Heute mal eine "kleine" Story aus dem Leben, die komplett wahr ist:
Ich bin Fan der Klingenthaler Akkordeontaschen. Sie sind smart, leicht, nichts ist daran übertrieben, sie sind preiswert, mit dem Bass nach unten zu tragen und und in Spielposition an der oberen Seite zu öffnen. Der Reißverschluss ist ebenfalls smart, das bedeutet Leichtgängigkeit und Schonung für die Hände, allerdings auch keine große Haltbarkeit.
Vor zwei Wochen war es dann so weit, die Zähne des Reißverschlusses sind an einer Ecke so weit verbogen, dass sie nicht mehr in den Führungsschuh wollen. Ansonsten ist die Tasche auch nach Jahren täglicher Benutzung komplett in Ordnung.
Meine Gedanken:
2015 kann man wahrscheinlich nicht erwarten, dass es um die Ecke einen Handwerker gibt, der so etwas Banales repariert. Es ist einfach nicht modern! Niemand möchte sich die Hände mit
NÄHEN schmutzig machen.
Außerdem, wo bekommt man Ersatzteile her? Es ist einfach unrentabel, weil es sich nicht lohnt, Schneider zu sein. Scheinbar fehlen die Kunden, aber ich frage mich warum? Solche Fälle wie mich müsste es doch zuhauf geben...?
Realität:
In diesem Glauben verdrängte ich es sofort, einen Schneider zu suchen sondern schaute - so wie das heute modern ist und wie das 99,9 % aller Menschen machen - nach einer neuen Tasche im Netz. Einfach komplett austauschen! So ist es üblich und so funktioniert es in unserer Wegwerfgesellschaft am besten.
Mir war vor einiger Zeit schon die Pigini-Tasche zum Fliegen aufgefallen. Ich hatte das Video gesehen mit den modularen Möglichkeiten und war begeistert. Auch der Preis geht voll in
Ordnung. 119 Euro sind kaum mehr als meine Klingenthaler Tasche. Sie bietet aber die Funktion, das Akkordeon in zwei Hälften zu transportieren, weil sie Zwischenböden mitliefert und zusätzliche Reißverschlüsse aufweist.
http://www.pigini.homepage.t-online.de/Akkordeonrucksack_Flugzeugrucksack.htm
Das Bild in der Mitte zeigt die nach oben zu öffnende Klappe, die Riemen sind zwar mit instabilen Karabinern befestigt und außerdem in Spielposition zu tragen, aber vielleicht kann man das bei der Bestellung ändern oder es funktioniert eben irgendwie auch so.
Ich schaute mir die Videos also kein zweites mal an sondern ging gleich zum Bestellvorgang über. Nach längerem Suchen wurde klar, ich muss mailen, es gab keinen anonymen Bestellbutton ... "Doch nicht so modern" schoss es mir durch den Kopf. Aber egal. Ich habe ja nichts zu verbergen.
"Ich möchte so einen Akkordeonrucksack da, ... Bayan Line ... für 119 Euro ... wie auf dem Bild ... mit den Maßen wie auf der Tabelle angegeben. Mein Instrument ist ein Jupiter Lux."
Ich dachte, Jupiter wird ja wohl bei Pigini ein Begriff sein, da sich Pigini sehr an Jupiter orientiert und die Maße absoluter Standard sind. Dann kam aber doch eine Mail zurück, in der ich aufgefordert wurde,
das Instrument zunächst nach Anleitung auszumessen. (Ganz unten auf der Seite) ... OK
Ich schrieb:
"A= 45 cm / mit Kinnregister 46 cm
B= 51 cm
C= 33 cm / mit Fuss 34 cm
D= 22,5 cm / mit Converter 23,5 cm
E= 45 cm
B ist auf Ihren Abbildungen mit max 50 cm doch recht knapp...
Andererseits ist die Ledertasche (auf der Website abgebildet) ein völlig anderes Modell, welches mir ergonomisch unklar bleibt. Mir ist diese Flugfunktionalität und das "Beladen von oben" also in Spielposition wichtig. Tragen sollte mit dem Bass nach unten erfolgen.
Die Fütterung mittelmäßig dick und eher weich."
Wenn ich schon mailen muss, dann sage ich wirklich genau was ich will und dann wird es eben eine Spezialanfertigung.
Pigini schrieb dann:
"nach Ihren Maßen dürfte der Rucksack:
A=56,
B-Diskant/treble=26,
B-Bass=24, C-Diskant/treble=14,
C-Bass=24,
D=24,
E=56cm
passen.
Preis = 284,39 EURO ... Bitte Vorkasse... Liefertermin ist aber erst in etwa einem Monat. (21.4.)" etc.
Whaaaa? Das ist fast das dreifache des Preises, der auf der Webseite steht!!! Na gut - sei es drum - Musiker leben ja im Wohlstand.
