippschaltern und kompletten Fehlen von Computerisierung, aber auch die inzwischen noch weiter digitalisierten TS-Orgeln, ich hatte zeitweise eine mächtige TS 900 als Ersatz. Die bekam ich dann auch 1986 hingestellt, als die Silver vollends abrauchte. (Sie wurde wieder instandgesetzt, ich sah sie Jahre später wieder in Betrieb, aber da gehörte sie uns schon lange nicht mehr.)
Meanwhile hatte ich orgelmäßig zwei Objekte der Begierde. Das eine war die Elka EP-12, deren Comboversion X-30 die altehrwürdige X-705 beerben sollte. Die war zwar eine Frickelmaschine vom Feinsten für die damalige Zeit, aber vom Sound her hatte sie keinen Stich gegen die damaligen halbdigitalen Technics-Modelle, die sich nicht nur in Form der SX-C600 des Entertainers manifestierten, sondern besonders in Form der schweren SX-G5 (nachträglich aufgerüstete SX-G5PP) des Orgelstudios, die ich versuchte, unter die Hände zu bekommen, wann immer ich mal im Orgelstudio oder auf einem Konzert des Orgelstudios war. Teilweise samplebasiert (die hat aber auch Samples), teilweise analog-subtraktiv und der opulenteste japanische Stringer überhaupt, außerdem ein interaktiv zufallsgesteuertes Rhythmusgerät, neben dem sogar KARMA zu verblassen droht.
Ihr könnt euch sicher meine Überraschung vorstellen, als ich zu Weihnachten 1986 die noch fast neue G5 aus dem Orgelstudio bekam. Kurz darauf hatte ich Geburtstag, zu dem es Accessoires gab: Mikro, Mikroständer und Digital Disk Recorder, also ein spezielles Floppy-Laufwerk, auch wenn ich das zunächst noch nicht viel einsetzte. Wie gut, daß man die G5 (im Gegensatz zu ihrer großen Schwester G7) mittschiffs umklappen kann, denn fortan bestand ich bei jedem Orgelkonzert darauf, daß die G5 mitkommt als ich die endlich mein eigen nannte, konnten mir die GEM-Orgeln und auch die riesige weiße Lowrey Contempo 80 (Rauschabstand gefühlte 5 dB) gestohlen bleiben. Die Keyboards auch. Bei einem Konzert in meiner Heimatstadt drängte gar eine wohl etwas bekanntere Orgelspielerin darauf, auf meiner G5 zu spielen, weil ich die mit Abstand bestklingende Orgel mitgebracht hatte und sie wie ich den Stringensembles verfallen war.
Das heißt, im Jahr darauf nahm Technics, die den halbdigitalen Orgeln gerade volldigitale Nachfolger brachten (die ich kennenlernen durfte in Form von SX-C800 und SM-AC80 sowie einigen kleineren Modellen), die Herausforderung von Yamaha an und brachte das voll entertainertaugliche SX-K700 auf den Markt mit einem bisher noch nie dagewesenen Sound. Nicht so fett wie die halbanalogen Orgeln, aber realistischer, weil 100% samplebasiert, und zum Basteln lud es auch ein. Ich sah es erstmals bei einer Präsentationsveranstaltung bei uns im Ort. Noch am K700 sitzend wurde ich von meinem Musiklehrer für die Schulband rekrutiert, in der er Bandleader war.
Die war ein kruder Haufen sondergleichen: zwei Schlagzeuger, ein Bassist (der Bandleader), keine Gitarre, mit mir zwei Tastenleute, zwei Trompeten, eine Posaune (das war selten, daß die Band mal eine Posaune hatte, damals hatte sie eine), ein Akkordeon und drei Xylophone, deren Spieler teilweise auch Blockflöte spielten. Das klang so, wie es sich liest. Die eine Keyboarderin brachte ihr eigenes kleines Yamaha mit, ich spielte auf dem PS-6100 des Bandleaders, der neben seiner Tätigkeit als Lehrer auch Tasten-Entertainer war. Das heißt, weil wir für Akkordbegleitung schlecht aufgestellt waren, landete ich schon beim dritten Lied (mit meinem Einstieg baute die Band gerade ein ganz neues Repertoire auf) als Rhythmuspianist am schuleigenen Feurich-Flügel. Mit zehn Jahren war ich das jüngste Bandmitglied und sollte es auch lange bleiben.
