Ich glaube, das Problem liegt im Lebensgefühl. Und jetzt nicht am täglichen. Das Problem ist. Was ist ein deutsches Lebensgefühl? Gibts das in der Jugend, zu der ich schließlich auch gehöre? Unter den meisten Leuten nicht. Und ums klarzustellen gehts mir jetzt nicht um krasse Deutschtümelei. Aber erklär mal einem 15-20 Jährigem, dass noch irgendeine Form von Energie in diesem Land steckt, die dem schnellen, urbanen, meist cocacolisierten Lebensstil vorzuziehen ist. Diese Energie/Stimmung wäre dann nämlich das, was in Volksliedern ausgedrückt wird.
Natürlich hast Du Recht damit, wenn Du schreibst, dass heute Jugendliche in Deutschland völlig anders aufwachsen und sozialisiert werden als vor 100 oder 200 Jahren.
Und dass sich das auswirkt auf das reale Leben, sowohl materiell als auch auf die Herausbildung des Lebensgefühls und der damit verbundenen Emotionen, kann keiner ernsthaft bestreiten. Das ist aber in unserer heutigen globalen Welt mMn in allen westlichen Ländern nicht wesentlich anders.
Ich halte dabei auch ein typisch deutsches Lebensgefühl, das nach Vereinigung oder "Deutschtum" ruft, für längst überholt und überflüssig, denn wir leben nicht mehr in der Zeit des Vormärz, als dieses berechtigte Bestrebungen waren.
Allerdings gibt es Stoffe und Themen in den Volksliedern, die damals wie heute aktuell waren und sind und die so voller menschlicher Emotionen stecken, dass sie geradezu nach Energie und Antrieb schreien. Themen wie Freiheit, Trauer, Liebe sind nach wie vor existenziell für alle Menschen, egal welchen Alters.
Nur die Art und Weise, wie man zu verschiedenen Zeiten diese Stoffe musikalisch ausdrückt, sind naturgemäß unterschiedlich. Daher kann man auch nicht ernsthaft erwarten, dass heute Volkslieder in der "Machart" neu entstehen wie vor 200 Jahren.
Dass aber Musiker, egal ob aus der "klassischen" oder der "populären" Musikszene, Volkslieder bearbeiten, verarbeiten, sich eigene Versionen "basteln", sich von bestimmten Liedern inspirieren lassen, das gibt es auch heute noch, wie in einigen Beiträgen vorher bereits geschrieben wurde.
Mag sein, dass das in anderen Ländern wie Irland oder Spanien häufiger der Fall ist und dass da diesbezüglich bestimmte Traditionen lebendiger sind als in unserem Land, aber tot sind deswegen die Volkslieder unseres Landes für mich nicht.