Ich:
"Wenn Sie das sagen, vertraue ich darauf. Wobei mir B=26 bzw 24 und C=14 seltsame Werte scheinen. Bei mir ergab B 51 und C 33"
Pigini:
"Die Rucksäcke sind so dimensioniert, daß die allermeisten Modellgrößen unterschiedlicher Hersteller damit abgedeckt sind. Es ist unerlässlich daß Sie wirklich genau messen um sich zu stellen daß der Rucksack paßt. Ich habe eben Ihr Instrument nicht zum messen hier und
bin nicht in der Lage zu sagen welcher Rucksack paßt. Das Maß B sehe ich mit 1cm größer nicht als Problem an, denn der Rucksack gibt etwas nach. Wenn Sie bei den Maßen Zweifel haben melden Sie sich nochmal."
ich:
"Meine Maße waren:
B= 51 cm
C= 33 cm / mit Fuss 34 cm
Dabei scheinen B und C überhaupt nicht passend. Aber wahrscheinlich verstehe ich die Zahlen falsch. Das Geld habe ich soeben überwiesen."
Pigini:
Die Maße geben die Gehäusehälften an B-Diskant/treble=26, ist die Höhe des Diskantteils, B-Bass=24 ist die Höhe des Bassteils = zusammen B gesamt = 50cm, paßt also. C-Diskant/treble=14, PLUS C-Bass=24 = zusammen 38cm, paßt also."
ich:
"achso - jetzt habe auch ich verstanden. Vielen Dank."
Zwischendurch ließ es mir keine Ruhe und ich sah nicht ein, warum ich meine gute Klingenthaler Tasche nur wegen eines Reißverschlusses wegwerfen soll.
Also suchte ich in der Zwischenzeit doch noch nach einem Schneider. Natürlich im Netz - auf eine andere Idee komme ich einfach nicht. Die Suchmaschine zeigte mir im Nachbarort einen Schneider in einem Einkaufszentrum auf.
Super. Dort angekommen fand ich heraus, dass die Hälfte aller Läden in diesem Zentrum im vorigen Jahr schließen mussten oder umgezogen sind. Also fragte ich eine Verkäuferin in einem noch verbliebenen Textilgeschäft, wo ich den Schneider jetzt finde. Das wusste sie nicht.
Ich fragte sie weiter aus, ob sie eine Empfehlung hätte, wegen mir auch privat, irgend jemand muss mir doch einen lumpigen Reißverschluss einnähen können...
Ja - dann folgte eine Erklärung wie man sie so gut kennt und liebt:
"An der Ampel fahren sie rechts, am Baum links, am Fleischer vorbei, ein mal um den Kreisel, gegenüber vom Bäcker, wo früher mal Humperdinck gewohnt hat.... Daaaa, ... jaa da wäre dann eine Frau, die macht so etwas"
Ich bedankte mich höflich und machte mich auf den Weg. Natürlich passte die Beschreibung irgendwann nicht mehr, aber ich fand eine Wäscherei an der Stelle wo es hätte sein können. Dort fragte ich weiter. Die Wäscherin wusste zum Glück, wer gemeint war und erklärte mir den Rest des Weges. Aus Höflichkeit fragte ich die Wäscherin, ob sie zufällig auch nähen würde. Ich hielt es für gemein, jemanden nach dem Weg zu fragen, der das "Geschäft" auch selbst hätte machen können.
Sie: "Um was handelt es sich denn?"
Ich: "Um eine Tasche mit einem Reißverschluss"
Sie: "Oh dann brauchen Sie einen Schuster, diese derben und gekrümmten Stoffe könne ein Schneider nicht nähen, der hätte überhaupt nicht die entsprechenden Maschinen dazu".
Ich: "Können Sie mir einen Schuster nennen?"
Sie "Oh je... bis letztes Jahr hatten wir einen, der musste aber wegen des Mindestlohnes schließen".
Aha, also auch er konnte sich seinen Beruf nicht mehr leisten. Kam mir irgendwie bekannt vor.
Ich: "na gut, dann fahre ich in die große Stadt"
Unterwegs googelte ich nach "Schuster in der großen Stadt" ... 20 Einträge.
Schuster Floristik, Auto Schuster, aber dann zum Glück auch einfach nur Schuster...
Wieder ein Einkaufszentrum...
Dort in der großen Stadt angekommen, fand ich am Einkaufszentrum ein riesiges Schild "Maßschneiderei". Ein riesiger Komplex mit 30 Geschäften und nichts anderes als ein riesiges "Maßschneiderei" prangte vorn dran. Ich fühlte mich gut aufgehoben, ging zwei mal im
Kreis durch alle 30 Geschäfte und fand es nicht. Im Schuhladen wähnte ich mich noch am richtigsten und fragte dort.
Die Verkäuferin: "Nee nie gehört, dass es hier so etwas gibt".
Eine Kundin: "Doch - im Nagelstudio, die machen so etwas."
Ich: "Wirklich im Nagelstudio? Soll ich da hinein gehen?"
Sie: "Ja ja"
Im Nagelstudio schlugen mir giftige Gase entgegen, dass ich um mein Leben fürchtete. Dort saßen drei unbeschäftigte Vietnamesinnen (?) und beflissen sprang eine von ihnen auf "Wie kann ich helfen?"
