Ebbend, das Publikum hört den Sound den der Mann am Mischer macht
nicht das was oben auf der Bühne gemacht wird ...
Um so erstaunlicher, daß gerade auch im Tastenbereich heute noch Vintage-Equipment auf die Bühne gewuchtet wird, das nicht nur oft pro Stück schwerer ist als eine aktuelle Workstation, ein aktuelles Stagepiano oder gar eine aktuelle Tischhupe, und im Ganzen mehr Platz wegnimmt, weil die Geräte spezialisiert sind, sondern das auch noch einen erhöhten Wartungsaufwand hat.
In den 70ern oder den frühen 80ern war das ja noch einzusehen. Für Hammondsounds brauchte man eine B3 und ein Leslie, das dann abmikrofoniert wurde. Rhodes-Sounds bekam man auch nur aus dem Rhodes, das idealerweise auch über einen Amp lief (mußte aber nicht). Für Streicher hatte man ein Solina, das dann auch nix anderes konnte, oder gar ein Mellotron, das immerhin drei oder sechs Sounds hatte, aber nirgendwo draufgestellt werden konnte. Wenn man Funk spielte, mußte auch noch ein Clavinet mit. Für andere Sachen gab's dann mindestens einen Synthesizer. Wenn man in der Zeit vor speicherbaren/mit Presets ausgestatteten Synths mehrere Sounds brauchte bzw. sich einen Synth mit Speicherplätzen nicht leisten konnte, während des Gigs aber keine Zeit hatte, am Vollanalogen ohne Hörkontrolle einen ganz neuen Sound einzuschrauben, brauchte man sogar mehrere Synths. Multisynthesizer mit mehreren Soundbereichen (Synth und/oder Bläser und/oder Streicher und/oder Orgel) wurden nur sehr selten ihrem ursprünglich gedachten Verwendungszweck entsprechend eingesetzt. Wenn schon Transistororgeln nicht als Hammondersatz akzeptiert wurden, wie sollte das dann mit Kisten wie dem Realistic MG-1 oder den diversen S.I.E.L.-Italosynths klappen? Last but not least hatten Keyboarder damals noch keine Submixer. War für den Toni aber auch nicht ganz unpraktisch, weil er wirklich an jedem Fader genau 1 Instrument mit 1 Soundcharakter und oft genug genau 1 Sound hatte.
Und heute? Heute kann man das alles mit jeder Workstation machen und noch viel mehr. Ganze Orchester, wenn's sein muß, und ganze Lagerhallen voll Synthesizern. Wenn der Bühnensound wirklich Wurscht ist, kann man theoretisch alles mit einem, was weiß ich, PSR-1500 abdecken. So manchen Festzeltgig könnte ein Keyboarder in einer Nicht-Top40-Nicht-Gala-Band wohl auch auf einem Synth aus den späten 80ern (D-50, M1 etc.) bedienen, wenn das damals schon ging. Zu sagen, der Hammond- oder Rhodessound der $TOPWORKSTATION ist nicht so gut wie der des $STAGEPIANO, ist Jammern auf höchstem Niveau. Ein Stagepiano und/oder eine Comboorgel neben der Workstation zu betreiben, obwohl die Workstation auch schon gut mit E-Piano- und Orgelsounds bestückt ist, ist doch eigenlich schon Spielen für sich selbst, weil das im Publikum eh kaum jemand merken wird, jedenfalls nicht in dem Publikum, für das die meisten hier spielen würden.
Und trotzdem gibt's heute noch Wahnsinnige, die sich für den oberamtlichen Sound ihr Rhodes auf die Bühne mitnehmen trotz labbriger Tastatur, und obwohl sie so schon permanent am Schrauben und Löten bzw. -Lassen sind, weil so ein Rhodes ja nicht jünger wird. Vielleicht sogar noch ein Wurlitzer daneben, weil man ja auch was von Supertramp spielt. Oder die sich von einem halben Dutzend Roadies (oder mit Hilfe aller Bandkollegen) die B3 und das Leslie 122 auf die Bühne wuchten ungeachtet der Tatsache, daß eine B3 in annehmbaren Zustand etliche Tausender kostet und Tonewheelorgeln nur aufrecht stehend transportiert werden dürfen, damit das Öl nicht raussifft, was mit den Beinen der B3 nicht immer einfach ist (wer heute eine B3 spielt, legt Wert drauf, daß sie nicht gechoppt ist).
Meines Erachtens liegt das nicht immer nur am Publikum, wenn man denn ein entsprechend feinbeohrtes und anspruchsvolles (und eine entsprechende PA) hat. Letztlich will man als Musiker ja nicht nur "abliefern", so daß das jeweilige Publikum zufrieden ist (und zwar gerade eben, um ja keinen unnötigen Mehraufwand zu betreiben), sondern mit sich selbst und seinem Tun zufrieden sein.
Martman