Trotzdem fing ich wohl irgendwann an, den Rest der Band an die Wand zu spielen. Ich brachte eine für den Bandleader unvorstellbare Fähigkeit mit, nämlich das Spiel ohne Noten. Solange ich in der Band war, war ich außer den Schlagzeugern der einzige, der ohne Noten spielen konnte. Wie gesagt, der Chef konnte sich das die ersten Jahre (!) nicht vorstellen, daß das überhaupt geht, und so hab ich, um seinen Seelenfrieden herzustellen, pro forma Noten aufgestellt; daß ich die gar nicht beachtete, bemerkte er nicht. Derweil tuteten die posaunenchorgewöhnten und somit sehr soft und flächig spielenden Blechbläser unter ihren Notenpulten durch, weil sie ja über ihre Instrumente hinweg die Noten lesen mußten... Aber gut, das war die einzige Band einer Schule mit gut 400 Schülern, die somit auch Sextanern und Anfängern an den Instrumenten zur Verfügung stand. Und wir waren so tiefe Provinz, daß wir erst fünf Jahre später anderen Schulbands begegnen sollten und hören sollten, wie die spielen.
Für meine G5 wurde die Luft inzwischen dünner, denn nicht nur kaufte das Orgelstudio jedesmal, wenn Technics einen neuen großen Arranger herausbrachte (SX-K700, SX-AX7, SX-KN800...), ein Exemplar, sondern das Ding wurde auch immer mit in unsere Stadt gebracht, und ich war derjenige, welcher. Die Spitzenarranger von Technics waren nämlich mittlerweile zu regelrechten Workstations geworden, nachdem das AX7 sich erstmals als voll editierbarer Synthesizer-Arranger versucht hatte. Das KN800 kreuzte schon fleißig in den Gewässern der Korg M1, ohne deren Bühnen- und Studio-Credibility zu haben, mit vollem Synthesezugriff (auch wenn die nicht sehr mächtig war), 16 speicherbaren Sounds und Achtspursequencer, das KN1000 legte noch eins drauf.
Zum mittlerweile Keyboardunterricht ging ich praktisch nur noch, um mal auf einem modernen Gerät spielen zu können, das meinen Bedürfnissen näher kam als die erst wenige Jahre alte und seinerzeit horrende teure Orgel in unserem Wohnzimmer. Das wollte und konnte ich meinen Eltern aber nicht ins Gesicht sagen.
In den 90ern standen gleich mehrmals die Zeichen auf Veränderung. Ich hatte angefangen, mich verschärft für elektronische Musik zu interessieren. 1991 wurde ich unwiderruflich zum Fan von Jean Michel Jarre. So kam natürlich auch das Verlangen auf, ihn nachzuspielen. Erst mehr als zehn Jahre später sollte ich versuchen, ihn auf den Technics-Orgeln der 80er zu spielen, und auch das nur, um zu beweisen, daß es geht; damals stand mir mehr der Sinn nach Realismus, sofern ich den als Teenager auf einer Entertainerhupe erreichen konnte. Erste Versuche kamen schon auf dem KN1000 zustande, aber erst mit dem KN2000 mit grafikfähigem Display, 16fach-Sequencer und noch ausgefuchsterer Begleitung wurde es richtig interessant.
