Ho,
ich denke schon, dass man heute soundtechnisch auch vintage klingen kann, wenn man es drauf anlegt. Nicht umsonst gibt es ja eine sich entwickelnde Fangemeinde um z.B. alte Tweed-Amp-Nachbauten, Fuzzes, Univibes usw.. Und wenn man das dann betrachtet, nehmen wir mal den typischen 5E3, ist es kein Zauberwerk mit den heute vorhandenen Mitteln an den "bröckligen" und weit in die Endstufensättigung gefahrenen Klang zu kommen. Für mich klingt das so, wie ich es mir vorstelle und es fühlt sich auch mit Gitte und Amp so an. Zu bedenken ist dabei jedoch, dass unsere Hör-Sozialisierung mehr über Tonträger als durch Selbsterfahrung erfolgte. Damit ist eben auch klar, dass Studio- oder Live-Alben hier zentral gewirkt haben. Die Aufnahmetechnik: analog, hatte aus technischen Gründen ganz andere Einflußgrößen in den sich addierenden Gain-Stufen, Bauteiltoleranzen, die Gitarrensaiten waren eine ganz andere Liga, Trafos, Kondensatoren, Röhren, Mikrofone, Lautsprecher... Da rauscht schon mal der Wald und bringt psychoakustisch noch etwas Mojo dazu.
Wenn ich mich heute in dieser Regionen bewege, bin ich sehr, sehr froh, dass die Pickup-Auswahl alles bietet, was man sich denken kann und das Fertigungsniveau auch sehr gut ist, der Tweed (5E3) so modifiziert angeboten wird, dass man ihn gut einstellen kann und vielleicht sogar einen Loop hat. Die Zuverlässigkeit unseres modernen Vintage-Equipments ist enorm gewachsen. Das hätten sich unsere musikalischen Vorfahren wahrscheinlich auch gewünscht. Nicht zu vergessen ist, dass auch unsere PA heute anders abbildet und wir nicht mehr mit dem Direktsound unseres Amps ganze Hallen beschallen müssen (Steve Vai mal ausgenommen).
Ergo, wenn wir danach streben, können wir soundtechnisch auch so klingen wie wir wollen, modern oder vintage. Da gibt es tolle Beispiele. Man muß sich dann aber auch so beschränken, wie es damals so war: keinen Amp mit Loop, also auch das Delay vor dem Vorverstärker, irgendwelche Potis und Tonabnehmer in den Gitarren die man gerade bekommen konnte - im Musik- oder Radioladen um die Ecke, mit Germaniumtransistoren zusammengebastelte Verzerrer oder Tonbandgeräte als Booster oder Delays, Mastervolumen: "Was ist das?", falsch verdrahtete Pickups und vieles mehr, fast vergessen ein echtes Leslie-Cabinet!
Nimmt man mal den Klang der Pickups, dann sollte man immer bedenken, dass die Elektronik einer Gitarre in seiner Gesamtheit wirken kann. Also, dass man die Regelmöglichkeiten der/des Volumenregler/s oder der Klangpotis auch nutzen muß, weil sie einen enormen Einfluß auf den Grundklang haben, der dann durch den Amp gejagt wird. Da gucke man sich die Altvorderen an, die permanent an diesen Reglern herumfingern. Deshalb sind die Pickups eben nur ein Teil der Übung, denn keiner kann Dir heute noch sagen, bei welcher Aufnahme mit den legendären PAFs, wie die Potis an der Gitarre standen.
Ach, ein weites, weites Feld...
Ray