FretboardJunkie
Helpful & Friendly User
Tach!
Tone vs. Technik? Schöne Diskussion. Ohne Technik kein Ton. So einfach ist das.
Gestern Nacht lief auf Arte eine Doku über '67 Flower Power Zeit. Dazu jede Menge Musik aus dieser Zeit. Greateful Dead, The Doors, Jefferson Airplane, Pink Floyd in Urbesetzung, Janis Joplin, Love, Hendrix und wie sie nicht alle hießen. Und ich muss sagen, dass mir diese Musik nach kurzer Zeit auf die Nüsse ging. Es war zwar ziemlich frei und experimentell, zum damaligen Zeitpunkt nie gehört. Aber was mich nervte war diese ungehemmte, aber ungelenke und ungelenkte Kreativität. In den endlosen Stücken ergaben sich manchmal musikalische Bilder, die dann sofort wieder zerfielen, ohne dass sie nochmals auftauchten. Und oft hatte ich den Eindruck, dass es schlichtweg Zufallsprodukte waren (die dann in der Folge dem zahlungsfähigem und von vornherein geneigtem Publikum als "göttliche Eingabe" verkauft wurde). Und sie nahmen es ab, wie schon immer die wenigsten in der Lage zu sein scheinen, mehr als eine einzige Ebene gleichzeitig wahrzunehmen.
So.. und hier sind für mich Batio, Cooley und viele andere Eindimensional-Shredder gut aufgehoben. Es wird nur eine einzige Ebene gleichzeitig bedient. Und zwar auch noch eine sehr spezielle. Nämlich die Sensationslust derer, die wissen, dass das, was diese Jungs spielen, sauschwer in der technischen Ausführung ist. Nur gehört das für mich nicht in den Bereich "Musik", sondern maximal in die "Etüden"-Insiderecke einsortiert.
Vai, Malmsteen, Satch hingegen bedienen immer mehrere Ebenen. Einseits gibt es in ihren Stücken immer einen Spannungsverlauf, andererseits ist fast jeder Ton von verschiedenen Seiten aus betrachtbar und hält immer Überraschungen bereit. Kennt ihr das Prinzip der "rotierenden Aufmerksamkeit" beim Üben? Das bedeutet, dass man ein und dieselbe Tonfolge unter verschiedenen Gesichtspunkten übt, Time/Microtime, Klangmodulationen, Artikulation usw. Und wenn man mal die rotierende Aufmerksamkeit beim Hören auf Batio einerseits und Malmsteen andererseits anwendet, dann wird man bei Batio nicht allzu viel entdecken. Man kann eigentlich nur eine Checkliste abhaken:
Töne sauber getroffen? ja
Time sauber? ja
Irgendwelche Fehler entdeckt? nein
Bei Malmsteen hingegen z.B. klingt kaum ein Ton wie ein anderer und selbst in den schnellsten Passagen ist selbst dann noch absolut im Time, wenn er mit freiem Time spielt. Das bedeutet, dass er sein Time nicht an der einzelnen Note aufhängt, die wie Elemente mit exakt definierter Länge aneinander gereiht eine Zeitskala ergeben, sondern er jongliert mit mindestens zwei Ebenen parallel: Dem Songablauf und dem damit verbundenem Time und mit seinem eigenen Spiel. Hinzu kommen weitere Ebenen: Eine klangliche Ebene, jeder Ton ist kontrolliert. Und er schafft es zudem auch noch, vor oder hinter dem Beat zu spielen. Das gleiche gilt auch für Vai, für Satch, oder für Lukather, oder Robben Ford, oder auch Thomas Blug, Eddie van Halen... oder, oder, oder. Es gilt nicht für Rusty Cooley und auch nicht für Michael Angelo Batio. Auch nicht für Buckethead. Auch bei Paul Gilbert habe ich es noch nicht gehört (ich finde seine Phrasierung übrigens noch ziemlich ausbaufähig). Und irgendwie hatte ich immer schon den Eindruck, dass man Petrucci sagen sollte, dass seine geheimsten Befürchtungen wahr sind (ich tue es aber nicht )
Mal ein Glissando-Problem: Wie z.B. macht man es, dass man ein Ganzton-Bending ganz langsam über zwei Takte zieht, ohne dass es schief oder langweilig klingt, sondern geil? Bei Malmsteen habe ich es schon gehört, bei Satch und Vai auch. Ist vielleicht sogar eine Art ultimativer Test ..denn das kann nur dann gelingen, wenn man innerlich jederzeit absolut präsent ist und genau weiß, wo man gerade ist. Die Spannung muss man jederzeit in allen Nuancen spüren können. Zudem muss man auch voraus planen, denn exakt zur richtigen Zählzeit muss das Bending "aufgelöst" werden, d.h. dass zu einem definiertem Zeitpunkt im Timegerüst ein a' dann genau 440 Hz haben muss. Dafür braucht es schon feine Ohren und mächtig viel Intuition... A propos, ich glaube, Malmsteen ist Absoluthörer. Aber wenn man versucht, es bewusst zu steuern, geht es mit größter Wahrscheinlichkeit in die Hose. Das kann nur intuitiv angegangen werden.