Die Schulband fiel 1990 bei gemeinsamen Konzerten mit Bands zweier anderer Schulen im Vergleich mit diesen durch erwartungsgemäß, müßte man eigentlich sagen, aber wie gesagt, keiner von uns hatte vorher irgendeine Vergleichsmöglichkeit, und man ging wohl davon aus, auf ähnliche Kapellen zu treffen wie wir selbst. Daher begann 1991 ein ziemlich radikaler Umbau, der 1992 dazu führte, daß die Zahl der Bläser auf neun anstieg (vier Trompeten, fünf Saxophone; die Posaunen übernahm ich) und das Akkordeon als letztes "leises" Instrument Bestandsschutz genoß, aber keine Blockflöten mehr in die Band gelassen wurden, geschweige denn Xylophone. Unser musikalisches Ziel wandelte sich in der Zeit nach übermäßigem Blues-Brothers-Genuß von "was immer der Bandleader vorlegt" zu Rhythm & Blues der Bandleader träumte dagegen von einer Big Band.
Solo schaffte ich es, im schulischen Rahmen einige wenige Auftritte zu landen mit Jarre-Covers auf dem KN2000, dazu ein Miniauftritt mit Homestory für eine Reporterin. Der kam zustande, nachdem zwei Zeitungen über eine Musikveranstaltung berichtet hatten, auf der ich auftrat, und über meine Darbietung einen dermaßen hanebüchenen Schwachsinn geschrieben (und meine eigenen Worte teilweise ins Gegenteil umgekehrt) hatten, daß ich beiden einen gepfefferten Leserbrief schrieb. Die Reporterin einer überregionalen Tageszeitung wollte daraufhin ein Interview mit mir.
Die Auftritte wurden allerdings schwieriger, als das KN3000 herauskam. Viele KN2000-Benutzer stiegen um, mich schränkte es aber eher ein, weil es noch mehr auf Entertainer geeicht war als das KN2000, es wurde zunehmend schwierig, ein Leih-KN2000 zu bekommen, und angesichts der immer noch bei uns im Wohnzimmer stehenden, großen und teuren Orgel verlor ich nicht mal einen Gedanken daran, ein gebrauchtes KN2000 zu kaufen, das damals immer noch mehrere Tausender gekostet hätte.
Nach weiteren gemeinsamen Auftritten mit anderen Schulbands 1992 wir wurden sogar von einer dortigen Schulband ins Sauerland eingeladen, wo einer unserer zwei Auftritte zu einem mittelschweren Fiasko wurde wurde beschlossen, daß die bekanntlich mittlerweile mit einer stattlichen Bläsersektion ausgestattete Schulband nicht länger instrumental weitermachen konnte und Gesang brauchte. Das sah 1993 erst noch gut aus, dann aber machte der Bandleader den Fehler, wieder Anfänger in die Band zu lassen, was deren Qualität ebenso zusetzte wie der Motivation einiger Mitglieder. Nachdem 1994 die komplette Rhythmusgruppe minus Bassist einen heißen Sommertag lieber am Strand als im Probenraum verbrachte, löste der Bandleader die Band mit umgehender Wirkung auf. Soweit ich weiß, war ich von allen Bandmitgliedern am längsten dabei. Die Nachfolgeband, die einige Zeit später gegründet wurde, bestand zu mehr als der Hälfte aus Unterstufenschülern und Instrumentenanfängern, weshalb ich da der erste war, der wieder ausstieg.
Nach der Schule kam 1997 die Ausbildung. Nein, nichts Musikalisches. Außerdem zog ich dafür in eine völlig andere Stadt. Das bedeutete auch das Ende des Keyboard"unterrichts", bei dem ich schon seit Jahren nichts mehr lernte, und das wiederum bedeutete den weitgehenden Abschied vom Keyboardspiel. Das riesige Musikmöbel wollte ich nicht mitnehmen. Ich ging höchstens ab und zu mal in ein lokales Musikgeschäft, das damals sogar noch Synthesizer hatte; dort stieß ich unter anderem auf eine auf einen Gesamtpreis von über 9000 Mark aufgebohrte Trinity (herrje, hatte die ein langsames Display) und den ersten Virus.