Ich: "Mir wurde gesagt, sie könnten mir an diese Tasche einen Reißverschluss nähen"
So schnell sie aufgesprungen war, so schnell wandte sich gleich ab um sich mit den Worten "Oh wir machen nur Kleidungsstücke" wieder hinzusetzen. Ende der Diskussion.
Ich hatte wirklich einen Hals!!!!
Später fuhr ich noch einmal in den ersten Ort, um die Schneiderin aufzusuchen, die mir von der Wäscherin empfohlen wurde. Leider hatte sie nur vormittags auf. Also rief ich sie an einem anderen Tag an und fragte nach. Sie wollte sich auf nichts einlassen ohne es gesehen zu
haben. So fuhr ich noch einmal hin und zeigte ihr alles. Zum Glück schlug sie nicht gleich die Tür zu, klagte nur ein wenig vor sich hin, aber immerhin konnte ich motivierend auf sie einreden. Nun - wenigstens ein Teilerfolg. Wie gut sie das macht und wie viel es kostet weiß ich noch nicht.
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Dafür kam die Pigini Tasche gestern schon an.
1. Gewicht ist ok, wenn auch schwerer als die Klingenthaler Tasche.
2. Die Trageriemen sind genau anders herum als ich es wollte und es auch extra in die Bestellung schrieb. Das Instrument ist nun also doch in Spielposition zu tragen, die
Tasten links, der Bass rechts auf dem Rücken. Aus Stabilitätsgründen wollte ich es eigentlich mit Bass nach unten, damit seitlich kein Gewichtsunterschied entsteht. Aber ich muss sagen, zumindest nach einem kurzen Probelauf im Wohnzimmer fühlte es sich auf dem Rücken trotzdem relativ stabil an. Es schlägt zwar beim Laufen seitlich etwas aufs Kreuz (links und rechts abwechselnd bei jedem Schritt), aber die befürchtete Schlagseite ist nicht wahrnehmbar.
3. Die Beladung erfolgt mit Bass nach unten - also genau so wollte ich es NICHT haben. Auch dies schrieb ich in die Mail und auf dem mittleren Bild der Webseite ist es anders abgebildet. Ich muss das Instrument mit rund 15 kg manchmal mehrmals täglich ein - und auspacken. Mit dieser Art Öffnung muss es also immer zuerst gedreht und abgestellt, dann neu angefasst werden. Vorher muss die Tasche geöffnet und angelehnt werden, denn ohne zusätzlichen Halt von hinten fällt die Tasche durch den Gewicht des Deckels um und landet mit der
ganzen Breitseite im Dreck, den man dann auf dem Rücken hat.
Video
4. Der Reißverschluss ist genauso dünn wie bei dem Klingenthaler Rucksack. Beim Beladen spannt es auch, so dass man die Stoffteile zusätzlich zusammenbiegen muss, der Weg des Reißverschlusses ist irgendwie endlos. Es gibt zwei von diesen Griffen, Anfang und Ende des Weges sind also nicht immer gleich, sondern flexibel, so sucht man öfter mal die Griffe des Reißverschlusses. Zudem gibt es hier derer eine Ganze Reihe, die zwar nur zum Umbau zur geteilten Flugzeugtransporttasche benutzt werden müssen, aber einer davon ist in der Mitte des Rucksacks (umschließt den Balg des Instruments). Trotz Klettverschlüssen fühlt man sich sicherer, wenn man die beiden großen Clipverschlüsse zusätzlich einrastet, damit nichts reißt.
Mit anderen Worten, eine unsägliche Fummelei.
Es gäbe sicherlich noch viel mehr zu testen, zb. die kleine Tasche mit dem widerspenstigen Klettverschluss, in die keinesfalls Noten passen. Und natürlich müsste man checken ob die Akkordeonhälften gut passen. Aber das werde ich später testen. Mir ging es in erster Linie um einen Alltagsersatz für meine alte Tasche und nur nebenbei um Flugtauglichkeit. Deshalb
Zwischen-Fazit:
Tragekomfort : ok,
Ein/Auspacken: mangelhaft.
Preis: zu hoch
Die Geschichte wird wahrscheinlich fortgesetzt. Natürlich, ich möchte die Schuld für meine Unzufriedenheit nicht auf alle anderen abwälzen. Man könnte z.B. meinen, der Pigini Rucksack ist eben ein Spezialist für Flugzeuge und nicht für den täglichen Gebrauch gedacht. Das hätte man doch wissen können. Kauf Dir einfach einen Soundware und gut is.
http://www.soundwear.com/dt/?page_id=172
Aber auch hier gefällt mir der überflüssige Deckel (am Griff), die beiden überflüssigen Clipverschlüsse und der überflüssige Querriemen nicht. Das stört doch nur...
Auch was die Schneider und Schuster betrifft. Warum gibt es sie kaum noch? Unter anderem auch, weil ich sie als Kunde kaum nachfrage. Logo.