Vorgestern lief im WDR Fernsehen "Zimmer frei" mit Götz Alsmann und Cristine Westermann, Gast war Sarah Connor. Bei ca. 12:10 singt sie, wie immer bei Zimmer frei, spontan und sessionmäßig
http://www.wdr.de/tv/zimmerfrei/sendungsbeitraege/2010/connor/sarah_connor.jsp?sdatum=2010-11-21
(sorry, das mit dem Vorspulen klappt bei Youtube eindeutig besser als bei dieser Flashvideo-Lösung des WDR.. wenn das Video gestartet ist, gibt es aber den rechts "Kapitel"-Bereich, der hilft ein wenig.. unter "Talk und Hausmusik")
Eine unfassbar gute Musikerin, diese Sarah Connor!! Jederzeit präsent, man weiß nie, was sie als nächstes machen wird. Sie nimmt nebenbei das Heft in die Hand un agiert/reagiert mit Götzi in einer Weise, wie man es nur selten sieht bzw. hört. Wer käme hierbei auf die Idee zusagen, dass sich Technik, Ton und Gefühl gegenseitig ausschließen oder gegensätzliche Pole bilden, die nicht in Übereinstimmung zu bringen sind? Und wieso zum Teufel, wird diese Frage so oft bei Gitarristen zur Glaubensfrage erhoben? Gelten für Gitarristen andere musikalische Gesetze als für andere Instrumentalisten oder für Sänger?
Joe Bonamassa? ... mir gefällt gar nicht, was er so treibt. Irgendwie scheint er stets das, was er gerade macht, innerlich zu verneinen. Und das treibt ihn anscheinend von seinem Gefühl weg. Es wirkt ziemlich unkonturiert, was ich so von ihm höre. Beim Grolsch Blues-Festival 2009 sah ich ihn live, und sein Outfit unterstrich diese Unentschiedenheit auch noch: Er kam mit einem Anzug, Seitenscheitel und sah aus wie ein gefeuerter Banker. Dieses 21th Century-Blues-Gehabe zündet nicht, weil es nicht das ist, was Blues für mich so stark macht: Identität und Authentizität. Oder anders gesagt: "Ich bin, wer und wie ich bin und Du frisst das. Wenn nicht, dann wird mich das nicht ändern."
Grüße Thomas
Tone vs. Technik? Schöne Diskussion. Ohne Technik kein Ton. So einfach ist das.
Gestern Nacht lief auf Arte eine Doku über '67 Flower Power Zeit. Dazu jede Menge Musik aus dieser Zeit. Greateful Dead, The Doors, Jefferson Airplane, Pink Floyd in Urbesetzung, Janis Joplin, Love, Hendrix und wie sie nicht alle hießen. Und ich muss sagen, dass mir diese Musik nach kurzer Zeit auf die Nüsse ging. Es war zwar ziemlich frei und experimentell, zum damaligen Zeitpunkt nie gehört. Aber was mich nervte war diese ungehemmte, aber ungelenke und ungelenkte Kreativität. In den endlosen Stücken ergaben sich manchmal musikalische Bilder, die dann sofort wieder zerfielen, ohne dass sie nochmals auftauchten. Und oft hatte ich den Eindruck, dass es schlichtweg Zufallsprodukte waren (die dann in der Folge dem zahlungsfähigem und von vornherein geneigtem Publikum als "göttliche Eingabe" verkauft wurde). Und sie nahmen es ab, wie schon immer die wenigsten in der Lage zu sein scheinen, mehr als eine einzige Ebene gleichzeitig wahrzunehmen.
So.. und hier sind für mich Batio, Cooley und viele andere Eindimensional-Shredder gut aufgehoben. Es wird nur eine einzige Ebene gleichzeitig bedient. Und zwar auch noch eine sehr spezielle. Nämlich die Sensationslust derer, die wissen, dass das, was diese Jungs spielen, sauschwer in der technischen Ausführung ist. Nur gehört das für mich nicht in den Bereich "Musik", sondern maximal in die "Etüden"-Insiderecke einsortiert.