In der Ausbildung verdiente ich aber erstmals mein eigenes Geld und beschloß, mir davon etwas Elektronisches mit Tasten zuzulegen, um meinem Hobby weiter nachgehen zu können. Ich visierte zunächst tatsächlich das im Preis weiter sinkende KN2000 an. Ein ehemaliger Schul- und Bandkollege aber sagte, was ich brauchte, wäre eher eine Workstation, beispielsweise eine Roland XP-80. Ein anderer Schulkollege hatte sich selbst eine zugelegt als Klavierersatz. Ich testete sie bei ihm an und befand sie als gut. Zunächst einmal aber hatte ich nicht genügend Geld für eine XP-80, während diese massenhaft in Kleinanzeigen auftauchte, und als ich 1999 endlich Geld zusammen hatte, gab es fast keine Gebrauchtangebote mehr. Ich malte mir aus, wie es wäre, wenn besagter Schulkollege mir seine verkaufen würde.
Irrerweise passierte dann genau das. Ich war zu Besuch bei meinen Eltern, als die mir mitteilten, jemand, den sie nicht kannten, hätte auf ihren Anrufbeantworter gesprochen und wollte mit mir sprechen. Es war der Schulkollege, er wollte seine XP-80 verkaufen (als Piano war das Ding einfach Overkill) und hatte von unserem gemeinsamen Kollegen gehört, daß ich eine suchte. Ich bekam noch etwas Geld von meinen Eltern dazu (ja, die waren großzügig, wenn's um meine Musik ging) und kam so an mein erstes Keyboard (um die beiden Orgeln nicht mitzurechnen) und meinen ersten Synth. Genau dieses Exemplar steht heute im Bandprobenraum.
Auf der XP-80 machte ich da weiter, wo ich auf dem KN2000 aufgehört hatte: Jarre. Es war schon etwas anders ohne Rhythmusgerät und Begleitautomatik, Patterns konnte sie trotzdem, und die Soundmöglichkeiten waren sowieso eine ganz andere Preisklasse, auch wenn ich noch weit von einer Replica entfernt war. Jarre ging sogar recht gut auf der XP-80, nur an den Unmengen an gleichzeitigen Spuren und Hüllkurven am Ende von "Equinoxe 4" verschluckte sich die Klangerzeugung. In der zweiten Hälfte 2000 hatte ich ein paar Auftritte bei einer monatlich stattfindenden "Offenen Bühne" nebst Jam Session, wo wirklich querbeet gespielt und gesungen wurde, von Jarre bis Bob Dylan, von Hannes Wader bis zu den Sisters of Mercy.
2001 kam ich nach der Ausbildung nach Hamburg, wo ich einen Arbeitsplatz gefunden hatte, für den ich mich sogar mit zu geringer Gehaltsforderung beworben hatte. Mehr Geld hieß mehr Gear und mehr Gier, was ich in zwei Richtungen auslebte.
Zum einen war klar, daß ich nur mit der XP-80 nicht weit kommen würde; es mußten mehr Synthesizer her, um ihre Klangerzeugung zu entlasten, am besten etwas Virtuell-Analoges, um bessere Analogsounds zu bekommen. 2002 schlug ich ein erstes Angebot für einen Virus b anläßlich der Einführung des Virus C aus Geldmangel aus. Dafür bekam ich 2003 bei meinem Freundlichen den Vorführ-Novation KS-Rack zu zwei Dritteln des eigentlichen Ladenpreises. An dem Tag fielen mir stapelweise Clavia Micro Modulars auf, die interessierter Käufer harrten. Ich dachte mir, jetzt, wo eh alle Reaktor nutzen, die einen Modularen wollen, bleiben die da länger liegen, erbarmte mich einer der kleinen roten Kisten (kostete den Differenzpreis des KS-Rack) und las erst auf dem Weg wieder nach Hause im Handbuch, was ich mir da für ein Monster zugelegt hatte. Später im selben Jahr wurde die XP-80 um drei damals stark verbilligte Expansion Boards aufgerüstet.
Die andere Richtung waren Orgeln. Ich fing an, mich wieder für die Orgeln aus meiner Vergangenheit zu interessieren. So ließ ich mir erst eine Technics SX-C700 nebst externem Diskettenlaufwerk von einem anderen Enthusiasten vorbeibringen, der eh nach Hamburg kam (und das doch ziemlich mitgenommene Instrument zu Hause gründlich gereinigt hatte), transportierte dann zusammen mit einem ehemaligen Ausbildungskollegen eine Elka X 19 T mit dem Zug aus Hannover nach Hause und kaufte mir als drittes in Berlin einen Technics SM-AC80, den ich alleine transportieren konnte.