Vai, Malmsteen, Satch hingegen bedienen immer mehrere Ebenen. Einseits gibt es in ihren Stücken immer einen Spannungsverlauf, andererseits ist fast jeder Ton von verschiedenen Seiten aus betrachtbar und hält immer Überraschungen bereit. Kennt ihr das Prinzip der "rotierenden Aufmerksamkeit" beim Üben? Das bedeutet, dass man ein und dieselbe Tonfolge unter verschiedenen Gesichtspunkten übt, Time/Microtime, Klangmodulationen, Artikulation usw. Und wenn man mal die rotierende Aufmerksamkeit beim Hören auf Batio einerseits und Malmsteen andererseits anwendet, dann wird man bei Batio nicht allzu viel entdecken. Man kann eigentlich nur eine Checkliste abhaken:
Töne sauber getroffen? ja
Time sauber? ja
Irgendwelche Fehler entdeckt? nein
Bei Malmsteen hingegen z.B. klingt kaum ein Ton wie ein anderer und selbst in den schnellsten Passagen ist selbst dann noch absolut im Time, wenn er mit freiem Time spielt. Das bedeutet, dass er sein Time nicht an der einzelnen Note aufhängt, die wie Elemente mit exakt definierter Länge aneinander gereiht eine Zeitskala ergeben, sondern er jongliert mit mindestens zwei Ebenen parallel: Dem Songablauf und dem damit verbundenem Time und mit seinem eigenen Spiel. Hinzu kommen weitere Ebenen: Eine klangliche Ebene, jeder Ton ist kontrolliert. Und er schafft es zudem auch noch, vor oder hinter dem Beat zu spielen. Das gleiche gilt auch für Vai, für Satch, oder für Lukather, oder Robben Ford, oder auch Thomas Blug, Eddie van Halen... oder, oder, oder. Es gilt nicht für Rusty Cooley und auch nicht für Michael Angelo Batio. Auch nicht für Buckethead. Auch bei Paul Gilbert habe ich es noch nicht gehört (ich finde seine Phrasierung übrigens noch ziemlich ausbaufähig). Und irgendwie hatte ich immer schon den Eindruck, dass man Petrucci sagen sollte, dass seine geheimsten Befürchtungen wahr sind (ich tue es aber nicht )
Mal ein Glissando-Problem: Wie z.B. macht man es, dass man ein Ganzton-Bending ganz langsam über zwei Takte zieht, ohne dass es schief oder langweilig klingt, sondern geil? Bei Malmsteen habe ich es schon gehört, bei Satch und Vai auch. Ist vielleicht sogar eine Art ultimativer Test ..denn das kann nur dann gelingen, wenn man innerlich jederzeit absolut präsent ist und genau weiß, wo man gerade ist. Die Spannung muss man jederzeit in allen Nuancen spüren können. Zudem muss man auch voraus planen, denn exakt zur richtigen Zählzeit muss das Bending "aufgelöst" werden, d.h. dass zu einem definiertem Zeitpunkt im Timegerüst ein a' dann genau 440 Hz haben muss. Dafür braucht es schon feine Ohren und mächtig viel Intuition... A propos, ich glaube, Malmsteen ist Absoluthörer. Aber wenn man versucht, es bewusst zu steuern, geht es mit größter Wahrscheinlichkeit in die Hose. Das kann nur intuitiv angegangen werden.
Vorgestern lief im WDR Fernsehen "Zimmer frei" mit Götz Alsmann und Cristine Westermann, Gast war Sarah Connor. Bei ca. 12:10 singt sie, wie immer bei Zimmer frei, spontan und sessionmäßig
http://www.wdr.de/tv/zimmerfrei/sendungsbeitraege/2010/connor/sarah_connor.jsp?sdatum=2010-11-21
(sorry, das mit dem Vorspulen klappt bei Youtube eindeutig besser als bei dieser Flashvideo-Lösung des WDR.. wenn das Video gestartet ist, gibt es aber den rechts "Kapitel"-Bereich, der hilft ein wenig.. unter "Talk und Hausmusik")
Eine unfassbar gute Musikerin, diese Sarah Connor!! Jederzeit präsent, man weiß nie, was sie als nächstes machen wird. Sie nimmt nebenbei das Heft in die Hand un agiert/reagiert mit Götzi in einer Weise, wie man es nur selten sieht bzw. hört. Wer käme hierbei auf die Idee zusagen, dass sich Technik, Ton und Gefühl gegenseitig ausschließen oder gegensätzliche Pole bilden, die nicht in Übereinstimmung zu bringen sind? Und wieso zum Teufel, wird diese Frage so oft bei Gitarristen zur Glaubensfrage erhoben? Gelten für Gitarristen andere musikalische Gesetze als für andere Instrumentalisten oder für Sänger?
Joe Bonamassa? ... mir gefällt gar nicht, was er so treibt. Irgendwie scheint er stets das, was er gerade macht, innerlich zu verneinen. Und das treibt ihn anscheinend von seinem Gefühl weg. Es wirkt ziemlich unkonturiert, was ich so von ihm höre. Beim Grolsch Blues-Festival 2009 sah ich ihn live, und sein Outfit unterstrich diese Unentschiedenheit auch noch: Er kam mit einem Anzug, Seitenscheitel und sah aus wie ein gefeuerter Banker. Dieses 21th Century-Blues-Gehabe zündet nicht, weil es nicht das ist, was Blues für mich so stark macht: Identität und Authentizität. Oder anders gesagt: "Ich bin, wer und wie ich bin und Du frisst das. Wenn nicht, dann wird mich das nicht ändern."
Grüße Thomas