Auch die Synthsammlung wuchs weiter. 2005 erbuchtete ich in Hamburg eine seltene Kurzweil K2000 V1, die ein Vorbesitzer schon zum Sampler aufgerüstet hatte, und die bei mir noch weitere Optionen bekam. Trotzdem kam musikalisch auf dem anwachsenden Equipment nichts Fertiges zustande.
Im Sommer 2007 entdeckte ich eine interessante Annonce bei meinem Freundlichen: Eine "80er-Jahre-Band" suchte einen Keyboarder. Ich rechnete mit viel Synthpop, rief an, verabredete eine erste gemeinsame Probe und fand mich wieder in einer stilistisch eher gemischten Band, die sich auf "Tanzbares aus den 80ern" zu einigen versuchte der Sänger wollte Rock, vor allem Deutschrock und NDW (wir waren wahrscheinlich Hamburgs einzige Band, die Heinz-Rudolf Kunze coverte), die anderen wollten mehr Richtung R&B, Soul, Funk und im Grunde genommen Disco, auch wenn sie das bis heute so nicht aussprechen.
In einer Band zu sein, hatte vier Vorteile. Erstens: Ich machte wieder mehr Musik. Zweitens: Zur Abwechslung mal wieder mit anderen Leuten zusammen. Drittens: Vielleicht sollte es sogar Gigs geben. Und viertens: Ich hatte einen Grund, noch mehr Gear zu kaufen. Nur mit der XP-80 kam ich nicht aus, also zog der Kurze in den Probenraum mit ein, wo ich feststellte, daß der Digitech-Effektchip und somit auch die Main Outs abgeraucht waren. Also wurde eine K2000RS angeschafft. (Beim einzigen Gig mit diesem Konzept hatte ich aus optischen Gründen beide Kurze dabei.) Und weil ich keine Lust hatte, die XP-80 immer in der S-Bahn hin- und herzuschleppen, kaufte ich TritonFreak seine ab für zu Hause. Da stehen jetzt übereinander zwei der jeweils frühesten Exemplare zweier Workstation-Klassiker: Die K2000 ist noch von 1991, denn die V1 wurde nur ein Jahr lang gebaut, die XP-80 hat sogar abzüglich der vorausgehenden Nullen eine zweistellige Seriennummer.
2008 kam erst aus der Bucht ein Access Virus b dazu, dann anläßlich einer Synthesizerveranstaltung bei meinem Freundlichen ein MicroKorg ("The funkiest knob on Earth" paßte gut zu Funk), auch deshalb, weil ich aus unerklärlichen Gründen immer noch keinen MicroKorg hatte.
In dem Jahr drohte die Band, als Gemischtwarenladen außer Kontrolle zu geraten, nachdem Earth, Wind & Fire auf Extrabreit trafen. Der Leadgesang wurde ausgewechselt, die Band bekam Anfang 2009 eine Sängerin, außerdem wurde das Konzept (jetzt praktisch nur noch Soul, Funk & Co.) und zum zweiten Mal (noch dazu innerhalb von drei Jahren) der Name der nunmehr seit 30 Jahren existierenden Band geändert. Der durch die Konzeptbereinigung bedingte Kahlschlag im Repertoire wurde aufgefüllt, und die Sängerin selbst zog 2009 den ersten Gig mit dem neuen Konzept an Land. Bis auf einen Drummerwechsel 2011 hat sich nichts weiter geändert.
Auch mein Heimsetup kommt nach diversen weiteren Anschaffungen (außer Peripherie in der Reihenfolge Akai Miniak, Akai S5000, Akai MPC2500, Roland D-550, Yamaha TX802) so ganz allmählich in eine benutzbare Form, die bald wohl auch Aufnahmen zulassen wird.
Martman